Wie wichtig ist die Ernährung für Rheumapatienten? Was bringt eine Ernährungsumstellung? Und was wird aus der Lebensqualität? Ein Gespräch mit dem Ernährungsspezialisten Dr. Gunther Hölz.
Mit dem Begriff «Heilung», mit der Ernährungsspezialit Dr. Hölz, gehe die Medizin eher vorsichtig um. Er sehe denn auch die Ernährungstherapie in keinster Weise dogmatisch als einzige Vorgehensweise, aber eine mit ausgezeichneten Ansätzen.
Interview: Dr. Claudia Rawer, 2.05
A.Vogel (AV): Herr Dr. Hölz, können Sie uns die Behandlung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen in der Kurpark-Klinik kurz beschreiben?
Dr. Hölz: Schwerpunkt der Therapie bei uns ist die Intensivdiätetik. Darunter verstehen wir die Kombination eines anfänglichen Heilfastens mit einer anschliessenden Ernährungstherapie. Diese Vorgehensweise ist mittlerweile in wissenschaftlichen Studien auch mit Langzeitergebnissen gut dokumentiert und unstrittig. Die einleitende Fastentherapie wird individuell mit dem Patienten festgelegt und richtet sich vorwiegend nach dem klinischen Verlauf der Erkrankung. Nach sorgfältigem Kostaufbau wird dann mit einer frischkostbetonten, tierisch-eiweissfreien und glutenfreien Ernährungsweise begonnen. Unter dem Aspekt der in unserer Klinik praktizierten ganzheitlichen Vorgehensweise wird diese Behandlung durch eine individuell angepasste Physiotherapie, zum Beispiel Krankengymnastik oder Bäder, unterstützt, durch eine an den Möglichkeiten des Patienten orientierte aktive Bewegungstherapie und durch Entspannungsverfahren oder auch, bei Bedarf, psychotherapeutische Begleitung.
Ausserdem verwenden wir viele weitere Naturheilverfahren wie Phytotherapie, Homöopathie, Neuraltherapie und auch Akupunktur. Die individuelle Vorgehensweise wird von einem erfahrenen Arzt nach Krankheitsverlauf bestimmt und ständig den daraus resultierenden individuellen Bedürfnissen des Patienten angepasst.
Bei besonders schweren Krankheitsverläufen kommen durchaus auch entzündungshemmende oder schmerzstillende Medikamente aus dem Bereich der Schulmedizin zum Einsatz. Durch die Synthese von klassischen Naturheilverfahren und schulmedizinischen Behandlungsstrategien kann für jeden Patienten die optimale Behandlungsmethode gefunden werden.
AV: Die vor einiger Zeit in den «Gesundheits-Nachrichten» geäusserte Meinung einer Fachärztin, Rheuma könne durch Ernährung alleine nicht geheilt werden, traf auf Kritik. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Dr. Hölz: Mit dem Begriff «Heilung» gehen wir in der Medizin eher vorsichtig um. Wir sehen die Ernährungstherapie in keinster Weise dogmatisch als einzige Vorgehensweise. Sie ist jedoch zweifelsfrei eine hochwirksame und nebenwirkungsfreie Grundlage einer umfassenden Therapie von rheumatischen Erkrankungen. Unter diesem Aspekt ist es mir völlig unverständlich, dass die Schulmedizin trotz der vorliegenden wissenschaftlichen Studien dieser effektiven Behandlungsweise nach wie vor skeptisch bzw. sogar ablehnend gegenübersteht. Für jeden Patienten muss individuell die richtige Vorgehensweise unter Abwägung von Wirkung, aber auch Nebenwirkung der Vorgehensweise gefunden werden.
AV: Kann man denn für alle Patienten bzw. für alle Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises die gleichen Ernährungsempfehlungen geben oder gibt es da individuelle Unterschiede?
Dr. Hölz: Aus praktischen Gründen beginnen wir bei allen Patienten mit den gleichen Ernährungsempfehlungen, wohl wissend, dass es allerdings individuelle Unterschiede gibt. Die Unverträglichkeit von Gluten, also Klebereiweiss, betrifft lediglich etwa 40 Prozent der Patienten. Es gibt diesbezüglich jedoch keine verlässlichen Laboruntersuchungen, so dass wir uns vorwiegend nach dem klinischen Verlauf richten müssen. Möglicherweise spielen weitere Allergene eine Rolle, die ebenfalls individuell mit dem Patienten zusammen herausgefunden werden müssen.
AV: Gibt es denn auch Fälle, in denen eine Ernährungsumstellung keine oder nur geringe Wirkung zeigt?
Dr. Hölz: Die entzündungshemmenden und schmerzreduzierenden Effekte der Ernährungsumstellung kennen wir gut, und sie wirken praktisch in allen Fällen.
Sollte in einem Einzelfall der gewünschte Effekt nicht eintreten, ist es immer wichtig, auch an eine Beherdung zu denken.
Häufig sind Herde nach wie vor im Bereich der Zähne und auch der Mandeln anzutreffen. Hier ist dann natürlich eine Herdbehandlung mit entsprechenden Methoden vorrangig.
AV: Welche Rolle spielt die oft genannte Arachidonsäure bei Rheuma und warum?
Dr. Hölz: Die Arachidonsäure ist der zentrale Ausgangspunkt aller entzündungs fördernden Prozesse in unserem Körper. Aus ihr werden die so genannten Entzündungsmediatoren gebildet. Durch eine Reduktion der Arachidonsäure werden immunologische Reaktionen sowie auch Entzündungsprozesse vermindert.
AV: Und warum sollen Rheumatiker «weissen Zucker» meiden?
Dr. Hölz: Nach empirischen Beobachtungen werden raffinierte Zucker von Rheumapatienten überwiegend schlecht vertragen. Dies gilt übrigens für andere Stoffe wie Zitrusfrüchte oder Kaffee in ähnlichem Umfang. Eine übermässige Zufuhr von Zucker ist ja nicht nur für Rheumapatienten gesundheitsschädlich! Als Alternative kommen Honig oder Dicksäfte, wie z. B. Apfeldicksaft oder Ahornsirup, in kleinen Mengen in Betracht oder auch das Süssen mit Trockenfrüchten.
AV: Rheumatikern wird empfohlen, reichlich Omega-3-Fettsäuren zu sich zu nehmen. Kann das auch Nebenwirkungen haben? Es wurde schon publiziert, dass bei höheren Konzentrationen Übelkeit und Brechreiz auftreten können, die Blutgerinnungszeit sich verlängert, das LDL-Cholesterin während der Einnahme ansteigen kann …
Dr. Hölz: Omega-3-Fettsäuren hemmen die Vorstufe der Arachidonsäure. Durch eine überwiegend lactovegetabile oder gar tierisch-eiweissfreie Ernährungsform brauchen Omega-3-Fettsäuren nicht in so hohen Dosen zugeführt werden, dass sie zu solchen unerwünschten Nebenwirkungen führen. Diese grossen Mengen, die meist durch Fischölkapseln eingenommen werden, sind bei den genannten Ernährungsempfehlungen überhaupt nicht notwendig. Eine Ergänzung der Nahrung mit etwas Leinöl, Leinsamen oder hochwertigen Nüssen wie Walnüssen zeigt hier bereits eine hohe Wirkung.
AV: Gibt es bei Rheuma bei Kindern und Jugendlichen bezüglich der Ernährung eine besondere Problematik? Und wie stehen Sie zur Gabe von Cortison bei Kindern und Jugendlichen?
Dr. Hölz: Eine Ernährungstherapie zeigt natürlich bei Kindern und Jugendlichen mit rheumatischen Erkrankungen dieselben guten entzündungshemmenden und immunologischen Effekte. Fasten hingegen ist «ein freiwilliger Verzicht auf feste Nahrung für einen definierten Zeitraum». Hier kann es natürlich besonders bei Kindern zu Akzeptanzproblemen kommen. Die Notwendigkeit einer Ernährungstherapie muss bei Kindern und Jugendlichen sehr gut und individuell besprochen werden, um eine ausreichende Akzeptanz zu erreichen. Auch hier ist dann der erreichte Erfolg stets die beste Motivationshilfe für eine ganz wichtige Änderung der Ernährungsgewohnheiten. Cortison und andere entzündungshemmende Medikamente sind natürlich in besonderen Phasen der Erkrankung für viele Patienten, auch bei Kindern und Jugendlichen, unverzichtbar. Ziel sollte es jedoch sein, durch andere nebenwirkungsfreie Therapieprinzipien entweder die erforderliche Dosis so gering wie möglich zu halten oder auch später gänzlich auf diese entzündungshemmende Medikation zu verzichten.
AV: Kann man denn auch Schmerzmittel und andere Medikamente tatsächlich völlig weglassen?
Dr. Hölz: Ziel einer ärztlichen Therapie kann es nicht sein, auf Schmerzmittel oder Medikamente zu verzichten. Oberste Richtlinie bleibt immer, für den Patienten eine möglichst gute und schmerzfreie Beweglichkeit zu erhalten und damit auch die Lebensqualität deutlich zu verbessern. Durch die von uns praktizierte Vorgehensweise gelingt es praktisch immer, zumindest die Dosierung zu reduzieren, was natürlich auch eine Reduktion der nicht seltenen, unerwünschten Nebenwirkungen zur Folge hat.
AV: Für manche Menschen stellt eine Ernährungsumstellung durchaus eine Einschränkung der Lebensqualität dar. Viele haben auch ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal etwas zu sich nehmen, was sie eigentlich nicht sollten. Können Sie diesen Patienten spezielle Empfehlungen geben?
Dr. Hölz: Natürlich denken viele Menschen zunächst daran, dass eine Ernährungsumstellung eine Einschränkung ihrer Lebensqualität bedeutet, da Essen und Trinken wichtige Anteile unseres Lebens sind. Aus diesem Grunde ist es ausserordentlich wichtig, die betroffenen Patienten von Anfang an in die Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen und Zusammenhänge genau zu erklären.
Wenn die Ernährungstherapie jedoch erfolgreich ist, die Beweglichkeit wieder besser wird, die Schmerzen weniger werden, dann wird der Patient viel leichter seine neue Ernährung durchhalten als z. B. ein Patient mit einer Stoffwechselerkrankung. Die betroffenen Menschen lernen sehr schnell, was ihnen gut tut und was nicht. Eine Ernährungsumstellung wird dann nicht mehr als Verzicht erlebt, sondern als ein ganz wichtiger Gewinn beim täglichen Wohlbefinden. Schuldgefühle oder Schuldzuweisungen helfen nicht weiter, es kann nur darum gehen, dass der betroffene Patient und der behandelnde Arzt gemeinsam einen individuellen Weg zu mehr Gesundheit finden.
AV: Sie empfehlen zu Beginn einer Ernährungstherapie ein Heilfasten. Muss man da nicht wegen möglicher Mangel oder Unterernährung aufpassen?
Dr. Hölz: Mangel- oder Unterernährung tritt nicht bei einer kurzen Fastenzeit auf, sondern ist die Folge einer langjährigen schweren Erkrankung oder einer langjährigen Fehlernährung. Der zu erwartende Erfolg einer Heilfastentherapie ist so gross, dass unter erfahrener ärztlicher Aufsicht eine vorübergehende «Mangelernährung» fast immer in Kauf genommen werden kann. Liegt schon eine ausgeprägte Mangelernährung vor, kann dies auch während der Fastenzeit durch die Substitution mit hochwertigen Ölen oder antioxidativ wirksamen Vitaminen ohne Probleme ausgeglichen werden.
AV: Spielt auch Übergewicht eine Rolle bei der Entstehung rheumatischer Erkrankungen? Das ist zumindest das Ergebnis einer amerikanischen Studie.
Dr. Hölz: Übergewicht ist meist bedingt durch eine überhöhte Gesamtfettzufuhr und hier besonders durch die Zufuhr an tierischem Fett. Dessen entzündungsfördernde und immunologisch schädlichen Wirkungen sind gut belegt, so dass bei diesem Mechanismus eine vermehrte Entstehung rheumatischer Erkrankungen durchaus denkbar ist. Unabhängig davon belastet natürlich Übergewicht insbesondere die Gelenke.
AV: Wie Sie eingangs sagten, empfehlen Sie auch zusätzliche Therapien, z. B. Bewegungstherapien.
Dr. Hölz: Meines Erachtens lassen sich vernünftige Ernährungstherapie und Bewegungstherapie nicht trennen, da Bewegung die Stoffwechselvorgänge nachhaltig beeinflusst. Die regelmässige krankengymnastische Einzelbehandlung ist unverzichtbar. Auch ausdauerorientierte Bewegung, so gut wie eben möglich, sollte unbedingt täglich durchgeführt werden. Weitere Verfahren aus dem Bereich der Naturheilkunde sind ebenso, wie schon erwähnt, häufig sehr hilfreich und ein unverzichtbarer Bestandteil einer effektiven Therapie bei chronischen Krankheiten, ganz besonders bei chronischen rheumatischen Erkrankungen.