Auf der Basis der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und unter Einfluss koreanischer Heilkundiger entwickelte sich in Japan ab dem 5./6. Jahrhundert das sogenannte Kampo (übersetzt: «chinesische Methode»). Heute wird darunter eine moderne und zugleich traditionelle Medizin verstanden.
Autorin: Andrea Pauli, 06/21
Wie so vieles, ist auch die Medizin in Japan stark beeinflusst von China – buddhistische Mönche brachten im 6. Jahrhundert die chinesische Kultur mit ihrer Schrift, Philosophie, Handwerkskunst und Heilkunde nach Japan. Aufgrund eigener Erfahrungen wurde die «chinesische Methode» kontinuierlich modifiziert. Das lag nicht zuletzt auch daran, dass zahlreiche TCM-Heildrogen in Japan nicht angebaut wurden, nicht erhältlich waren, respektive sehr teuer hätten importiert werden müssen. Also setzte man auf einheimische (äquivalente) Pflanzen, die dann mit den chinesischen Bezeichnungen versehen wurden.
Mit der Öffnung Japans zum Westen hin wurde Kampo im 20. Jahrhundert auch um Elemente der westlichen Medizin ergänzt.
Die Auffassung von Gesundheit bzw. Krankheit entstammt der TCM. Kurz gefasst: Bei einer gesunden Person sind die verschiedenen, auf den Körper einwirkenden Kräfte ausgeglichen («harmonische Mitte»). Krankheit ist die Folge eines unausgeglichenen Zustandes, «sho» genannt.
Das «sho» entsteht durch äussere bzw. innere Ursachen.
Die äusseren Ursachen sind Kälte, Hitze, Feuchte, Trockenheit, Feuer, Wind, zudem infektiöse Krankheitserreger.
Die inneren Ursachen sind Zorn, Freude, Leidenschaft, Trauer, Angst, Schreck, Nachdenken.
Auch im Kampo geht man von einem «ki» (chinesisch: qi) aus, einer zirkulierenden Vitalkraft. Das ki gerät durch einen Überschuss oder Mangel aus dem Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht gilt es, wiederherzustellen.
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Das komplementäre Heilverfahren ist in Japan Sache von schulmedizinisch ausgebildeten Ärzten, die über eine entsprechende Zusatzausbildung verfügen. Entsprechend kommen in der Diagnostik Kriterien der westlichen Medizin ebenso zum Einsatz wie naturheilkundliche. Es werden Laborwerte (Blut, Urin) erhoben und nach Bedarf bildgebende Verfahren genutzt. Die Kampo-Untersuchung besteht aus einem Gespräch, der audio-olfaktorischen Untersuchung (Geruch des Patienten prüfen), der Inspektion besonders von Zunge und Haut sowie dem Abtasten von Unterarm und Unterleib (spezielle japanische Besonderheit, anders als in der TCM).
Hat sich der Arzt ein Bild von der Krankheit gemacht, konzentriert er sich bei der Auswahl der Arznei auf ein Leitsymptom. Je nach Reaktion des Patienten, wird die Rezeptur geändert bzw. ein anderes Mittel gesucht. Es gibt 210 offizielle Kampo-Arzneien, für die ca. 350 Drogen zum Einsatz kommen. In der Regel hat eine Arznei zwei bis 15 Komponenten. Neben pflanzlichen Drogen verwendet man auch Pilze, mineralische und tierische Drogen. Traditionell werden die japanischen Arzneidrogen pulverisiert. Erhältlich sind die Kampo-Arzneien heutzutage überwiegend in Form industriell hergestellter Granulate. In Krankenhäusern bevorzugt man jedoch die Tee-Zubereitung (toeki) der ungepulverten Drogenmischung.
Kampo-Ärzte beraten ihre Patienten auch hinsichtlich der richtigen Ernährung. Die Nahrungsmittel werden nach ihrem yin-yang-Charakter beurteilt, sollen also Überschuss minimieren bzw. Mangel ausgleichen. Wichtig ist, Nahrungsmittel der entsprechenden Saison zu verzehren (shin do fu ji).
Heilkräuter-Restaurants bieten u.a. entsprechende «heilsame Gerichte» (yakuzen) an, die mit Kampo-Drogen zubereitet wurden.
Forscher japanischer und internationaler Universitäten beschäftigen sich zunehmend mit Inhaltsstoffen und Wirkung von Kampo-Präparaten. Führende Kampo-Ärzte weisen allerdings darauf hin, dass rationale Analyse allein nicht das Wesen von Kampo erfasst. Erfahrung und sogenanntes stilles Wissen seien ebenso wichtig.