Bei Menschen über 60 Jahren lässt die Leistungsfähigkeit des Immunsystems merklich nach. Sie reagieren darum anders als mit den typischen Symptomen auf Influenza. Das kann die korrekte Diagnose erschweren.
Autorin: Andrea Pauli, 12/19
Eine Grippe zeigt sich, anders als eine Erkältung, Knall auf Fall mit einem Schlag: Die Betroffenen leiden unter plötzlichem hohem Fieber, Husten und starken Muskel- bzw. Kopfschmerzen. Bei älteren Menschen jedoch ist der Krankheitsverlauf nicht selten schleichend. Ein Drittel von ihnen hat nicht mal Fieber. Die Grippe äussert sich bei ihnen mit akuter Verwirrtheit und allgemeiner Schwäche. So kann es zu Fehl- oder verspäteten Diagnosen kommen, warnen Experten.
Grund für die bei Senioren unterschiedliche Grippe-Symptomatik ist die Alterung des Immunsystems (Immuneneszenz), die ab etwa 50 Jahren einsetzt. Die Antikörperbildung geht ebenso zurück wie die zellvermittelte Immunität. Im angeborenen wie im erworbenen Immunsystem kommt es daraufhin auf molekularer wie auf zellulärer Ebene zu einer Dysfunktion.
Diese schwächelnde Abwehr ist auch der Grund für das fehlende Fieber. In einem gesunden Organismus entsteht Fieber als Reaktion auf eine Infektion. Dringen Krankheitserreger (in diesem Fall: Grippeviren) in den Körper ein, werden sie vom Abwehrsystem bekämpft. Dabei werden Botenstoffe freigesetzt, die ins Gehirn zum Hypothalamus (lebenswichtiger Teil des Zwischenhirns, «Schaltzentrale» unseres Körpers) gelangen. Dort geben sie das Signal, die Körpertemperatur zu erhöhen. Durch Ankurbeln des Stoffwechsels und durch verstärkte Muskelarbeit wird die Wärmeproduktion gesteigert – Zittern oder Schüttelfrost sind die Folge. Bei Menschen mit gealtertem Immunsystem ist sowohl die Produktion der fieberzeugenden Stoffe (endogene Pyrogene) wie auch die Reaktion auf diese herabgesetzt. Insgesamt zeigen Senioren eine abgeschwächte Thermoregulation und eine abgesenkte Körpergrundtemperatur.
Je älter die Patienten, desto kritischer die Krankheitsverläufe, sagen Experten. Das nachlassende Immunsystem ist der Grund, weshalb eine Influenza-Infektion bei über 60-Jährigen vermehrt mit Komplikationen und Todesfällen verbunden ist. Bei chronischen Lungen- respektive Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes kann eine Grippe zusätzlich für eine Verschlimmerung dieser Grunderkrankungen sorgen. Das Risiko, infolge einer Influenza-Infektion einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen, ist massiv erhöht.
Vermutet wird dieser Zusammenhang schon lange; eine 2018 veröffentlichte Studie im New England Journal of Medicine bestätigte ihn. So stieg das Erkrankungsrisiko in den ersten sieben Tagen der Grippe um das Sechsfache. Als besonders gefährlich erwiesen sich Infektionen mit Influenzaviren Typ B. Diese erhöhen das Risiko eines Herzmuskelinfarkts sogar um das Zehnfache.