Alfred Vogel war von der Heilpflanzenwelt Perus fasziniert. Dass das Land auch ein reiches kulinarisches Erbe und ein Fest an Formen, Farben und Aromen bietet, beweist nicht zuletzt die neue andine Küche.
Text: Tino Richter
Sie gilt als «eine der besten Küchen der Welt» (Auguste Escoffier). Denn die peruanische Küche beruht nicht nur auf schier endlos vielen Zutaten aus zwölf unterschiedlichen Klimazonen, wie den fruchtbaren Terrassen der Anden, den trockenen Küstenregionen und den feuchten Regenwäldern. Sie entwickelte sich auch dank der unterschiedlichen Einflüsse der Ureinwohner, der spanischen Eroberer, der afrikanischen Sklaven sowie den Einwanderern aus China, Italien und Japan. Die Kombination aus lokalen Zutaten, kulinarischem Erbe und neuen Zubereitungsformen verleiht der Küche eine einzigartige Lebendigkeit und Vielfalt.
Kartoffeln, Mais, Maniok, Süsskartoffeln, Quinoa, Amaranth, Kaniwa, Tomaten, Chilis sowie Alpakas und ja, auch Meerschweinchen, bildeten die Grundnahrungsmittel der Urvölker Perus. Typisch hierfür waren Eintöpfe und Suppen, zu denen auch Kartoffeln gehörten, von denen es über 4000 essbare Sorten geben soll. In vielen Gerichten spielt die papa, so die südamerikanische Bezeichnung, eine Haupt- oder Nebenrolle. Wer könnte sich vorstellen, dass eine gekochte Kartoffel mit einem Klecks Käse-Chili-Sauce (Papa a la Huancaína) ein Vorspeisenklassiker in Peru ist? Quinoa, die Andenhirse, hat aufgrund ihres Proteinreichtums und ihrer essenziellen Aminosäurestruktur mittlerweile einen weltweit ähnlichen Bekanntheitsgrad wie die Kartoffel erreicht.
Peruanische Vorspeise: gefüllte Muscheln Choros a la chalaca (Foto: 123RF/L. Blinova)
Die heisse und trockene Küstenregion ist dank des kalten Humboldtstroms eines der fischreichsten Gebiete der Welt. Fische und Meeresfrüchte stellen daher einen wichtigen Bestandteil der peruanischen Küche dar. Choros a la chalaca, Miesmuscheln mit einer Salsa Criolla gefüllt, sind eine beliebte Vorspeise. Das Nationalgericht Perus besteht aus rohem Fisch: Ceviche. Das Gericht wurde bereits in der Vor-Inkazeit an den Küsten in einer einfacheren Version zubereitet und hat heute einen eigenen Feiertag, den 28. Juni. Nachdem die spanischen Eroberer Zwiebeln, Limetten sowie Koriander mit ins Land gebracht hatten, entstand nach und nach das Rezept in seiner heutigen Form.
Für den Fisch können feste, mittelfeste oder weiche Fischsorten (Seeteufel, Seebarsch oder Weissfisch) verwendet werden. Der Fisch wird in Filetstücke geschnitten und in einer Marinade aus Limettensaft, Salz und Limo-Chilis eingelegt. Aufgrund der Zitronensäure kommt es zur Gerinnung des Eiweisses. Traditionell wird das Ceviche auf Salatblättern zusammen mit Kartoffeln, Süsskartoffeln, Maniok, gedämpften (Choclos) sowie gerösteten (Canchas) Maiskörnern serviert.
An der Küste, aber auch im Bergland wird die weisse Limabohne angebaut. Sie ist, getrocknet oder frisch, Zutat für Salate, Minestrone mit Meeresfrüchten oder Tacu Tacu. Letzteres ist ein Gericht, bei dem Reis zusammen mit gewürzten Bohnen gebraten wird. Bohnen sind in Peru wichtige Grundnahrungsmittel, ob als ganze Bohnen, Püree (Pure de pallares) oder als Süssspeise. Verwendung finden neben Lima- auch Pinto-, Garten- und Ackerbohnen.
Das feuchte Regenwaldklima bietet gute Bedingungen für das Wachstum von Gemüse und die dort wachsenden 650 verschiedenen Früchte. So wie die Süsse Granadilla, die mit den Samen frisch als Dessert-Obst ausgeschlürft oder ausgelöffelt wird oder Physalis, die für Säfte, Desserts und Cocktails Verwendung findet. Neben den Dessertbananen in verschiedenen Varianten sind vor allem die frittierten Kochbananen eine beliebte Zutat als Gemüsebeilage oder zum Frühstück. Frittiert und getrocknet werden sie auch als salzige Chips verkauft.
Zwei typische Gerichte der Amazonasregion sind Juane (Reis, Hühnchen und hartgekochte Eier in Bananenblättern) und Tacacho con cecina, getrocknetes, gebratenes Schweine- oder Rindfleisch, das mit Salz konserviert und luftgetrocknet oder geräuchert wurde.
Aus dem Regenwald stammt auch die Charapita-Chili, die entweder gleich zerdrückt in die Salsa Criolla oder die Suppe gegeben oder zu einer Paste verarbeitet wird.
Aus dem Choclo-Mais wird u.a. Tamales gemacht; der Purpurmais wird zur Chicha morada verarbeitet. (Foto: 123RF)
Das kulinarische Zentrum Perus ist zweifellos Lima. In der Millionenstadt kommen die Einflüsse des In- und Auslandes zusammen und lassen wiederum ganz Neues entstehen. Nicht von ungefähr ist Lima Sitz der Mistura, der wichtigsten gastronomischen Messe Lateinamerikas. Und unter den zehn weltbesten Restaurants befinden sich seit Langem zwei aus der peruanischen Hauptstadt: das Central und das Maido.
Aber auch Street Food ist sehr beliebt: Kaum eine Ecke, an der nicht jemand mit einem Stand steht und gegrillte Fleischspiesse (Anticuchos) aus Rinderherz, Ceviche oder Früchte verkauft. Zum Trinken wird neben dem erwähnten Maisdrink Chicha morada gerne Emoliente angeboten, ein Tee, der auf der Grundlage von gerösteten Gerstenkörnern sowie Leinsamen, Kräutern wie Schachtelhalm oder Boldo, Zucker und Zitronensaft zubereitet wird. Auch aus Quinoa wird zusammen mit Apfel, Zimt und Ananas ein Saft hergestellt.
Ein richtiger Leckerbissen zum Frühstück sind Tamales, deren arbeitsintensive Zubereitung sich lohnt. Sie bestehen aus Maisteig auf der Basis getrockneter, grosser, weisser Chochlo-Maiskörner. Dieser wird mit gekochten Eiern, Oliven, Erdnüssen und Hühnchenfleisch gefüllt und in Bananenblättern gedämpft. Serviert wird das Ganze jeweils mit einer Salsa Criolla, in die man noch eine Charapita-Chili zerdrückt.
Peru beherbergt nach Brasilien die zweitgrösste japanische Gemeinde der Welt. Beide Küchen verschmolzen zur sogenannten Nikkei-Küche (Nikkei, japanisch für Emigrant oder im Ausland lebend). Peruanische Zutaten wurden von den Immigranten auf japanische Art zubereitet, z.B. Miso-Suppe mit Palmherzen oder Tiradito, eine Mischung zwischen Ceviche und Sashimi, bei dem der Fisch fein geschnitten und mit Aromen wie Soja und Ingwer verfeinert wird.
Der Einfluss Chinas zeigt sich u.a. in sogenannten pfannengerührten Gerichten, wie dem Lomo saltado, einem Mix aus Rindfiletstückchen, Zwiebeln, Tomaten, Amarillo-Chili-Paste und Sojasauce. Arroz Chaufa besteht aus gebratenem Reis mit Gemüse und Lauchzwiebeln, Eiern und Hühnchen. Aus der Fusion mit der spanischen Küche ging die Causa Limeña hervor, eine kalte Vorspeise aus gestampften Kartoffeln, Thunfisch, Avocado und Mayonnaise, die es in endlosen Varianten gibt.
Diese Vielfalt war um die 2000er-Jahre der Ausgangspunkt für Köche wie Gastón Acurio, den kulinarischen Reichtum, lokale Zutaten und die traditionellen Gerichte des Landes neu zu beleben, indem sie diese mit modernen Zubereitungsformen kombinierten. Die novoandine Küche war geboren. Doch sie ist kein kurzlebiger Trend, sondern nachhaltiger und umfassender angelegt. Die grosse Diversität wird als Inspirationsquelle genutzt, um die vielen Gerichte und Zutaten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und um gleichzeitig die lokalen Fischer und Bauern zu stärken.
Eine Grundzutat der peruanischen Küche sind Chilis, Ají genannt. Hauptsächlich werden fünf Sorten verwendet.
Ají Amarillo: Die gelb-orangen Chilis kommen am häufigsten zum Einsatz, schmecken fruchtig-aromatisch mit einem leichten Pfefferaroma, ähnlich der Scotch Bonnet, nur milder. Getrocknet wird die Sorte Mirasol genannt.
Ají Limo: Sehr scharfe, aromatische Chilischote, die durch ein starkes Zitrusaroma besticht. Sie wird für die Zubereitung von Ceviches verwendet.
Ají Charapita: Scharfe, runde, orangefarbene Chili aus dem Amazonasgebiet. Sie gibt man in die Salsa Criolla.
Ají Panca: Wird normalerweise nur in getrockneter Form verwendet, ist nicht so scharf, weist ein rauchiges Aroma auf.
Ají Rocoto: Sehr scharfe, grosse rote Chili. Sie ist die Ausnahme von der Regel: Je grösser die Frucht, desto geringer die Schärfe.