Die unscheinbaren Samen der Wein- bzw. Tafeltrauben enthalten eine Menge guter Inhaltsstoffe und finden Verwendung in Kulinarik, Kosmetik und Medizin. Man sollte sie also lieber aufessen statt ausspucken.
Glorija Schönsleben
Tafeltrauben sind beliebt: Rund 40 000 Tonnen davon werden jährlich in der Schweiz verzehrt. Dabei bevorzugen die Konsumenten meist kernlose Sorten, da die bitter schmeckenden Kerne geschmacklich nicht jedermanns Sache sind. Eigentlich schade, denn von allen Teilen der Weinbeere stecken gerade in den Kernen die meisten gesunden Inhaltstoffe.
Beim Keltern von Weintrauben (zur Herstellung von Wein) entsteht Trester, bestehend aus Rückständen von Fruchtfleisch, Schalen, Stielen, Blättern oder anderen Partikeln, die bei der Ernte manchmal auch unerwünscht mitgenommen werden. Nach der Pressung werden die Traubenkerne vom Rest des Tresters getrennt, meistens durch Sieben. Danach werden sie gereinigt und getrocknet. So vorbereitete Kerne könnten zwar pur verzehrt werden, in der Praxis werden sie aber oft weiterverarbeitet. Es werden Traubenkernöl, -pulver und -extrakt daraus gewonnen.
Die Gewinnung des Traubenkernöls ist ein aufwendiger Prozess. Aus 2000 bis 2500 Kilo Trauben gewinnt man rund 30 Kilo Traubenkerne. Diese 30 Kilo Kerne ergeben rund einen Liter (kaltgepresstes) Traubenkernöl. Das Öl, meist farblos oder mit gelben bzw. grünen Nuancen, wird entweder durch Raffinierung oder Kaltpressung gewonnen. Beim Raffinieren werden die Kerne auf eine hohe Temperatur erhitzt und anschliessend ausgepresst. Durch die hohen Temperaturen gehen allerdings gesunde Inhaltsstoffe verloren; zudem werden diesem Prozess Lösungsmittel zugesetzt, die dafür sorgen, dass sich das Öl leichter auspressen lässt.
Bei einer Kaltpressung hingegen bleiben die meisten wertvollen Inhaltstoffe erhalten. Das macht sich auch im Preis bemerkbar. Denn bei der Kaltpressung kann von einer bestimmten Menge Traubenkerne viel weniger Öl ausgepresst werden als bei der Raffination; zudem dauert der der Prozess länger.
Im kulinarischen Bereich ist Traubenkernöl sehr beliebt. Sein nussig anmutender Geschmack bereichert Smoothies, Müeslis und Marinaden. Es wird in der kalten Küche verwendet, etwa für Salate oder Dips, und passt gut zu bitter schmeckenden Salatarten wie Rucola oder Radieschen. Tipp: Bei der Zubereitung von Salatdressings sollte die Menge des Essigs reduziert werden, weil Traubenkernöl bereits Säure mitbringt!
Traubenkernöl passt ausserdem zu Käse oder gekochtem Gemüse. Seine typische säuerliche Note kann sogar mit manchen Desserts harmonieren: einfach mal ein paar Tropfen auf Pudding, Obstsalat oder Glace tröpfeln.
Traubenkernmehl ist ein Nebenprodukt der Herstellung kaltgepressten Traubenkernöls und besteht aus dem vermahlenen Presskuchen. Es enthält noch circa 5 Prozent teilentöltes Traubenkernöl. Für ein Kilogramm Traubenkernmehl werden die Kerne von rund 50 Kilo Trauben benötigt.
Das dunkle Mehl eignet sich gut zum Backen, sollte jedoch nur anteilig (5 bis 10 Prozent) verwendet werden. Backwaren und Gerichten verleiht es einen würzigen Geschmack. Man kann Traubenkernmehl zum Panieren oder Mehlieren von Fleisch und Fisch einsetzen. Empfehlenswert ist es auch als Beigabe in Smoothies, Säften oder im Müesli (Verzehrempfehlung: 2 g bzw. ein halber Teelöffel voll Traubenkernmehl pro Tag). Traubenkernmehl ist gluten- und laktosefrei.
In vielen Kosmetikprodukten ist Traubenkernöl enthalten; gepriesen wird die «Anti-Aging-Wirkung». Laut Verkaufsversprechen der Hersteller sollen das Bindegewebe sowie die Haut gestrafft, Falten geglättet und deren Neubildung verzögert werden.
Hauptanwendungsbereiche sind Gesichts- und Dekolletépflege. Das Öl eignet für alle Altersgruppen, ob bei Hautunreinheiten wie Akne oder fettiger Haut oder zur Pflege der reiferen Haut und um kleineren Fältchen entgegenzuwirken. Das Öl kann entweder pur, als Mischung mit anderen Ölen oder in Form einiger Tropfen in der normalerweise verwendeten Gesichtscreme genutzt werden.
Traubenkernöl eignet sich zur Pflege von strapaziertem oder überbeanspruchtem Haar. Bei gesplitteten Spitzen können ein paar Tropfen als Spülung gleich einmassiert werden, danach verbleibt es für ca. eine halbe Stunde im Haar. Neben grundsätzlicher Pflege verleiht diese Kur dem Haar Glanz und leichtere Kämmbarkeit. Je nach gewünschtem Effekt kann am Ende das Öl abgespült oder belassen werden. Das Öl pflegt auch die Nägel: Sie werden gehärtet und die Nagelhaut wird geschmeidig; rissige Haut wird spürbar glatter. Gute Wirkung entfaltet Traubenkernöl auch als Massageöl, z.B. im Winter, um die Durchblutung zu fördern. Es empfiehlt sich zudem als pflegender Badezusatz.
Auf die Kraft der in Traubenkernen enthaltenen Antioxidanzien setzt man auch in der Medizin. Für entsprechende Produkte werden meistens Traubenkernextrakt, -öl oder -pulver verwendet. Traubenkerne sind vitaminreich. Das bedeutsamste ist Vitamin E, welches als Antioxidans bzw. als entzündungshemmend gilt sowie für eine bessere Durchblutung und für die Stärkung der Venen sorgen kann. Es trägt zur Regeneration der Körperzellen bei. Das ebenfalls enthaltene Vitamin K ist ein wichtiger Stoff bei Knochenaufbau und Blutgerinnung. Auch der Inhalt der enthaltenen Fettsäuren gereicht zum gesundheitlichen Vorteil. Linolsäure, eine zu den gesunden Fetten gehörende mehrfach ungesättigte Omega-6-Fettsäure, ist in dieser rein pflanzlichen Quelle reichlich enthalten. Diese Fettsäuren können zur Senkung des LDL-Cholesterins (des «schlechten» Cholesterins) beitragen. Sie sind essenziell, also für die Körperfunktion unverzichtbar. Der Körper kann sie selber nicht produzieren, und sie müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden.
Die Antioxidanzien, also Stoffe, welche Schutz vor freien Radikalen im Körper bieten, werden in Zusammenhang mit Traubenkernen besonders hervorgehoben. Dabei geht es um einen spezifischen sekundären Pflanzenstoff namens OPC (Abkürzung für Oligomere Proanthocyanidine).
Dieser Stoff ist natürlicherweise in einigen Pflanzen enthalten. OPC kommt in Weinblättern, Weintrauben, reichlich in Traubenkernen sowie auch in anderen Pflanzen wie zum Beispiel Äpfeln, Erdnüssen und Ginkgoblättern vor.
Im Handel finden sich zahlreiche OPC-Produkte. Leider fehlen noch zuverlässige wissenschaftliche Studien, um deren hochgelobte Wirkung zu belegen – die Wirksamkeit wurde bislang nur im Tier- bzw. Zellversuch bestätigt. Eventuelle Schäden sind nicht gut erforscht: Bislang fehlen verlässliche Untersuchungen am Menschen über die möglichen Folgen einer längeren, hochdosierten Einnahme.
Bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, die Traubenkerne enthalten, können verschiedene Wechselwirkungen mit Medikamenten vorkommen. Deshalb ist es ratsam, deren Einnahme mit dem Arzt zu besprechen. Unerwünschte Nebenwirkungen können auch beim Konsum zusammen mit Alkohol auftreten. Bei einer bestehenden Traubenallergie könnte es vorkommen, dass sie bereits durch den Konsum von Traubenkernen ausgelöst wird.
Die Kerne von blauen Traubensorten gelten in der Regel als inhaltsstoffreicher im Vergleich zu solchen von weissen Sorten. Trauben aus konventionellem Anbau können stark mit Pestiziden und Dünger belastet sein, deshalb ist Bioqualität von Vorteil. Beim Kauf von Traubenkernöl entscheiden Farbe sowie - Geruch über dessen Qualität: nährstoffarmes, konventionell bzw. chemisch extrahiertes Öl sieht fast farblos aus, auch hat es einen weniger ausgeprägten Geruch. Die Investition in ein kaltgepresstes, natives Öl in Bioqualität zahlt sich bei der Menge der Inhaltsstoffe aus. Traubenkernöl sollte kühl, dunkel und trocken gelagert werden.
Traubenkerne gelten als gute Wärmespeicher und sind ideal zur Befüllung von Wärme- oder Kältekissen. Im Winter kann man die Kissen an einer Wärmequelle wie dem Back- oder Kachelofen erwärmen. Zur Wärmetherapie können sie gezielt auf einer Körperstelle benutzt werden, sogar auf empfindlichen Bereichen wie dem Gesicht. Kleine Kissen eignen sich auch als Begleiter zum Wärmen der Hände für unterwegs. Im Sommer können sie als kühle Erfrischung dienen; man legt sie vorher für einige Minuten (entsprechend der Grösse) in den Kühl- oder Gefrierschrank. So gekühlte Kissen können auch ganz spezifisch, z.B. zur Kühlung nach Insektenstichen oder bei Zahnschmerzen, verwendet werden.
Man kann so ein Kissen entweder kaufen oder recht einfach selber machen. Dafür werden getrocknete, gereinigte Kerne benötigt sowie am besten ein Stoff aus einer natürlichen Faser. Man schneidet diesen in die gewünschte Grösse bzw. Form und näht die Kissen nach Befüllung mit losen Traubenkernen zu.
Zuletzt aktualisiert: 22-07-2024