Genauso wichtig wie die regelmässige ärztliche Kontrolle ist die Selbstuntersuchung der Brust. Die bemerkenswerte Initiative "discovering hands" bietet eine zusätzliche Möglichkeit gezielter Früherkennung.
Autorin: Silke Lorenz, 11/20
Behutsam befühlt eine blinde Frau mit ihren besonders sensiblen und geschulten Fingerspitzen die Brüste einer Patientin. Aber nicht kreuz und quer, sondern strukturiert nach einem bestimmten Schema. Die Untersuchung erfolgt im Sitzen und im Liegen. Patentierte Spezialklebestreifen, die über den Brüsten angebracht werden, helfen den Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU) bei der Orientierung. Damit tasten sie das Brustdrüsengewebe vollständig und gründlich in allen drei Ebenen ab. Die MTU haben alle das Ausbildungsprogramm des Sozialunternehmens «discovering hands» durchlaufen.
Der Gründer Dr. Frank Hoffmann sagt: «Brustkrebs kann heilend behandelt werden, wenn es uns gelingt, den Tumor rechtzeitig zu erkennen. ‹Discovering hands› arbeitet daran, den überlegenen Tastsinn der Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen in der Brustkrebsfrüherkennung zu verankern und Leben zu retten.»
Eine kleine Studie an der Universitäts-Frauenklinik Erlangen mit rund 400 Frauen zeigt: MTU finden bei nicht voroperierten Frauen genauso häufig Auffälligkeiten im Gewebe, die dann weiter untersucht werden müssen, wie Ärzte. «Entscheidend ist, dass durch die Einbeziehung der MTU in die ärztliche Untersuchung die Sensitivität um 20 Prozent zunimmt», so Dr. Hoffmann. (Je höher die Sensitivität einer Untersuchungsmethode oder eines Tests, desto sicherer wird eine mögliche Erkrankung erfasst.)
Schwieriger ist es für die MTU, bei bereits operierten Frauen, da deren Gewebe oftmals vernarbt ist. Hoffmann stellt klar: «MTU sind ausschliesslich als ärztliche Assistentinnen tätig, sie unterstützen die ärztliche Diagnostik und stehen nicht in Konkurrenz zu Ärzten.» Auch wenn so mancher Gynäkologe skeptisch bleibt, so erstatten 28 der deutschen Krankenkassen und alle Privatkassen bereits die Kosten (in Höhe von 46,50 Euro). Denn die taktile Brustuntersuchung kann eine sinnvolle Ergänzung zur Früherkennung sein. Zumal, da für das Abtasten durch den Frauenarzt aufgrund des hohen Zeitdrucks in der alltäglichen Praxis oftmals nur ein paar Minuten verbleiben. Sich einzig und allein auf die MTU zu verlassen, ist jedoch nicht das Ziel. Die Kombination aus allen Untersuchungsmöglichkeiten sei optimal, so Experten.
Auch in der Schweiz sollen künftig medizinisch-taktile Untersucherinnen eingesetzt werden. Denn an Brustkrebs (Mammakarzinom) erkranken in der Schweiz pro Jahr etwa 6200 Frauen (und 50 Männer), so die Angabe der Krebsliga Schweiz. Damit ist Brustkrebs die häufigste Krebsart bei Frauen: Auf Brustkrebs entfällt fast ein Drittel aller Krebsdiagnosen bei Frauen. Obwohl das Brustkrebsrisiko nach dem 50. Lebensjahr deutlich ansteigt, betrifft die Krankheit auch jüngere Frauen. 20 Prozent aller Patientinnen sind zum Zeitpunkt der Diagnose jünger als 50 Jahre. Gerade für diese Altersgruppe, die noch nicht zum Mammografie-Screening eingeladen wird, könnte die taktile Untersuchung eine Option sein.
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Das Projekt von «discovering hands» verfolgt auch Dr. Gesa Otti-Rosebrock sehr aufmerksam. «Ich kann mir vorstellen, dass ein ausgewähltes Klientel von Frauen hier profitieren könnte. Aber nicht jede Brust kann alleine durch eine manuelle Untersuchung ausreichend abgeklärt werden. Die richtige Einschätzung sehe ich hier auf jeden Fall bei der Frauenärztin», sagt die Gynäkologin aus Biel. Sie selbst ermutigt ihre Patientinnen dazu, ihre Brust regelmässig abzutasten, vorzugsweise nach der Periode. Dann ist das Gewebe weicher. «Natürlich ist es zu Beginn schwierig und irritierend, das Drüsengewebe von einer Neubildung abzugrenzen. Aber wir sollten mehr darauf vertrauen, dass unser Gehirn mit der Zeit unsere Brustlandschaft wie eine Landkarte scannt und uns bei Unstimmigkeit ein Signal sendet, auf das wir dann reagieren sollten», findet Dr. Gesa Otti-Rosebrock.
Während ihrer Ausbildung zur Ärztin hat sie etwas Entscheidendes gelernt, das sie auch ihren Patientinnen ans Herz legt: «Ich muss nicht immer genau wissen, was mich beunruhigt. Aber diese Unruhe kann ein Zeichen sein, dass etwas nicht stimmt. Dann schaue ich genauer hin und hole mir Hilfe. Ich denke, das nennt man Instinkt. Diesem sollten wir wieder mehr Gewicht schenken.»
Ungewöhnliche Veränderungen der Brust sollte jede Frau umgehend mit ihrer Frauenärztin besprechen. Was beunruhigen könnte, sind zum Beispiel Verhärtungen oder Knoten an den Brüsten oder in den Achselhöhlen. Oder wenn sich die Brüste in Grösse, Form oder Farbe verändern, besonders, wenn es einen deutlichen Grössenunterschied gibt. Zieht sich die Brustwarze ein, wölbt sich vor oder rötet sich, könnte das auch ein Anzeichen sein. Ebenso, wenn milchige, blutige oder dunkel gefärbte Flüssigkeit aus den Brustwarzen austritt. Oder wenn man plötzlich unerklärlich Gewicht verliert. Schmerzen sind leider kein typisches Symptom und auch kein früher Hinweis auf einen Tumor.
Die Frauenärztin nennt ein Beispiel: «Am häufigsten wächst der Brustkrebs im oberen äusseren Quadranten der Brust. Genau hier ist aber auch das Drüsengewebe oft recht dicht. Das macht die Einschätzung schwieriger. Sofern Schmerzen in der Brust oder unangenehme Spannungsgefühle eine Zyklusdynamik aufweisen, kann das einfach mit einem vermehrten Flüssigkeitseinstrom hormonell bedingt erklärbar sein. Schmerzen, die nach der Periode nicht mehr vorhanden sind, wären hierfür typisch.» Da Otti-Rosebrock zugleich Phytotherapeutin ist, rät sie zu pflanzlichen Arzneimitteln zum Einnehmen oder zum Auftragen auf die Haut. So gleichen Mönchspfeffer, Frauenmantel, Schafgarbe und Melisse hormonelles Ungleichgewicht aus.
Während der Periode und kurz danach enthält das Gewebe meist weniger Flüssigkeit als zur Zeit des Eisprungs und fühlt sich lockerer an. In der zweiten Zyklushälfte verdichtet sich das Gewebe wieder. Hier kann ein Tee aus Brennnessel- und Birkenblättern helfen, vermehrt Flüssigkeit abzutransportieren.
Am meisten verändert sich die Brust mit Schwangerschaft und Stillzeit. Das wirkt noch lange nach: Das Brustgewebe von Frauen, die Kinder geboren und gestillt haben, ist oftmals weicher als bei kinderlosen Frauen. Hormonhaltige Medikamente wie die Pille zur Verhütung oder Hormone gegen Wechseljahrbeschwerden führen laut Krebsinformationsdienst bei den meisten Frauen ebenfalls zu dichterem Gewebe und einer festeren Brust. Nach den Wechseljahren fehlt der Einfluss der Hormone, und die Brust ist meist insgesamt weniger fest.
Die Selbstuntersuchung kann und sollte nicht die ärztliche Kontrolle ersetzen. Da jede Brust anders ist und sich unterschiedlich entwickelt, ist die Untersuchung beim Frauenarzt sehr wichtig. Ein Check einmal jährlich befindet Dr. Gesa Otti-Rosebrock jedoch eindeutig als ungenügend, zumal die meisten Frauen tendenziell eher in grösseren Abständen als jährlich die Vorsorgeuntersuchung wahrnehmen. «Mit der Veränderung des Screening-Intervalls beim Abstrich des Gebärmutterhalses auf drei Jahre – sofern die vorherigen Abstriche unauffällig waren –, herrscht eine grosse Verunsicherung, wie oft man die Frauenärztin aufsuchen darf. Doch die regelmässige Untersuchung ist wichtig und sollte sich nie nur auf den Abstrich am Gebärmutterhals beziehen», stellt die Bieler Gynäkologin klar. Sie empfiehlt den Untersuchungsturnus individuell je nach Lebensalter und Gesundheitszustand.
Zudem bestehen in vielen Kantonen sogenannte Screening-Programme: Alle Frauen ab 50 Jahren werden im Abstand von zwei Jahren zu einer Mammografie zur Früherkennung eingeladen. Die Teilnahme ist freiwillig. Die Krebsliga Schweiz beispielsweise empfiehlt diese Screening-Programme, um Brustkrebs in einem frühen Stadium zu entdecken und schonender behandeln zu können.
In der weiteren Kombination mit der Tastuntersuchung zu Hause, der Kontrolle beim Frauenarzt und eventuell der taktilen Untersuchung können sich Frauen also gut absichern.
Tipp: systematisch von links nach rechts oder von oben nach unten tasten.