Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Zu den Lebensmitteln zählt auch ein Faktor, der einem nicht sofort einfällt: das Licht.
Autorin: Karen Schröder, 11/2015
Im Herbst und Winter enorm wichtig für das Wohlbefinden: an der frischen Luft Licht tanken
Was passiert, wenn der Mensch lange Zeit ohne Tageslicht auskommen muss, erfuhren erstmals schmerzlich die Besatzungen von U-Booten. Sie klagten über gesundheitliche Beschwerden verschiedenster Art – von Kopfschmerzen und Müdigkeit bis zu psychischen Problemen. Wir wissen heute: Licht ist ein Treibstoff für Körper und Seele. Doch über weite Teile des Jahres sehen viele Menschen in unseren Breitengraden kaum Tageslicht. Die meisten Arbeitsplätze sind künstlich beleuchtet; vom Licht, das Computer, Smartphone und Co. abstrahlen, einmal ganz abgesehen. Licht ist aber nicht gleich Licht, und künstlich erzeugtes ist oft besser als sein Ruf. Es gibt nicht nur helles und weniger helles Licht. Da sind das kalte und das warme Licht, das aktivierende und das entspannende Licht, mit ihren jeweiligen Anteilen an Spektralfarben.
Studien haben gezeigt, dass Menschen bei intensivem Licht, etwa bei Mittagssonne, besonders produktiv sind. Vor allem blau angereichertes Licht macht munter. Es stellte sich heraus, dass Büroarbeiterinnen und Büroarbeiter bei einer solchen Beleuchtung am Abend weniger erschöpft waren und auch nachts besser schlafen konnten.
Das Auge funktioniert nicht einfach nur wie eine Kamera. Es ist sensibler und komplexer in seinen Wahrnehmungen als noch vor 20 Jahren gedacht. Anfang des Jahrtausends haben internationale Forscherteams festgestellt, dass die Lichtwahrnehmung nicht allein über die Stäbchen und Zapfen in der Netzhaut erfolgt, sondern auf molekularer Ebene auch bestimmte lichtempfindliche Farbstoffe
daran beteiligt sind. Die Blaulichtrezeptoren (Cryptochrome) und das Pigment Melanopsin haben für die Steuerung der inneren Uhr immense Bedeutung. Schon sehr geringe Stärken kurzwelligen blauen Lichts genügen, um unseren Schlaf-Wach-Rhythmus aus dem Gleichgewicht zu bringen.
An der Universität Basel hat man dazu geforscht. «In Versuchen konnten wir zeigen, dass eine zweistündige Bestrahlung mit Blaulicht von lediglich fünf Lux am Abend genügt, um die subjektive Aufmerksamkeit von Menschen spätabends zu erhöhen», sagt Prof. Christian Cajochen, Leiter des Zentrums für Chronobiologie. Der Melatonin-Spiegel sinke deutlich ab. Die Tiefschlafphase zu Beginn der Nacht ist entsprechend weniger intensiv – vergleichbar mit einer Bestrahlung etwa durch grünes Licht.
Doch nicht nur unsere Netzhaut ist mit diesen speziellen Photorezeptoren ausgestattet. Sogar unsere Blutgefässe verfügen über «Lichtproteine», wie jüngst Forscher in den USA entdeckten. Erste therapeutische Anwendungen befinden sich im Versuchsstadium. So könnten in Zukunft Handschuhe und Socken mit LEDs ausgestattet sein, um die Durchblutung anzuregen. Das Patent ist schon angemeldet.
Der Schlaf-Wach-Rhythmus beschäftigt derzeit Mediziner und Biologen verschiedener Disziplinen. Gerade auch in der Psychiatrie sieht man in ihm einen Schlüssel zu Entstehung und Therapie von Krankheiten, etwa von Depressionen.
Daran beteiligt sind bekanntlich Botenstoffe wie Dopamin, Noradrenalin, Serotonin sowie die Hormone Cortisol und Melatonin. Die Lichttherapie ist mittlerweile eine gängige Therapieoption, auch bei nichtsaisonaler Depression. Zum Einsatz kommen dabei Lampen mit einer Intensität von 10 000 Lux. Doch warum ist diese Form der Therapie so wirksam? «Zum einen bringt sie die innere Uhr wieder in den Takt, zum anderen intensiviert sie die Gefühlswahrnehmung. Je mehr Licht empfangen wird, umso höhere Serotoninwerte werden gemessen», so Anna Wirz-Justice, emeritierte Professorin am Zentrum für Chronobiologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel.
Nicht nur bei Depressionen, auch bei Alzheimer-Erkrankung, Schizophrenie und Bulimie konnte die Lichttherapie schon erfolgreich eingesetzt werden. Auswirkungen haben diese Erkenntnisse bis hin zur Architektur und Haustechnik. Bei der lichttechnischen Ausstattung von Seniorenheimen und Einrichtungen für Demenzkranke sind sie in Pilotprojekten bereits umgesetzt worden.
Wahre Wunderlampen sind hier also am Werk. Was liegt da näher, als sich des Lichts auch in der Arbeitswelt und in Bildungseinrichtungen zu bedienen? Licht wirkt sich direkt auf die menschliche Arbeitsleistung aus. So führt Licht mit hoher Beleuchtungsstärke in tageslichtweisser Farbe zu erhöhter Leistungsfähigkeit.
Dem Tageslicht am ähnlichsten sind sogenannte Vollspektrum Lampen. Für die persönliche Kommunikation und Telefongespräche erweist sich jedoch gedämpftes Licht in warmweisser Farbe als vorteilhaft. Wie wäre es also, wenn sich etwa in einem Büro das Licht je nach Aufgabenstellung verändern liesse? Die Industrie arbeitet an derartigen Lichtsystemen, und erste Erfahrungen aus der Praxis liegen bereits vor.
Die Hansestadt Hamburg hat als erstes deutsches Bundesland in ihren Primarschulen auf das dynamische Licht gesetzt und damit seit einigen Jahren gute Erfahrungen gemacht. Lehrerinnen und Lehrern ist es möglich, während des Unterrichts das Licht zu verändern. Sind intensive Arbeitsphasen angesagt, dann bedienen sie sich eines besonders hellen Lichts mit hohem Blauanteil. In eher ruhigen Gesprächsphasen dimmen sie das Licht. Der Gelb- und Rotanteil des Lichts steigt, und es entsteht eine vertrauensvollere Atmosphäre.
Noch eine wissenschaftliche Erkenntnis gilt mittlerweile als weitgehend gesichert: Bei Schichtarbeitern treten hormonabhängige, stoffwechselbedingte Krankheiten vermehrt auf. So ist in Dänemark Brustkrebs bei über 20 Jahre tätigen Schichtarbeiterinnen als Berufskrankheit anerkannt.
Sonnenlicht produziert im menschlichen Körper Vitamin D. Dieses wiederum bewirkt, dass immer ausreichend Kalzium in Blut und Knochen vorhanden ist. Neuere medizinische Studien weisen darauf hin, dass auch Krankheiten wie Rheuma oder Bluthochdruck mit einer erniedrigten Konzentration des Vitamins im Blut einhergehen können.
Licht beeinflusst also zahlreiche Prozesse in unserem Körper, unter anderem den Zellstoffwechsel und das Immunsystem. Die Wirkung von Licht ist dabei auch unabhängig von Vitamin D nachweisbar. Im Tiermodell und in Versuchen mit an multipler Sklerose erkrankten Patientinnen und Patienten zeigte sich an der Universität Münster, Deutschland, eindeutig ein darüber hinausgehender Effekt. Wissenschaftler arbeiteten dabei mit einer speziell für diese Anwendung entwickelten Sonnenkammer. «Licht stimulierte messbar regulatorische T-Zellen und dendritische Zellen – Zelltypen also, welche die Autoimmunreaktion hemmen», so Dr. Johanna Breuer über das neuroimmunologische Forschungsprojekt.
Die Wirkung des Lichts wird allerdings als nicht anhaltend beschrieben. Entsprechende Lichteinflüsse müssen kontinuierlich vorhanden sein. Neue Möglichkeiten in der Behandlung von MS tun sich an dieser Stelle dennoch auf.
Einen anderen Weg, mit Licht zu arbeiten, gehen Ärzte und Forscherinnen an der Berliner Charité. Sie haben einen intensivmedizinischen Bereich mit einem sogenannten Lichthimmel ausgestattet.
Zwei Zimmer mit je zwei Betten wurden in dem Pilotprojekt neu gestaltet. Die Decke über den Betten muss man sich als eine Art riesigen Bildschirm vorstellen, auf dem der Sonnenaufgang simuliert oder nachts ein Sternenhimmel eingeblendet werden kann. Lichtdecke nennen die Experten den künstlichen Himmel. Dieser LED-Himmel der Charité kann eine Beleuchtungsstärke von über 20 000 Lux erreichen – vergleichbar dem Licht unter freiem Sommerhimmel.
Lichtstärke und Lichttemperatur lässt sich je nach den Bedürfnissen des Patienten individuell steuern. Dadurch soll der natürliche Schlaf-Wach- Rhythmus unterstützt werden, den Intensivpatienten durch lange Schlafphasen schnell verlieren. Dr. Alawi Lütz von der Klinik für Anästhesiologie beschreibt seine Erfahrungen: «Wir haben schon früh beobachtet, dass die Patienten in den neuen Intensivzimmern ruhiger sind und weniger Schmerzund Beruhigungsmedikamente benötigen. Wir vermuten, dass die deutlich verbesserte Lichtsituation mit ein Grund dafür ist.» Begleitend erforschen die Berliner Wissenschaftler, bei welchen Lichtbedingungen die Unterdrückung des Schlafhormons Melatonin einsetzt.
Licht ist nicht gleich Licht: Helligkeit und Lichttemperatur sind die wichtigsten uns bekannten Parameter. Ein Büroraum etwa sollte mit 500 Lux beleuchtet sein. Auf den Lampenpackungen findet sich aber meist nur der Lumen-Wert. Er misst den gesamten sichtbaren Lichtstrom, welcher aus einem Leuchtmittel austritt. Die Einheit Lux hingegen beschreibt die Beleuchtungsstärke, die auf einer Fläche von einem Quadratmeter wirklich ankommt. Sie ist also das Mass für die Helligkeit an einem bestimmten Ort.
Ein Beispiel: Wer etwa eine 60-Watt-Glühbirne ersetzen möchte, der sollte nach einer LED mit mindestens 730 Lumen Ausschau halten. Die Farbtemperatur des Lichts wird in Kelvin (K) gemessen. Sie gibt an, ob wir Licht als kalt oder warm empfinden. Eine traditionelle Glühlampe ist mit 2500 bis 2700 K ausgezeichnet und ein kaltweisser LED-Strahler mit etwa 5000 K.
Je niedriger der Kelvin-Wert, um so wärmer das Licht. Der Gelbanteil im Farbspektrum ist dann höher. Die meisten Menschen empfinden diese Farbtemperatur als gemütlich und stimmungsvoll.
Bild: 123RF_S_Kankliang
Lichtfarben-Skala
Eine weitere sehr wichtige Lichtqualität kennzeichnet der Farbwiedergabeindex, in Ra angegeben. Bei gleicher Farbtemperatur beinhaltet Licht nämlich ganz verschiedene Farbspektren. Dieser besondere Lichtwert ist in letzter Zeit in die öffentliche Aufmerksamkeit gelangt, da das Licht von Energiesparlampen und LED-Lampen immer wieder als unangenehm beschrieben wird. Gerade der zu hohe Blauanteil der modernen Lampen stört die abendliche Ruhephase. Das Sonnenlicht, Kerzenschein und althergebrachte Glühlampen haben einen Farbwiedergabeindex von 100 Ra. Ihre Lichtspektren gelten als kontinuierlich, das heisst, es werden alle Farben des sichtbaren Lichts wiedergegeben. Ein Wert über 80 Ra wurde bei Energiesparlampen lange Zeit schon für gut befunden. Neuere LED-Technik macht Werte von bis zu 95 Ra möglich.
Billig sind diese neuen Errungenschaften der Technik allerdings nicht. Erschwinglicher sind da schon Halogenlampen. Sie haben einen ähnlichen Farbwiedergabeindex wie die guten alten Glühlampen und sparen dazu noch Strom ein, wenn auch nicht allzu viel. Im Sinne einer «Lichthygiene» ist im Übrigen weniger manchmal mehr, gerade am Abend. In diesem Sinne: Gute Nacht!