Wer zu wenig des lebenswichtigen Vitamins zu sich nimmt, riskiert schwerwiegende bis irreversible Mangelerscheinungen. Man sollte also gut auf eine ausreichende Zufuhr achten bzw. ärztlichen Rat einholen, ob eine Substitution Sinn macht.
Autorin: Dr. Andrea Flemmer, 10/20
Vitamin B12, auch Cobalamin genannt, ähnelt unserem roten Blutfarbstoff. Mit ihm werden eine ganze Reihe verschiedener chemischer Formen bezeichnet, wobei nur zwei davon als Vitamin wirken. Ähnliche – aber als Vitamin wirkungslose Verbindungen – bezeichnet man als B12-Analoge. Sie werden zwar wie das aktive Vitamin aufgenommen, erfüllen aber seine Aufgaben im Organismus nicht und blockieren allein durch ihr Vorhandensein die aktiven Varianten.
Nur etwa ein Prozent des im Darm befindlichen Cobalamins gelangt frei durch die Darmwand in den Körper (man nennt dies «freie Diffusion»). Beim gesunden Menschen wird Vitamin B12 hauptsächlich aktiv aufgenommen – über die Nahrung im Verdauungstrakt. Von der Magenschleimhaut wird der sogenannte Intrinsic-Factor gebildet. An dieses Transport-Eiweiss wird das mit der Nahrung zugeführte Cobalamin gebunden. Dieser Vitaminkomplex wird dann als Ganzes von speziellen Rezeptoren, die sich im letzten Dünndarmabschnitt, dem Ileum, befinden, in den Körper aufgenommen.
Im Unterschied zu den restlichen B-Vitaminen kann Vitamin B12 in beträchtlichen Mengen gespeichert werden. Der Vorrat reicht drei bis fünf Jahre, manche behaupten, sogar zehn Jahre. Das wertvolle Vitamin wird hauptsächlich über die Galle ausgeschieden und sehr effizient über den Darm wieder aufgenommen.
Ernährt man sich ab einem gewissen Zeitpunkt komplett ohne Vitamin B12, so ist sein Gehalt im Organismus nach mehreren Jahren um die Hälfte reduziert. Dies führt dazu, dass Mangelsymptome erst nach jahrelanger Vitamin-B12-armer Ernährung auftreten, obwohl man bereits lange davor nicht mehr genug davon aufnimmt. Dies sollten besonders Menschen beachten, die sich strikt vegan ernähren.
Vitamin B12 benötigt man unter anderem für die Bildung der roten Blutkörperchen. Es ist an allen Wachstumsvorgängen beteiligt und generell für die Zellneubildung erforderlich, v.a. für Nerven- und Blutgewebe sowie für die Reifung von Haut- und Schleimhautzellen. Zusätzlich verwandelt es das Vitamin Folsäure (B9) in seine aktive Form. Und es gilt als Nervenschutzvitamin, da es z.B. die Schutzhülle um die Nerven (sog. Myelinschicht) stärkt.
Die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) hat erst im Januar 2019 gemeinsam mit den Ernährungsgesellschaften aus Österreich und der Schweiz den Referenzwert für die Vitamin-B12-Zufuhr erhöht. Somit liegt der abgeleitete Schätzwert für eine angemessene Zufuhr für Erwachsene bei 4,0 µg (Mikrogramm) pro Tag. Bisher wurden 3,0 µg pro Tag empfohlen. Bei normaler Kost nimmt man etwa 2 bis 5 µg zu sich.
Die Vitamin-B12-Aufnahme hängt stark von der Höhe der mit einer Mahlzeit aufgenommenen Einzeldosis ab. Je grösser diese ist, umso geringer ist die Aufnahmerate. Der Grund dafür ist, dass im Darm nur in begrenzter Anzahl Rezeptorstellen vorhanden sind. Deshalb können aus der in einer Mahlzeit vorhandenen Cobalaminmenge nur etwa maximal 1,5 µg aufgenommen werden. Folglich ist es günstiger, häufiger kleine Mengen Vitamin B12 zuzuführen anstatt selten grosse Mengen.
Bei sehr hohen Dosen, wie sie in Medikamenten anzutreffen sind, gewinnt die Vitamin-B12-Aufnahme durch freie Diffusion an Bedeutung. Enthält ein Vitaminpräparat z.B. 500 µg Cobalamin, diffundiert unabhängig von den maximal 1,5 µg aktiv aufgenommenen Vitaminmengen auf jeden Fall 1 Prozent (in diesem Fall 5 µg) der Dosis frei in den Körper.
Ein Vitamin-B12-Mangel beeinträchtigt nahezu den gesamten Körper. Er beginnt in der Regel mit unspezifischen Symptomen wie z.B. leichter Ermüdbarkeit, allgemeiner Schwäche und Herzklopfen. Haut und Schleimhäute werden blass. Diese Krankheitszeichen können einem echten Mangel um Jahre vorausgehen.
Schliesslich ist der Gehalt an roten Blutkörperchen vermindert (Blutarmut), und das Blutbild zeigt charakteristische grosse Blutkörperchen (megaloblastische Anämie genannt). Man erkennt diesen Mangel auch an Zungenbrennen oder Zungenentzündungen. Weitere Symptome sind Kribbeln oder Einschlafen von Händen und Füssen. Gleichzeitig treten andere Vitaminmängel und ein Eisendefizit auf.
Schwindet der Sehnerv, muss sofort hoch dosiert Vitamin B12 gegeben werden. Wird die Mangelerscheinung noch in diesem Stadium entdeckt, kann man die Symptome durch entsprechende Cobalamin-Gabe beseitigen.
Hält der Mangel an, tritt das zweite Erscheinungsbild des akuten Vitamin-B12-Mangels auf. Man nennt dies die funikuläre Myelose. Dabei tritt eine Beeinträchtigung der Nervenscheiden auf, wodurch es sehr rasch zu nicht rückgängig zu machenden Schäden am Nervensystem kommen kann. Das geht so weit, dass die Betroffenen MS (Multiple Sklerose)-ähnliche Beschwerden bekommen und aufgrund von Gehschwierigkeiten auf einen Rollstuhl angewiesen sind.
Bei Veganern kommt hinzu, dass durch ihre normalerweise sehr gute Versorgung mit dem Vitamin Folsäure ein Vitamin-B12-Mangel sehr leicht übersehen und möglicherweise erst in einem nicht rückgängig zu machenden Zustand erkannt wird.
Lange hiess es, dass für gesunde Mischkostesser und Ovo-Lacto-Vegetarier (Vegetarier, die auch Eier und Milch sowie deren Produkte essen) die Bedarfsdeckung für das schwierige Vitamin kein Problem darstellt. Das sieht man inzwischen anders und rät Vegetariern zu Nahrungsergänzungsmitteln mit dem Vitamin.
Veganern wird generell geraten, den Vitamin-B12-Spiegel im Blick zu behalten und in Absprache mit dem Hausarzt gegebenenfalls zu substituieren. Interessant fanden Wissenschaftler indes die Beobachtung, dass der Vitamin-B12-Gehalt im Blut von vegan lebenden Personen beträchtlich niedriger ist als bei Mischkostessern, dass man jedoch selbst nach jahrelanger, streng veganer Kost keine typischen Vitamin-B12-Mangelsymptome feststellen konnte. Dies führt man auf die Aufnahme von geringen Mengen Vitamin B12 aus Wurzelgemüse, milchsauren Gemüseprodukten (z.B. Sauerkraut) und die Mundflora zurück. Auch ungewaschenes Obst und Gemüse scheint in kleinen Mengen zur Deckung des Cobalaminbedarfs beizutragen. Beim Verzehr sollte man jedoch Bioobst und -gemüse vorziehen, um den Körper nicht mit Pestiziden zu belasten.
Mit dem Vitamin-B12-Wert sollte stets auch der Folsäurewert (Vitamin B9) gemessen werden, da diese beiden Vitamine gemeinsame Funktionen erfüllen. Daher sind sie zusammen aussagekräftiger. Gefährdet sind insbesondere Kinder von Müttern, die lange Zeit streng vegan lebten. Ihre Vitamin-B12-Speicher können so weit entleert sein, dass die Versorgung des Säuglings über die Muttermilch nicht mehr gewährleistet ist. Auf alle Fälle sollte man während einer Schwangerschaft die Frauenärztin über die individuelle Ernährungsform informieren.
Erhöht ist der Bedarf auch bei schweren chronischen Lebererkrankungen, bei Schilddrüsenüberfunktion, bei Einnahme der Antibabypille, bei hohen Vitamin-C-Dosen und bei erhöhtem Homocysteinspiegel (Homocystein ist ein spezieller Eiweissbaustein) im Blut. Auch Magen-Darm-Erkrankungen wie anhaltende Gastritis, Morbus Crohn und einige Medikamente können zu einem Vitamin-B12-Mangel führen.
Hohe Mengen an Cobalamin finden sich z.B. in Innereien von Kalb, Rind, Schwein und Lamm. Auch Seefische sind oft reich daran. Die Erde mit ihrer reichhaltigen Bakterienflora ist ein wahres «Vitamin-B12-Paradies». Das erklärt auch das Vorkommen von Cobalamin auf den Schalen von Früchten und Gemüse, die nicht gewaschen wurden. Algen wie Spirulina und fermentierte Sojaprodukte sind dagegen keine geeigneten Vitamin-B12-Quellen. Sie enthalten grösstenteils Analoge. Die Hauptlieferanten für Vitamin B12 bei uns sind Fleisch, Fleischerzeugnisse und Wurstwaren sowie Milch und ihre Produkte. Andere Lebensmittelgruppen spielen eine nur geringe Rolle.
Man weiss, dass Vitamin B12 von der Darmflora gebildet werden kann. Doch in welchem Ausmass der Organismus davon profitiert, ist noch nicht ganz geklärt. Das Problem ist, dass das Vitamin B12 zur Aufnahme im Dünndarm den von der Magenschleimhaut produzierten Intrinsic-Factor benötigt. Dies scheint den Gewinn, den man durch die Mikroorganismen hätte, deutlich zu reduzieren, so dass Vitamin B12 auf alle Fälle mit der Nahrung zugeführt werden muss.
Mit Medikamenten, wie z.B. der Pille, können Wechselwirkungen auftreten. Magen-Darm-Erkrankungen, Infektionen sowie streng vegetarische Kost senken die Verfügbarkeit von Vitamin B12, ebenfalls hohe Ballaststoffmengen, v.a. Zellulose und Pektine.
Seine Wirkung wird verstärkt durch die Vitamine A (Retinol), B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), E (Alpha-Tocopherol), Folsäure (Vitamin B9), Niacin (Vitamin B3), Biotin und B5 (Pantothensäure).
Obwohl gesunde Mischkostesser in der Regel kein Problem haben, sich mit Cobalamin zu versorgen, ist ein Vitamin-B12-Mangel eine der am häufigsten zu therapierenden Vitaminmangelerkrankungen. Allerdings ist die Ursache dafür in der Regel nicht eine zu geringe Zufuhr über die Nahrung, sondern eine verminderte Aufnahme. Das relativ sensible System der aktiven B12-Aufnahme über den Intrinsic-Factor ist das schwächste Glied in der Kette.
Ein Problem ist dies bei einer chronischen Magen- Darm-Erkrankung, bei einer krankhaften Darmbesiedlung (z.B. durch den Fischbandwurm, übertragen durch rohen Süsswasserfisch), bei verschiedenen angeborenen Störungen des Cobalaminstoffwechsels und bei einer chronischen Magenschleimhautentzündung (Stichwort «Helicobacter pylori»). Auch manche Medikamente, ein Mangel an Magensäure sowie eine vorangegangene Entfernung des Magens und damit der Intrinsic-Factor-Produktion führen zu einem Defizit. Wem z.B. aufgrund von Blasenkrebs das Ausscheidungsorgan entfernt und ein Ersatzorgan aus dem Ileum an diese Stelle platziert wurde, kann das Vitamin ebenfalls nicht mehr aufnehmen.
Auch ältere Personen haben Schwierigkeiten, ausreichende Mengen des Vitamins zu bekommen. In all diesen Fällen muss es gespritzt werden.
Nein. Vitamin-B12-Vergiftungen sind nicht bekannt, da normal aufgenommene überschüssige Mengen über den Stuhl ausgeschieden werden.
Fazit: Ist man gesund und ernährt sich gemischt (Fleisch, Gemüse, Obst, Milchprodukte), braucht man sich um Vitamin B12 keine Gedanken zu machen. Ansonsten sollte man seinen Vitamin-B12-Status überprüfen lassen.