Wenig bekannt, aber wirksam ist die aus Nordamerika stammende Aronia. Reich an sekundären Pflanzenstoffen, erregt die kleine Beere das Interesse der Forscher. Neben vielen anderen positiven Eigenschaften wird der Aronia eine stark antioxidative Wirkung zugeschrieben: Ihr tiefroter Farbstoff soll vor freien Radikalen schützen.
Autorin: Gisela Dürselen
So robust wie der Charakter der Pflanze, so eindrucksvoll ist der Geschmack ihrer Beeren: ziemlich herb, ein bisschen sauer und nur wenig süss. Der Geschmack entsteht durch die rot-blaue Farbe, die sich in der Schale der Früchte konzentriert – der Farbstoff gehört zu den sekundären Pflanzenstoffen, an denen die Aronia besonders reich ist. Von diesen Pflanzenstoffen haben die Wissenschaftler vor allem eine Gruppe im Blick: die Anthocyane, die die Aronia zur herausragenden «Gesundheitsbeere» machen.
Anthocyane sind wasserlösliche Pflanzenfarbstoffe, die Heidel- und Preiselbeeren rot und Auberginen violett färben. Ihnen wird eine stark antioxidative Wirkung zugeschrieben: Sie verhindern Oxidationsprozesse, die von freien Radikalen verursacht werden und die menschlichen Zellen schädigen.
Freie Radikale entstehen durch Stress, Umweltgifte und Strahlung, und vor allem ältere Menschen sollten sich vor ihnen schützen: Denn im Alter wird das Immunsystem schwächer, und die Abwehrkräfte und -mechanismen funktionieren nicht mehr so gut wie in jungen Jahren.
Wissenschaftler stellten fest, dass Aroniabeeren im Vergleich zu anderen Beeren die höchste Anthocyan-Konzentration besitzen. Die Lebensmittelindustrie nutzt diesen Umstand und verwendet Aronia als natürlichen Farbstoff.
Laut einer aktuellen Studie der Universität Potsdam enthalten 100 Gramm Aroniafrüchte 800 Milligramm Anthocyan – die ebenfalls Anthocyan-reichen Blaubeeren enthalten in der gleichen Fruchtmenge «nur» 160 Milligramm.
Weitere Antioxidantien in der Aroniabeere waren in Polen schon 2005 Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie: Aneta Wojdylo und Jan Oszmiánski von der Universität Wroclav untersuchten die sekundären Pflanzenstoff-Gruppen der Phenole und Tannine. Sie stellten unter anderem fest, dass der Gehalt der antioxidativ wirkenden Tanninen in Aroniabeeren weitaus höher ist als der in allen anderen Beeren. Das Fazit der Forscher: Die antioxidative Wirkung der Aronia sei «vergleichbar mit der traditioneller chinesischer Heilpflanzen, die gegen Krebs eingesetzt werden».
Zwar ist die kleine Wildfrucht in Mitteleuropa noch immer ein Geheimtipp, nach Russland aber gelangte sie bereits um 1900. In den 1940er Jahren wurde der bis zu zweieinhalb Meter hohe Aronia-Strauch dort als Heilpflanze kultiviert. Aroniabeeren galten als vitaminreiches Dörrobst, und man setzte sie bei Krankheiten des Verdauungstrakts, bei Bluthochdruck, erhöhten Blutfettwerten und Arteriosklerose ein – ausserdem aber auch bei Strahlenschäden, da die Inhaltsstoffe Schwermetalle aus dem Körper schwemmen sollen.
Eine Reihe weiterer positiver Wirkungen werden der Aroniabeere zugeschrieben: Unter anderem soll sie entzündungshemmend wirken, und in den USA werden Harnwegserkrankungen und verschiedene Herzbeschwerden mit Aronia behandelt.
Dass die Aronia auch die Therapie von Diabetes mellitus unterstützt, bewies eine Untersuchung der bulgarischen Medizinischen Universität Plovdiv aus dem Jahre 2002: In der Studie wirkte sich die regelmässige Einnahme des kalorienarmen Aronia-Saftes positiv auf den HbA1c-Wert aus, einem wichtigen Indikator in der Diabetes-Therapie. Ebenfalls positiv waren die Effekte auf Cholesterin- und Lipidwerte.
Eine kürzlich in den USA von Forschern der Ohio State University veröffentlichte Studie unterstellt der Pflanzenstoff-Gruppe der Anthocyane in den Aroniabeeren sogar eine krebszellenabtötende Eigenschaft. Bislang war lediglich bekannt, dass die Gesundheitsbeere das Wachstum von Krebszellen verlangsamen kann.
Aronia melanocarpa lautet der botanische Name der Aronia, die zu den Rosengewächsen zählt. Im Volksmund wird sie Edel-Eberesche oder Schwarze Apfelbeere genannt, weil ihre zierlichen weissen Blüten den Apfelblüten ähneln und die aufgeschnittenen Früchte an einen Apfel erinnern.
Die Aronia ist sehr genügsam und kommt mit fast jedem Klima und jedem Boden zurecht. Sie trägt viele Beeren und befruchtet sich selbst. Weil der Farbstoff der Aronia Parasiten abhält, sind beim Anbau keine Pflanzenschutzmittel nötig. Ein weiterer Vorteil für Naturfreunde: Die üppigen Blütendolden im Frühjahr sind begehrte Bienenweide; im August locken die reifenden Früchte viele Vögel an. Mit ihrer reichen Blüte im Mai und der roten Laubfärbung im Herbst ist die Aronia eine attraktive Heckenpflanze, die kaum geschnitten werden muss.
Die Lebensmittelchemikerin Prof. Dr. Sabine Kulling vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Potsdam leitet seit August 2006 ein neues Forschungsprojekt zur Aronia. Die Studie läuft über drei Jahre, wird vom deutschen Forschungsministerium gefördert und ist Teil eines Projekts zur grundlegenden Erforschung von sekundären Pflanzenstoffen. Autorin Gisela Dürselen sprach für A.Vogel mit Prof. Kulling.
A.Vogel (AV): Es gibt bereits Untersuchungen zu den gesundheitsfördernden Wirkungen der Aroniabeere. Was ist neu an Ihrer Studie?
Prof. Sabine Kulling: Neu an unserer Studie ist, dass wir den Bogen spannen von der molekularen Grundlagenforschung bis hin zu anwendungstechnischen Verfahren für die Produktverbesserung und -entwicklung. Wir setzen uns detailliert damit auseinander, wie die sekundären Pflanzenstoffe in Aronia vom Körper aufgenommen und verstoffwechselt werden. Zum anderen arbeiten wir daran, den Gehalt und die Bioverfügbarkeit der sekundären Pflanzenstoffe in der Aroniabeere in verarbeiteten Aroniaprodukten zu verbessern.
AV: Bezüglich der krebsvorbeugenden Wirkung der sekundären Pflanzenstoffe sind die Anthocyane im Gespräch. Was ist das Interessante an den Anthocyanen? Und wie steht es mit ihrer Bioverfügbarkeit?
Prof. Kulling: Besonders interessant an Anthocyanen ist, dass bislang keine negativen Wirkungen bekannt sind – selbst dann nicht, wenn sie in sehr hoher Dosierung verwendet wurden.
Die Bioverfügbarkeit der Anthocyane ist sehr gering. Das heisst, nur ein geringer Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Pflanzenfarbstoffe erreicht auch das Blut.
Das bedeutet aber keinesfalls, dass sie deshalb unwirksam wären. Vielmehr verbleibt so ein grösserer Anteil der Anthocyane im Darm, wo sie lokal wirken können. In Tierstudien konnte gezeigt werden, dass Beerenextrakte schützend hinsichtlich Darmkrebs wirken. Diese Wirkung konnte zu einem Grossteil auf die enthaltenen Anthocyane zurückgeführt werden.
AV: Wie sehen die bisherigen Ergebnisse der Studie zu den ernährungsphysiologischen Aspekten der Aroniabeere aus?
Prof. Kulling: Bei der Aroniabeere ist in erster Linie der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen herausragend. Natürlich enthält diese Beere auch Vitamine und Mineralstoffe. Aber hier ist der Gehalt nicht höher als bei anderen Beerenfrüchten auch.
Erwähnenswert ist sicher, dass Aroniabeeren vergleichsweise wenig Fruchtzucker enthalten und statt dessen einen hohen natürlichen Gehalt an Sorbit aufweisen, einem Zuckeraustauschstoff, der Insulin-unabhängig verstoffwechselt wird.
Aroniabeeren können in vielen Zubereitungen genossen werden, da die enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe – anders als viele Vitamine – auch bei Verarbeitungsprozessen nicht abgebaut werden. Aronia-Saft ist sicherlich eine sehr einfache und wohlschmeckende Zubereitung, denn die frischen Beeren sind aufgrund ihres herben und zusammenziehenden Charakters nicht für jeden etwas.
Aus ernährungsphysiologischer Sicht wäre es sehr wünschenswert, wenn die Aroniabeere einen höheren Bekanntheitsgrad erlangen würde.
Wer die robuste Wildpflanze im eigenen Garten hat, kann ihre Früchte auf vielfältige Weise in der gesunden Küche verarbeiten: zu Jogurt, Eis und Konfitüren, zu Saft, Sirup, Likör und Obstwein. Erdbeermarmelade wird mit Aronia intensiv und dauerhaft rot. Die frischen Beeren lassen sich zwar nur gut zehn Tage lagern; aber gedörrt schmecken sie bis in den Winter hinein. Da der Aronia-Farbstoff nicht abwaschbare Flecken hinterlässt, ist bei der Verarbeitung Vorsicht geboten.
Der Dresdner Sternekoch Stefan Hermann vom Restaurant «Bean & Beluga» stellt für die GN eines seiner Lieblingsrezepte mit Aronia vor: ein Aronia-Chutney.