Das Leben in der Paarbeziehung bringt viele Herausforderungen mit sich. Wie man mit Konflikten umgeht und besser kommuniziert.
Autor: Adrian Zeller
Immer mehr Paare um die Lebensmitte stellen fest, dass sie sich im Laufe der Jahre entfremdet haben. Laut einer Schweizer Studie ist die Scheidungsrate nach 30 Partnerschaftsjahren am höchsten. 41 Prozent der langjährig Verheirateten gaben an, mit der Beziehung unzufrieden zu sein. Doch nicht alle Paare lassen sich auch tatsächlich scheiden; viele haben die Beziehung innerlich aufgekündigt und leben nebeneinander her. Gelegentlich hält einen auch die Angst vor dem Alleinsein von der Trennung ab.
Weshalb erlischt bei langjährig liierten Paaren das einst lodernde Feuer der Liebe? Es sei vor allem die Routine, resümieren Forscher. Der gemeinsame Alltag funktioniert einigermassen, aber er ist immer weniger prickelnd, Leidenschaft hat sich in Gleichförmigkeit gewandelt. Die innere Verbundenheit ist lose geworden. Wenn dann irgendein Problem auftaucht, fällt der Rest der Solidarität in sich zusammen. Es offenbart sich, dass das Beziehungsfundament schon länger morsch war, nur haben es die Partner nicht wahrgenommen oder verdrängt. Die Motivation, miteinander durch dick und dünn zu gehen, ist kaum mehr vorhanden. Die kleinen Aufmerksamkeiten und die zärtlichen Blicke liegen schon Jahre zurück.
Die Gründe für die innere Distanzierung sind individuell unterschiedlich, in Umfragen haben sich zwei Hauptursachen herauskristallisiert.
1. Erwartungsdruck: Liebesfilme und -schlager vermitteln ein Bild von Beziehung, das sich nur sehr bedingt mit dem Alltag deckt, dies weckt überhöhte Erwartungen; beim Einkaufen, beim Staubsaugen und beim Wäschebügeln ist der Romantikfaktor gering.
Der schillerndste Traumprinz entpuppt sich eines Tages als eine ganz normale Person mit Stärken und Schwächen. «Es ist ein ziemlich sicherer Weg ins Unglück, vom anderen zu erwarten, dass er einen glücklich macht», schreibt der Arzt und Medizinjournalist Werner Bartens. Die Zufriedenheit müsse aus dem eigenen Inneren entstehen und dürfe nicht abhängig von den Zuwendungen des anderen gemacht werden.
«Stabile, zufriedene Paare leben ihr Leben und ihre Liebe, aber sie überfordern sie nicht», so Psychologin Sandra Konrad, Autorin des Buches «Liebe machen. Von der Überforderung eines Gefühls und wie Beziehungen trotzdem gelingen».
Nach ungefähr zwei Jahren kehrt in fast allen Partnerschaften die Alltagsroutine ein. Wenn dann der Zauber der gemeinsamen Liebe nicht gänzlich verblasst, hat die Partnerschaft gute Chancen, auch grössere Herausforderungen zu überstehen. Wird dagegen jede Handreichung für selbstverständlich betrachtet und wirken die Komplimente als streng rationiert, stellt sich Ernüchterung ein; die rosarote Brille wird weggelegt.
2. Kommunikationsprobleme: Ein häufiger Stolperstein ist gemäss dem amerikanischen Beziehungsforscher John Gottman eine missglückte Kommunikation.
Pauschalisierungen: Früher oder später kommt es in den meisten Partnerschaften zu störenden Verhaltensweisen, wie beispielsweise häufige Unpünktlichkeit, Desorganisiertheit oder mangelnde Aufmerksamkeit. Unter Umständen staut sich dadurch beim Gegenüber Frustration auf, die sich in gereizten Bemerkungen ein Ventil sucht. Diese werden gerne mal als Pauschalverurteilungen formuliert. Dies klingt dann etwa so: «Weil du nie pünktlich sein kannst, habe ich viel wertvolle Zeit in meinem Leben verplempert» oder «Immer öfter frage ich mich, weshalb ich überhaupt einen Partner habe, wenn ich alle Probleme alleine durchstehen muss. Immer verdrückst du dich, wenn es schwierig wird.»
Aggressiver Umgangston: Wenn zudem die Kinder gerade für Ärger sorgen oder die Schwiegermutter kleinlich nörgelnd Verdruss auslöste, kann der Umgangston mit der Partnerin oder dem Partner eskalieren. Vor allem in akuten Stresssituationen kommt es leicht zu Wortgefechten im gereizten Tonfall, unversehens schaukeln sie sich zu einem handfesten Streit hoch.
Angriff und Gegenangriff: Hinter verbalen Eskalationen steckt oft aufgestaute Unzufriedenheit. Wenn sie sich in die Beziehung einschleicht, wird die Kritik nicht selten pauschalisierend mit Formulierungen wie «immer», «jedes Mal» oder «nie» vorgetragen, diese wirken gemäss Gottman verheerend. Auf sie folgt oft als Retourkutsche ein reflexartiger Gegenangriff, nach dem Motto: Du sollst selber spüren wie schmerzhaft die Vorwürfe sind. Wenn du mich nicht schonst, lege ich mir auch keine Zurückhaltung auf. Dabei kann sich eine kommunikative Negativspirale entwickeln, aus der das Paar nur schwer wieder alleine herausfindet. Die Partner hören sich kaum mehr richtig zu. Um die Kritik der Partnerin oder des Partners zu relativieren oder als unberechtigt abzuwehren, wird auf eine Pauschalattacke häufig mit einer Verteidigungshaltung reagiert. «Wenn mein Chef kurzfristig Überstunden von mir verlangt, musst du mir nicht noch mit Vorwürfen kommen!», wird etwa entgegnet. Man lässt sich bei den Wortgefechten gegenseitig kaum mehr ausreden.
Die Gespräche bestehen vor allem aus Angriffen, Rechtfertigungen und Gegenangriffen. In solchen Situationen können sich in der Beziehung Mechanismen der Kommunikation festsetzen, die langfristig sehr schädlich sind. Es kommt zu einem Gewirr von Rechtfertigungen, Verletzungen und Schuldzuweisungen. Die Dialoge führen kaum mehr zu Lösungen. Oft braucht es nicht mal mehr Worte, um den destruktiven Mechanismus in Gang zu setzen, ein missmutiges Seufzen, ein hörbares Schnauben sowie ein genervter Blick reichen aus.
Loyalitätskonflikt: In der Folge distanziert sich das Paar gefühlsmässig voneinander, die gegenseitige Loyalität wird innerlich infrage gestellt, weil die eigenen Bedürfnisse an die Partnerschaft kaum erfüllt werden. Die Empfänglichkeit von Flirtavancen von aussen steigt, weil unbewusst gehofft wird, bei einer anderen Person würden die Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung eher erfüllt.
Es sei wichtig, den Konflikt zu versachlichen, betonen Paarberater. Emotionales Hickhack zerschlägt viel Porzellan, das nur schwer wieder zu kitten ist. Werner Bartens schreibt dazu: «Bedrohlich für die Beziehung ist nicht der Konflikt an sich, sondern in welcher Form – und ob überhaupt – er ausgetragen wird.» Wenn eine zuvor intensive und laute Beziehung plötzlich leise werde, sei sie ernsthaft in Gefahr, weil nicht mal mehr die gegenseitigen Aggressionen verbindend wirke.
Falsche Erwartungshaltung: Oft werden bei Meinungsverschiedenheiten Du-Formulierungen benutzt, beispielweise: «Nie räumst du den Geschirrspüler aus!» Die unterschiedlichen Sichtweisen sind es oft, die zu kommunikativen Störungen führen. Der Partner ist sich eventuell nicht bewusst, dass seine Partnerin von ihm die Mitbeteiligung beim Ausräumen des Geschirrspülers erwartet. Sie ihrerseits hält dies für so offensichtlich, dass sie es nicht extra zu erwähnen braucht. In Partnerschaften wird laut Paartherapeuten angenommen, dass einen das Gegenüber doch kenne und wissen oder spüren müsse, welche Erwartungen erfüllt werden sollten. Nicht immer ist es Gleichgültigkeit, wenn die Partnerin/der Partner zu wenig aufmerksam ist – nach einem besonders anspruchsvollen Arbeitstag ist sie/er mit seinen Gedanken möglicherweise noch in der Firma.
Wenn der Umgangston in der Partnerschaft öfters gereizt wirkt, ist es höchste Zeit für eine klärende Aussprache in einem ruhigen Moment. Wichtig ist dabei, dass sich beide Partner ausreden lassen und die Gesprächsmuster von Vorwurf – Gegenvorwurf oder gar Drohung überwinden wollen. Die Herausforderung ist es, die Nebenschauplätze, wie den unausgeräumten Geschirrspüler, die offen gelassene Zahnpastatube oder den nicht weggebrachten Abfallsack, beiseite zu lassen und das Kernthema aufzugreifen: die vermisste Unterstützung im Alltag, die mangelnde Wertschätzung und die entbehrte Zärtlichkeit.
Dabei sollte man auf Kritik möglichst verzichten, sondern vor allem von der eigenen Befindlichkeit sprechen. Mit der sachlich vorgetragenen Formulierung: «Ich finde, dass ich ziemlich viel im Alltag im Haushalt leiste. Ich wünsche mir, dass auch du deinen Teil dazu beiträgst, indem du mehr Arbeiten übernimmst, beispielsweise das Staubsaugen», kommt die Aufforderung beim Gegenüber nicht als Frontalangriff, sondern als konkreter Wunsch an. Auf dieser Gesprächebene kann leichter eine Klärung und eine Kompromisslösung gefunden werden.
Einige Paartherapeuten empfehlen, diese Aussprachen regelmässig einzuplanen, nicht nur dann, wenn der Haussegen wieder mal schief hängt. Auf diese Weise stauen sich weniger Frustrationen auf, die sich in einem besonders unpassenden Moment entladen. Dabei hilft auch die Haltung, die Beziehung als nie endenden, gemeinsamen Entwicklungsprozess anzusehen, der immer wieder mal Missverständnisse und Unzulänglichkeiten, aber auch beglückende und bereichernde Momente mit sich bringt.
In einer Aussprache sollten auch die verbindenden Aspekte der Partnerschaft angesprochen werden. Besonders wichtig ist die Erwähnung der positiven Beiträge des Gegenübers. Gemäss der Faustregel von John Gottman braucht es für ein gutes Beziehungsklima für jeden Kritikpunkt fünf Komplimente.
Personen, die Konflikte lösen wollen, sollten versuchen, dies während eines gemeinsamen Spaziergangs zu tun. Forscher des Department of Psychology der Columbia University fanden heraus, dass synchrones Gehen Konfliktsituationen entschärft, indem es die Stimmung verbessert, Kreativität freisetzt und die Bereitschaft zur Versöhnung fördert. Das erklärt sich auch mit einem anderen Phänomen, welches spanische Wissenschaftler beschreiben: Offenbar stellen sich die Gehirne von Gesprächspartnern aufeinander ein und gleichen ihre Gehirnwellen in allen vier gemessenen Frequenzbereichen an, besonders stark bei den Alpha- und Beta-Frequenzen. Das Verblüffende daran: Nur ein Teil dieses Gleichtakts liess sich durch die normale Reaktion des Gehirns auf die gehörte oder gesprochene Sprache erklären. Es gibt demnach einen Gehirn-zu-Gehirn-Effekt, der unabhängig von hörbezogenen Prozessen existiert.