Die Esskastanie (Castanea sativa) war das Hauptnahrungsmittel in den südlichen Alpentälern, bevor die Kartoffel ihren Siegeszug antrat. Heute ist die Edelkastanie eine Herbstdelikatesse mit vielen Zubereitungsmöglichkeiten.
Text: Carolina Amberg
Gar nicht so einfach zu beschreiben; süsslich-herb, mehlig-fest? Auf jeden Fall unverkennbar. Man mag sie oder man mag sie nicht. Ein Zwischending gibt’s selten. Schade für all jene, die sich die köstlichen Marroni vor dem Mund vorbeiziehen lassen: Steckt doch viel Gesundes drin. Das wusste schon Hildegard von Bingen, Heilkundige des Mittelalters. Für sie waren Kastanien ein universelles Stärkungsmittel. Und den Edelkastanienbaum nannte sie «Baum der Weisheit». Das mag am Alter liegen: Eine Edelkastanie kann über 1000 Jahre alt werden.
Weise also, wer die Vorzüge der Kastanie für sich einsetzt: Geröstete Marroni stärken das Immunsystem. Die Nuss-Frucht gilt als «warmes» Nahrungsmittel. Sie enthält wichtige Vitamine (A, C, B1 und B2 sowie Niacin), Folsäure, Mineralstoffe, vor allem Kalium (395-707 mg pro 100g), Magnesium und Calcium. Der Gehalt an essentiellen Aminosäuren ist hoch, der Proteingehalt liegt zwischen dem von Kartoffeln und Getreide. Maroni haben weniger Fett (2%) als Nüsse, dafür einen hohen Anteil an Linol- (550-718 mg ) und Linolensäure (78-92 mg) je 100 Gramm Frischmasse. Der Gehalt an Stärke ist rund doppelt so hoch wie bei Kartoffeln. Auch der Kohlenhydratanteil ist hoch (40%), weshalb Marroni früher oft zu Mehl verarbeitet und zu Brot gebacken wurden. Die komplexen Kohlenhydrate machen schnell satt und lassen den Blutzucker nur langsam ansteigen. Sekundäre Pflanzenstoffe wie Flavonoide und Lignane wirken zudem antioxidativ und damit Entzündungen im Körper entgegen.
Bei Leberproblemen empfahl Hildegard von Bingen Kastanienhonig, zur Herzstärkung gekochte Kastanien oder Kastanienmehl. Tee aus klein geschnittenen Kastanienblättern soll bei Atemwegsbeschwerden und Durchfall helfen. Auch für Magenprobleme finden sich Rezepte. Ursache ist vermutlich die stark basische Wirkung. Bei Gicht und Jähzorn wurde gar gebadet: in einem Abguss aus Blättern, Schalen und Früchten der Edelkastanie. Die Blüte hat zudem einen wichtigen Stellenwert unter den Bachblüten. Dort gilt die «sweet chestnut» als Helfer bei grosser seelischer Not.
In den Blättern der Esskastanie stecken Inhaltsstoffe mit einem vielversprechenden medizinischen Potenzial. Forscher der Emory University in Atlanta fanden heraus, dass ein Extrakt aus den Blättern des Baumes krankmachende Staphylococcus-aureus-Bakterien unschädlich machen kann, ohne dabei Resistenzen auszulösen. Der Extrakt tötet die Bakterien im Gegensatz zu herkömmlichen Antibiotika nicht, er verhindert aber, dass die Bakterien untereinander kommunizieren und Toxine produzieren können. Der Erreger kommt zwar relativ häufig vor, löst aber selten Krankheitssymptome aus. Doch ist er durchaus gefährlich, v.a. wenn er zusätzlich resistent gegen Antibiotika ist (MRSA). Bei Personen mit einem geschwächten Immunsystem, wie z.B. bei Kranken oder Alten, kann der Erreger unter anderem Wundinfektionen und Entzündungen der Atemwege hervorrufen. Die Forscher kamen über eine aufwendige Recherche im ländlichen Mittelmeerraum auf die Kastanie. Bewohner dieser Region gaben an, die Blätter der Kastanie oft in Form von Tee gegen Hautinfektionen und Entzündungen einzusetzen.
Nicht jede Bezeichnung meint aber dasselbe: Die Marrone ist genau genommen eine gezüchtete Sorte der Edelkastanie, die Nussfrucht ist meist grösser, runder und aromatischer. In der Küche wird die Marrone bevorzugt verwendet, und dies in allen erdenklichen Arten und Kombinationen. Vermicelles (Maronenpüree) ist aus Schweizers Dessert-Küche kaum wegzudenken. Österreich kennt dasselbe als «Kastanienreis». Besonders in der Südschweiz und im Piemont findet man weitere Köstlichkeiten aus Kastanien: Kuchen, Torten, Crèmes, auch Suppen oder Salate mit Kastanien oder Gnocchi aus Kastanienmehl, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Da der Proteinanteil frei von Prolamin und Glutenin ist, eignet sich Kastanienmehl nur in Mischung mit anderem Mehl zum Backen. Dafür ist Kastanienmehl glutenfrei und eignet sich für Zöliakie-Patienten.
Und auch beim Hirschpfeffer dürfen die Marroni als Beilage nicht fehlen. Wer mag, kann Marronen auch roh essen, wichtig aber: gründlich kauen! Die grosse Portion Stärke kann sonst Blähungen verursachen.
Frische Kastanien sollten zuerst in Wasser gelegt und gewaschen werden. Anschliessend diejenigen, die obenauf schwimmen, aussortieren und die anderen am spitzen Ende kreuzweise einschneiden. Denn wenn die Nussfrucht im Wasser aufschwimmt, ist sie nicht mehr geniessbar. Die vorbereiteten Kastanien ca. 20 Minuten vorkochen und dann die braune aussen und die gelbe Innenhaut entfernen, denn sie enthält Gerbsäure. Voilà, die gekochten Kastanien für ein Wildgericht können serviert werden.
Um geröstete Kastanien zu erhalten, vorbereitete Früchte in einer Eisenpfanne ca. 30 Minuten rösten, immer wieder schütteln, mit etwas Wasser befeuchten und schliesslich schälen.
Ursprünglich aus Vorderasien, wurde die Kastanien (Kastanie, Marone, Mar(r)oni, Chäschtene, Keschte, Chegele) bereits im 5. Jahrhundert vor Christus nach Griechenland eingeführt und fand so ihren Weg über Italien, Spanien, Frankreich bis in die Schweiz und nach Deutschland. Schon im 12. Jahrhundert wurde die in der Sonnenstube der Schweiz beheimatete Edelkastanie auf dem Markt von Locarno gehandelt. Auch heute noch ist sie ein Leckerbissen, den die Marroniverkäufer in der kalten Jahreszeit mit ihrem «Marroni, Marroni!» fast in jeder Stadt anpreisen.
In den französischen Cevennen war die Kastanie bis ins 17. Jahrhundert Hauptnahrungsmittel, bevor sie von der Kartoffel verdrängt wurde. In den italienischen Alpentälern und in gewissen Regionen der Schweiz war sie Ersatznahrungsmittel bei grossen Missernten. Nicht umsonst wird die Kastanie oft als «Brot der Armen» bezeichnet. Die Edelkastanie gehört zu den Buchengewächsen. Mit der Rosskastanie, deren Früchte für den Menschen ungeniessbar sind, ist sie nicht verwandt. Sie hilft als natürliches Heilmittel bei Venenleiden und wird deshalb von vielen hoch geschätzt. Beim jungen Baum vergehen rund 20 bis 30 Jahre, bis er das erste Mal blüht. Vorher gibt’s keine Früchte.
Selleriesuppe mit Kastanien
Zutaten für sechs Personen:
Knoblauch zerdrücken, mit den Marronen und Lauchringen in Butter glasig dünsten. Mit Weisswein ablöschen, Bouillon und Crème fraîche dazu geben. Selleriestreifen beifügen, ca. 20 Minuten köcheln lassen, bis Marronen und Sellerie weich sind. Dann das Ganze mit Pürierstab mixen, mit Zitrone, Salz und Pfeffer abschmecken.
Suppe durch ein Sieb passieren, vor dem Servieren nochmals mit dem Pürierstab schaumig schlagen. Teller mit Selleriestreifen garnieren.
Kräftige Kastaniensuppe
So wird's gemacht: Öl in einem Topf erhitzen und mit dem Buchweizenmehl eine helle Einbrenne herstellen, mit der Brühe aufgiessen, glattrühren und 15 Minuten köcheln lassen. 200 g Kastanien im Mixer mit der Milch pürieren und in die Suppe giessen. Die Flüssigkeit nochmals aufkochen, mit Ahornsirup, Herbamare und frisch gemahlenem Pfeffer sowie Sherry abschmecken. Die restlichen Kastanien in kleinen Würfeln dazugeben, mit Petersilie bestreuen.
Kastaniendessert
So wird's gemacht: Kastanien vorkochen und schälen. Mit Milch, Honig, Vanille fertiggaren. Im Mixer pürieren, mit Rum und Mandeln mischen, im Kühlschrank 30 Minuten erkalten lassen. Die steifgeschlagene Sahne zur Hälfte unterheben und mit dem Rest garnieren. Beide Rezepte gelten für vier Portionen.
Noch mehr Marroni Rezepte?
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.