Heilpflanzen und -kräuter enthalten biologisch aktive Stoff, die uns in der Stressabwehr unterstützen können. Sieben Beispiele mit Anwendungstipps.
Autorin: Anja Rech, 08/21
Die Widerstandsfähigkeit gegen Stress, als Stressresilienz bezeichnet, lässt sich gezielt stärken: «Auf der Suche nach Arzneien gegen Stress, Burn-out und Zivilisationskrankheiten wird die medizinische Forschung bei Pflanzen fündig, die in hohem Masse biologisch aktive Stoffe aufweisen», erklärt Dr. Berndt Rieger, Leiter des Zentrums für traditionelle europäische Medizin in Bamberg. «Diese können unserem Organismus dabei helfen, seine Kräfte gegen körperliche und emotionale Stresssituationen zu stärken», ergänzt der Internist. Weil sie uns dabei unterstützen, uns an belastende Situationen anzupassen, also sie zu adaptieren, spricht man von Adaptogenen.
Eigentlich sind Stressreaktionen eine hilfreiche Antwort des Körpers: Er schüttet rund 45 Hormone aus, die aktivierend wirken. Das bekannteste ist Adrenalin, das wichtigste Cortisol. Sie lassen das Herz schneller schlagen, steigern die Muskelspannung und erhöhen den Blutdruck sowie den Blutzuckerspiegel. Damit halfen sie unseren Vorfahren, sich beispielsweise durch Flucht aus einer Gefahrensituation zu retten. Was die Natur jedoch nicht vorgesehen hat: dass wir dauerhaft unter Stress stehen. «Wenn mein Lebensstil hektisch ist, schütte ich schneller und häufiger Cortisol aus; der erhöhte Cortisolspiegel ist länger im Blut vorhanden. Damit belaste ich das Kreislaufsystem und überfordere den Stoffwechsel», beschreibt der Experte. Dies kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigern, zu Erschöpfung und erhöhter Infektanfälligkeit führen, zu Schilddrüsen- oder Magenproblemen, Schlafstörungen oder Depressionen. Deswegen ist es so wichtig, zwischendurch immer wieder für Erholung zu sorgen.
«Adaptogene Pflanzen beinhalten Stoffe, die den Nebennieren dabei helfen, Cortisol zu sparen. Sie erlauben eine differenzierte hormonelle Antwort auf den Stress und unterstützen Faktoren, die bei der Auflösung der Stress-antwort gebraucht werden», so der Mediziner. Das funktioniert über mehrere Mechanismen: Adaptogene stärken das Hormonsystem, das Nerven- und das Immunsystem. Die Forschung weiss bisher nur in Ansätzen, wie das funktioniert. Inhaltsstoffe namens Sitoindoside ähneln dem Cortisol, andere dem Adrenalin. Damit stärken sie die Nebennieren. Manche Adaptogene erhöhen die Ausschüttung von Schutzstoffen, die Reparaturen von Zellschäden fördern. Sie liefern Chaperone, das sind Proteine, welche die Stresseinwirkung auf das Gewebe verringern und die Erholungszeit verkürzen. Sie bremsen die Bildung von Stickoxiden, welche im Übermass die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
Adaptogene wendet man entweder als Tee oder, zu Pulver zerrieben, z.B. in Smoothies an. Einige sind auch als Fertigpräparate erhältlich. Dr. Rieger empfiehlt, sie mindestens drei Wochen in niedriger Dosierung zu sich zu nehmen. «Die Wirkung wird oft schon kurz nach der ersten Einnahme verspürt, doch ihr Nutzen zeigt sich erst im Laufe von Wochen und mitunter Monaten bei regelmässiger Einnahme.»
Die Adaptogene lassen sich, je nach Schwerpunkt ihrer Wirkung, in fünf Gruppen gliedern: hormonbildende, nervenstärkende, verjüngende, immunstärkende und aktivierende Pflanzen.
Eines der bekanntesten und am besten erforschten Adaptogene ist Ginseng. Er zählt zu den Hormonbildnern. Diese unterstützen die Nebennieren, aber auch Schilddrüse, Eierstöcke und Hoden. «Die Pflanzengruppe bildet nicht die konkreten Hormone, sondern Botenstoffe für ihren eigenen Bedarf. Diese haben jedoch beim Menschen häufig eine Wirkung, die den Hormonen vergleichbar ist», erläutert der Arzt. Bei Ginseng weiss man, dass er zwei Enzyme blockiert, die den Abbau von Stresshormonen fördern. «Dadurch bleiben die Hormone für die Stressantwort länger verfügbar. Als Folge können die Nebennieren diese besser bewältigen.»
Dabei zeigt Ginseng ganz unterschiedliche Effekte: Er kann beruhigend wirken, aber auch die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit steigern. Das hängt davon ab, ob man ihn abends oder am Morgen einnimmt. Bei Menschen mit Bluthochdruck kann er diesen senken, niedrige Werte dagegen steigern. «Diese Bipolarität finden wir bei vielen der Heilpflanzen», resümiert der Arzt. «Adaptogene führen Menschen aus Extremen in beide Richtungen zurück in die Mitte, die man Gesundheit nennt.»
Es gibt über 200 verschiedene Ginseng-Arten; am häufigsten wird der Rote Ginseng (Panax ginseng) aus Korea und China verwendet. Er wirkt gegen Abgeschlagenheit und Stress, stärkt die Gedächtnisleistung und die körperliche Leistungsfähigkeit. Auch als Beruhigungsmittel wird er eingesetzt sowie zur Aufhellung der Stimmung. «Ginseng gilt als eine langsame Arznei, die erst innerhalb von Monaten ihre ganze Wirkkraft entfaltet», sagt Dr. Rieger. Die Pflanze ist als Fertigpräparat erhältlich oder als Pulver, das aus der getrockneten Wurzel gewonnen wird.
Anwendungstipp: Geben Sie täglich 1 TL Ginsengpulver in Smoothies oder Pflanzenmilch.
Ebenfalls zu den hormonbildenden Adaptogenen zählt Süssholz (Glycyrrhiza glabra), das in vielen Teemischungen enthalten ist. Die Wurzeln des Schmetterlingsblütlers, der in Asien und Europa gedeiht, schmecken 50-mal süsser als Zucker. Die Inhaltsstoffe regen die Nebennierenrinde an und fördern die Ausschüttung von Cortisol und Aldosteron. Dies steigert den Blutdruck, was bereits bei übermässigem Konsum der Süssigkeiten ein ungesundes Mass annehmen kann. Weil Cortisol langsamer abgebaut wird, hilft die Pflanze, die Nebennieren zu schonen.
Anwendungstipp: Für einen Tee übergiesst man 1 TL zerkleinerte Wurzel mit 200 ml heissem Wasser und lässt den Trunk 8 Minuten ziehen. Menschen mit Bluthochdruck sollten jedoch auf Süssholz verzichten, ebenso Schwangere und Stillende. Nach drei Monaten Einnahme ist es ratsam, eine vierwöchige Pause einzulegen.
Eine zweite Gruppe Adaptogene stärkt vor allem die Nerven. Ihre Inhaltsstoffe wirken beruhigend, angstlösend und antidepressiv. Dazu zählt Lavendel (Lavan-dula angustifolia). Für die beruhigende Wirkung ist ein ätherisches Öl namens Linalool verantwortlich. Studien haben gezeigt, dass Lavendelöl, als Kapseln eingenommen, Ängste so gut wie ein richtiges Antidepressivum lindert.
Anwendungstipp: 1 EL getrockente Lavendelblüten mit 250 Milliliter heissem Wasser überbrühen und 8 Minuten ziehen lassen.
Ein weiteres nervenberuhigendes Adaptogen ist die Rosenwurz (Rhodiola rosea), ein robustes Dickblatt-gewächs, das in unwirtlichen Regionen wie der Arktis oder dem Hochgebirge gedeiht. Es verbessert die Hirnleistung sowie die Stimmung und wirkt Müdigkeit entgegen. «Unter allen Pflanzen, die die Stressresilienz steigern, konnte die Wirkung der Rosenwurz am besten belegt werden», fasst der Arzt zusammen.
Anwendungstipp: 2 TL Rosenwurz in 250 ml heissem Wasser 10 Minuten ziehen lassen.
Rosmarin (Rosmarinus officinalis) enthält Kampfer, der wach macht und die Hirnfunktion steigert. Cineol erhöht die Konzentration, die Schnelligkeit und die Genauigkeit des Denkens. Man vermutet sogar, dass die Gewürzpflanze Alterungsprozesse des Gehirns verlangsamt.
Anwendungstipp: Als Gewürz kann man täglich 5 g zu sich nehmen, als ätherisches Öl maximal 20 Tropfen.
Eine verjüngende Wirkung wird Holunder- und Sanddornbeeren zugeschrieben. Die dunklen Holunderbeeren (Sambucus nigra) sind reich an antioxidativ wirkenden Anthocyanen, bei Sanddorn (Hippophae spec.) zeigt diese Wirkung der Radikalfänger Quercetin.
Anwendungstipp: Beide lassen sich als Saft trinken.
Im fernen Osten werden vor allem Pilze wie Reishi (Ganoderma lucidum) zur Immunstärkung genutzt. Er wächst an Bäumen und wird in der ostasiatischen Medizin bereits seit 4000 Jahren als Arznei eingesetzt. Inhaltsstoffe namens Beta-D-Glukane lösen eine beschleunigte Immunantwort aus und helfen insbesondere bei viralen Infekten.
Anwendungstipp: Man kann bis zu 3 g Pilz-Pulver zum Kochen verwenden.