Immer mehr Menschen nehmen über einen immer längeren Zeitraum Präparate gegen Sodbrennen ein. Das ist nicht ungefährlich. Was man über Säureblocker wissen sollte.
Autorin: Andrea Pauli, 10/21
Säureblocker sind beliebt – und umstritten. 25 Prozent der erwachsenen Schweizer nehmen Medikamente gegen Sodbrennen und Magenentzündung. Bei jedem vierten Patienten war die Verschreibung eines Protonenpumpenhemmers (Protonenpumpeninhibitor, kurz: PPI) medizinisch nicht gerechtfertigt – die Präparate wurden unnötig lange und hoch dosiert verabreicht. Das zeigte eine Studie des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, die im Frühjahr 2021 im Fachblatt «Therapeutic Advances in Gastroenterology» publiziert wurde*. Hinzu kommt: Weil die Säureblocker so häufig eingenommen werden, können unter Umständen auch seltene Nebenwirkungen zu einem Problem werden. Zudem ist eine dauerhafte Unterdrückung der Magensäurebildung nicht so harmlos wie angenommen, sondern kann ernsthafte gesundheitliche Folgen haben.
In der Akuttherapie (unter 4 Wochen) seien PPI meist gut verträglich und gäben weniger Anlass zur Sorge. Bei einer chronischen Einnahme von PPI könnten langfristig jedoch ernst zu nehmende Nebenwirkungen auftreten, schreibt Prof. Julia Seiderer-Nack in ihrem Buch «SOS Sodbrennen». Als belegt gelten ein erhöhtes Risiko von Magen-Darm-Infektionen und ein Zusammenhang mit Infekten der oberen Atemwege.
In der Diskussion von Fachleuten stehen Verbindungen zu Vitamin-B12-Mangel, Demenz, Knochenschwund (Osteoporose) bzw. eine mässige Erhöhung des Risikos für Frakturen an Hüfte, Handgelenk und Wirbelsäule, Nierenerkrankungen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen sowie Schädigung der Nieren. Beobachtungsstudien legen zudem eine Entwicklung von Nahrungsmittelallergien nahe, da bei fehlender Säure die Eiweisse im Magen nur unzureichend verdaut werden und damit im Darm zu Immunreaktionen führen können.
«Säure» wird vielfach mit etwas Schlechtem assoziiert, weshalb «Säureblocker» eine willkommene Hilfe zu sein scheinen. Und in der Tat: Mit ihrer Einnahme verschwinden die unangenehmen Symptome in der Regel ja auch (nicht in allen Fällen; besonders bei Patienten mit funktionellen Verdauungsbeschwerden oder stillem Reflux scheint eine PPI-Gabe nur eingeschränkt wirksam). Doch man sollte sich klarmachen, dass PPI keine Therapie der Ursachen beispielsweise einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) darstellen. Sie ändern zwar die chemische Zusammensetzung der Refluxflüssigkeit – doch sie lösen nicht das eigentliche Problem, nämlich eine geschwächte Anti-Reflux-Barriere. «Denn GERD entsteht eben nicht durch eine vermehrte Säureproduktion im Magen, sondern durch eine unzureichende mechanische Barriere zwischen Speiseröhre und Magen. Daher lindern PPI die Beschwerden zwar sehr, indem sie die aggressive und ätzende Wirkung der Refluxflüssigkeit durch eine Reduktion von de-ren Säuregehalt vermindern – die eigentliche Ursache des Reflux wird jedoch nicht behoben. Folglich können PPI nur so lange helfen, so lange sie eingenommen werden», erklärt Prof. Seiderer-Nack.
Der Blick muss also auf die Anti-Reflux-Barriere unseres Körpers zielen. Anatomisch wird sie vor allem von einem dicken Schliessmuskelring (Sphinkter) gebildet, der sich kurz unterhalb des Zwerchfells zwischen Speiseröhre und Magen befindet. Der untere ösophageale Sphinkter (UÖS) hat u.a. die Aufgabe, sich nach Einlass der Nahrung von der Speiseröhre in den Magen wieder fest zu verschliessen. Zusätzliche Unterstützung erhält er dabei vom umgebenden Zwerchfell. Die Verschlusskraft des UÖS wird zudem vom anatomisch vorgegebenen Winkel (HIS-Winkel) zwischen der unteren Speiseröhre und dem oberen Teil des Magens beeinflusst. Werden eines oder mehrere Elemente unserer natürlichen Anti-Reflux-Barriere gestört, kommt es zum gehäuften oder längerandauernden Rückfluss grösserer Mengen sauren Mageninhaltes in die Speiseröhre. Ist der Speisebrei durch starke Säureproduktion des Magens dann auch noch besonders aggressiv, kann das zu Schäden an der empfindlichen Schleimhaut der Speiseröhre führen.
Eine Reihe von Faktoren können zur Überforderung der Anti-Reflux-Barriere führen, z.B. Medikamente, Alkohol, Rauchen, Hormone, Stress oder fettiges Essen. Sie mindern über Botenstoffe und Rezeptoren die muskuläre Spannkraft des UÖS. Folge: Das «Ventil» schliesst nicht mehr richtig.
Auch ein (unbemerkter) Zwerchfellbruch kann die Verschlussleistung des UÖS beeinträchtigen, wenn infolgedessen der Magen nach oben rutscht. Weitere Gründe sind ein zu voller Magen («überfressen»), zu enge Kleidung oder zu hastiges Essen («schlingen»).
Ins Visier der Forschung geraten ist auch die sogenannte Acid Pocket (Säuretasche), eine lokale Zone im oberen Magenbereich. Diese Säureschicht vermischt sich nicht mit der Nahrung, sondern schwimmt oben auf dem Speisebrei. Schliesst der UÖS nicht mehr richtig, fliesst diese hochkonzentrierte Magensäure als Erstes in die Speiseröhre zurück – und löst heftiges Sodbrennen aus. Kommt das häufiger vor, stellt das eine beträchtliche Gefahr für die sensible Speiseröhre dar.
Womit man wieder bei dem Gedanken wäre, dass Säure etwas Schlechtes ist. Mit Blick auf Reflux-Schäden an der Speiseröhre schon. Doch prinzipiell eben nicht. Die Magensäure ist ein wichtiger Bestandteil unseres Immunsystems und zudem eine zentrale Barriere gegen schädliche Bakterien, Viren und Parasiten, die wir potenziell mit der Nahrung aufnehmen. Ohne Magensäure kann unser Körper keine gefährlichen Keime bekämpfen. Darüber hinaus kann bei einem Mangel an Magensäure die Nahrung chemisch nicht adäquat zerlegt werden. So entfaltet z.B. das Enzym Pepsin seine Wirkung nur einem sauren Milieu – ganz wichtig für die Eiweissverdauung.
Es kann also nicht das Ziel sein, die Magensäure medikamentös dauerhaft zu senken (ausser, bestimmte Krankheitsbilder machen das unabdingbar). Es sollte vielmehr die Intention sein, Refluxbeschwerden natürlich abzublocken. Wie? Durch die richtige Ernährung, einen veränderten Lebensstil, mithilfe bewährter Hausmittel, gezielter Atmung und der richtigen Schlafposition. All das kann auch mithelfen, die Dosis von PPI zu senken, sollte ihre Einnahme aus bestimmten Gründen unverzichtbar sein.
Was jeder täglich steuern kann: die Ernährung.Angefangen mit ausreichend Zeit zum Essen. Alfred Vogel empfahl, jeden Bissen 30-mal zu kauen und das ist ein Rat, den man gar nicht oft genug wiederholen kann. Denn der beim bedächtigen Kauen freigesetzte Speichel mit seinem basischen pH-Wert ist ein idealer körpereigener Säureblocker. Je mehr Speichel zur Verfügung steht, desto besser gelingt es der Speiseröhre, ihre Selbstreinigungskräfte zu mobilisieren und so einen Puffer gegen aufsteigende Magensäure parat zu haben.
Was auf den Teller kommt, ist natürlich auch entscheidend. Betroffene sollten sich informieren, welche Lebensmittel (gute) Reflux-Puffer und welche (ungünstige) Reflux-Trigger sind. Also: Bananen und Äpfel statt Grapefruit und Trauben. Karotten und Brokkoli statt Gurkensalat und Tomaten. Haferflocken statt Hefeteig. Basilikum und Kurkuma statt Chili und Knoblauch. Putenbrust statt Leberwurst. Stilles Wasser statt Alkohol, Kaffee, Pfefferminztee oder Sprudel.
Führen Sie eine Weile Buch, was Ihnen gut tut und was Sodbrennen verursacht – so finden Sie heraus, welche Ernährung die Richtige für Ihr Refluxproblem ist, rät Prof. Seiderer-Nack.
Das Zwerchfell spielt für die Verschlusskraft der natürlichen Anti-Reflux-Barriere eine bedeutsame Rolle. Es ist auch unser wichtigster Atemmuskel und übernimmt rund zwei Drittel der gesamten Atemtätigkeit. Darum ist gezieltes Atemtraining (Bauchatmung!) eine gute Unterstützung bei Reflux-Problemen. Studien zeigten, dass Reflux-Patienten, die Zwerchfellatmung trainierten, weniger Beschwerden hatten und auch ihr Bedarf an PPI signifikant zurückging. Atemtherapeuten, Physiotherapeuten oder Osteopathen können Ihnen beim Erlernen der richtigen Atemtechnik behilflich sein.
Bewährte Hausmittel und pflanzliche Helfer tragen dazu bei, Speiseröhre und Magenschleimhaut zu schonen und Reflux-Beschwerden zu lindern.
Heilerde: Das Pulver hat ein hervorragendes Bindungsvermögen und kann überschüssige Magensäure binden. Pulver oder Kapsel morgens nüchtern und abends vor dem Schlafengehen nehmen.
Kartoffelsaft: Die Stärke in den Kartoffeln bindet die Säure und ist ein gutes Erste-Hilfe-Mittel bei akuten Reflux-Beschwerden. Nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen jeweils 50 bis 100 ml (frisch zubereiteten oder gekauften) Kartoffelsaft trinken.
Leinsamen-Aufguss: 1 EL (ideal: frisch geschrotete) Goldleinsamen z.B. in einen Teefilter verpackt in einen Becher geben, mit kochend heissem Wasser übergiessen, 20 Minuten quellen lassen. Teebeutel ausdrücken und entfernen. Den Aufguss über den Tag verteilt trinken.
Als Tee oder Tropfen eingenommen, gibt es eine ganze Reihe von Heilpflanzen, die bei Refluxbeschwerden zum Einsatz kommen:
All diese unterstützenden Massnahmen sollte man auch im Sinn haben, wenn man – in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt – die Protonenpumpenhemmer absetzen möchte. Denn kaum nimmt man weniger PPI oder verzichtet ganz darauf, meldet sich der «Rebound-Effekt»: Die Refluxbeschwerden kehren heftiger denn je zurück. Warum? Weil der Körper unter der Gabe von PPI mehr Gastrin ausschüttet (er will ja Säure zur Verdauung), das steigert die Freisetzung von Histamin aus der Magenschleimhaut. Ohne Säureblocker kommt es durch die grosse Menge Gastrin und Histamin plötzlich zu einer heftigen Freisetzung von Magensäure. Dieser «Schock» veranlasst dann viele Patienten dazu, erneut PPI einzunehmen. Das ist natürlich zu kurz gedacht. Hier sollte man Geduld bewahren: Die durch den «Rebound» verursachten Beschwerden lassen in der Regel nach spätestens vier Wochen nach.