Viele junge Paare möchten eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Sie wollen sich die Arbeit in Beruf und Familie gerecht teilen. Das funktioniert, bis das erste Kind kommt. Dann ist oft alles ganz anders.
Autorin: Gisela Dürselen, 11.14
Die Mutter arbeitet in Teilzeit, der Vater in Vollzeit. Das ist die Realität in den meisten Familien. Je mehr Kinder, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Frau sich zumindest zeitweise im Beruf zurück nimmt und der Mann als Hauptverdiener sich auf den Job konzentriert.
2013 veröffentlichte das Schweizer Bundesamt für Statistik eine Studie über Eltern: Ihr zufolge leben – je nach Alter der Kinder – nur 3,5 bis 5,5 Prozent das sogenannte egalitäre Modell, bei dem beide Partner in Teilzeit arbeiten. Die Situation in Deutschland ist ähnlich: Drei Viertel aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Mit allen Folgen für Wiedereinstieg und Rentenansprüche.
Dabei sind engagierte Väter wichtig für die ganze Familie, denn sie machen es zwar nicht besser als die Mütter, dafür aber anders, schreibt der Schweizer Heilpädagoge und Vätercoach Christoph Popp in seinem Buch «Zeit zum Vatersein»: «Ein präsenter und verfügbarer Vater ermöglicht es der Mutter, nicht in eine Super-Mami-Rolle steigen und sich damit zwangsläufig überfordern zu müssen. Sie darf sich auch mal erlauben, ‹genug zu haben vom Kindergeschrei› oder an ihre Grenzen zu stossen, sie darf sich auch mal ‹männlich abgrenzend› verhalten – im Wissen darum, dass der Vater in diesem Moment ‹mütterlich integrierende› Kräfte entfalten und die Situation in seiner Art ‹auffangen› und aus gleichen kann.»
Familiäres Engagement des Vaters stabilisiert die Partnerschaft und erlaubt es den Kindern, von Anfang an eine Vielfalt im menschlichen Verhaltens-Repertoire zu erleben. Denn: «Es wäre bedauerlich, wenn die Söhne ein neutralisiertes Bild vom Mannsein vermittelt bekämen oder einen ‹verweiblichten› Vater erfahren müssten, der all seine Ecken und Kanten abgeschliffen hat. Väter dürfen ihren Kindern eine kraftvolle und zupackende, auch mal ungeduldige und zielstrebige Männlichkeit zumuten.
Und sie dürfen auch ihre verletzliche und ängstliche Seite zeigen – ganz und gar männlich.» Laut Popp profitieren von ihrer Präsenz in der Familie nicht zuletzt die Väter selbst – durch die Nähe zur Partnerin und zu den Kindern und durch das Training sozialer Fähigkeiten, die auch in der Wirtschaft gefragt sind: zum Beispiel Kooperation und Organisation, gutes Zuhören und Einfühlungsvermögen.
Warum Wunsch und Realität sich in vielen Familien so sehr unterscheiden, dafür haben Wissenschaftler drei Hauptgründe ausgemacht: Rollenbilder aus dem Umfeld, wie etwa die Erwartung an die Frau, dass sie den Hauptteil der Kindererziehung und später die Pflege der alten Eltern übernimmt, ausserdem wirtschaftliche Notwendigkeiten sowie gesetzliche und betriebliche Rahmenbedingungen.
Mit der Geburt des ersten Kindes muss sich ein Paar als Eltern neu organisieren: Wenn jetzt beide in Teilzeit arbeiten, könnten beide mehr vom Kind haben. Aber diese Lösung ist oft nicht finanzierbar, und so erscheint eine Arbeitsteilung logisch: Der Besserverdienende arbeitet weiter in Vollzeit; der Partner mit weniger Einkommen konzentriert sich eine Zeit lang auf Haus- und Erziehungsarbeit.
Laut einer Statistik der Europäischen Kommission von 2014 verdienen Männer durchschnittlich 16 Prozent mehr als Frauen. Darum sind es meist die Frauen, die ihre Teilzeitarbeit mit den Verfügbarkeiten von Krippe oder Ganztagsbetreuung in Einklang bringen müssen. Es sind auch meist die Frauen, die überlegen, ob und wie es sich lohnt zu arbeiten, wenn die Kinderbetreuung einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens verschlingt.
«Je nachdem, wie Einkommen, Steuern und Betreuungstarife zusammenwirken, werden gerade auch für Mütter und Väter positive oder negative Erwerbsanreize gesetzt.» Zu diesem Ergebnis kommt eine mehrjährige Studie des Schweizer Nationalforschungsprogramms «NFP 60» zur Gleichstellung der Geschlechter.
Als problematisch sehen viele Schweizer Paare darüber hinaus die Steuerprogression sowie den Mangel an bezahlbaren Familienwohnungen und Kinderbetreuungs-Möglichkeiten. Im Rahmen des NFP 60* stellten die Forscher fest, dass die Bedingungen regional deutlich variieren: «Die Ost- und Zentralschweiz sind Schlusslicht bei der Kinderbetreuung ... Neben der Westschweiz bieten der Kanton Basel-Stadt sowie der Wirtschaftsraum um Zürich und Zug die meisten Plätze für die Kinderbetreuung ausser Haus.»
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Kontrovers bleibt die Diskussion um einen Vaterschaftsurlaub für alle. «Viele Arbeitgebende erwarten, dass der Erwerbsgrad von Männern stetig 100 Prozent beträgt», steht in dem NFP 60-Bericht. Dabei könnte Familienfreundlichkeit in Zeiten des Fachkräftemangels sogar ein Wettbewerbsvorteil sein.
Zu diesem Schluss kamen zumindest die Teilnehmer des Ersten Schweizer Vereinbarkeitsgipfels im Mai 2014, bei dem es hiess: «Familienfreundliche Arbeitsbedingungen, die die individuellen Lebenswünsche der Arbeitnehmenden in Einklang mit den unternehmerischen Zielen bringen, sind eine wichtige Voraussetzung, damit sich ein Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber positionieren kann.»
In Deutschland gibt es das steuerliche Ehegattensplitting, von dem jene Paare am meisten profitieren, bei denen das Einkommensgefälle zwischen den Partnern besonders hoch ist. Traditionelle Akzente setzt auch die kostenlose Mitversicherung in der Krankenkasse: Wenn ein Partner nicht arbeitet oder unter der steuerlichen Grenze von 450 Euro bleibt, ist er oder sie beim erwerbstätigen Partner mitversichert.
Anreize für Väter, sich mehr an der Kindererziehung zu beteiligen, setzt seit 2007 das Elterngeld. Mittlerweile beantragt neben den Müttern auch jeder fünfte Vater Elterngeld – allerdings meist nur für die kürzeste mögliche Dauer von zwei Monaten. Das ab 2015 geplante «Elterngeld plus» verlängert die staatlichen Zuschüsse, wenn die Eltern nach der Geburt eines Kindes beide in Teilzeit arbeiten.
Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung plädieren indes für eine generelle Flexibilisierung der Familienarbeitszeit. Diskutiert werden mehrere Modelle: eine staatlich bezuschusste «Vollzeit-Light-Version» für beide Elternteile, ein Lebensarbeitszeit-Konto und mehr Gleitzeit-Möglichkeiten.
«Chancengleichheit von Mann und Frau: Einiges ist erreicht, viel bleibt zu tun», heisst es auf der Webseite des NFP 60. Nach vielen kontroversen Diskussionen bleiben Politiker und Arbeitgeber in der Bringschuld, und nach vielen Forschungen bleiben immer noch offene Fragen: Was ist zum Beispiel mit der wachsenden Anzahl von Alleinerziehenden, unter denen immer öfter auch Männer sind?
Oder wie geht es den unzähligen Putzfrauen, Kinderfrauen und Altenpflegerinnen, ohne die viele Eltern gar nicht arbeiten könnten? Oft schlecht bezahlt und kaum wahrgenommen von der Öffentlichkeit leisten diese Hausangestellten eine wichtige Arbeit in Familie und Gesellschaft: Sie übernehmen die Fürsorge für andere, die als sogenannte «Care-Arbeit» damit weiter fest in weiblicher Hand bleibt.
«Eine ausgewogenere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern setzt die gesellschaftliche Anerkennung und eine angemessene soziale Absicherung unbezahlter Care-Arbeit voraus», ist im NFP-60-Bericht zu lesen. In der Diskussion um neue Väter und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht es also auch um Fragen wie diese: Was ist einer Gesellschaft wie viel wert? Und: Welche Wertschätzung geniesst generell die Fürsorge für andere?