Man liest und hört es immer wieder: Bei Frauen in und nach den Wechseljahren sinkt die Lust auf Sex. Es ist naheliegend, dafür – genau wie für viele andere Beschwerden in dieser Lebensphase – die Hormone verantwortlich zu machen. Doch so einfach sind die Zusammenhänge nicht. Zumal es zahlreiche Frauen gibt, die ihr Liebesleben nach dem Klimakterium erst so richtig geniessen können.
Fest steht, dass sich bei Frauen in der Lebensmitte der Hormonhaushalt stark verändert. Während der Wechseljahre, noch vor der letzten Regelblutung, produzieren die Eierstöcke sehr unregelmässig Hormone. Phasen des Östrogenmangels wechseln mit Phasen, in denen zu viel von diesem Botenstoff gebildet wird. Am Ende dieses Prozesses beenden die Eierstöcke die Östrogenproduktion, der Spiegel pendelt sich auf ein Minimum ein.
Autorin: Annette Willaredt
Nebenniere, Eierstöcke und Fettgewebe bilden aber weiterhin Androgene, also „männliche“ Hormone wie das Testosteron. Sie rücken jetzt quasi in den Vordergrund.
Viele Frauen erleben sie eher als Störenfriede, denn diese Botenstoffe sind auch verantwortlich für die kleinen Härchen, die jetzt vielleicht auf der Oberlippe wachsen, die dünner werdenden Haare auf dem Kopf oder die Pickel im Gesicht.
Die Figur wird ebenfalls von den Androgenen beeinflusst. Fett setzt sich jetzt bevorzugt am Bauch ab und nicht mehr an Hüften oder Po wie früher. Die ganze Körpersilhouette verändert sich.
So weit die Fakten. Doch jetzt wird es verwirrend. Testosteron sorgt auch für Lust. Damit wird klar: Alleine mit der veränderten Hormonlage lässt sich ein Libidoverlust nicht erklären. Eine medizinisch nachweisbare Wirkung auf die Sexualität hat nur eine Folge des sinkenden Östrogenspiegels. Die Haut speichert nicht mehr so viel Wasser. Vor allem die Schleimhäute werden trockener, dünner und verlieren an Elastizität. Die Scheide ist schlechter durchblutet und dehnt sich nicht mehr so gut. Die Schamlippen fühlen sich nicht mehr so prall an und die Vorhaut der Klitoris zieht sich etwas zurück.
Dass dies Probleme beim Sex machen kann, ist leicht nachvollziehbar. Fehlt die Erregung, ist alles trocken und tut weh. Die Gefahr, dass die empfindliche Schleimhaut verletzt wird, ist gross und auch die Anfälligkeit für Infektionen wächst. Gleitgele oder östrogenhaltige Cremes und Zäpfchen können hier zwar sehr gut Abhilfe schaffen.
Aber wichtig bleiben die drei Worte „fehlt die Erregung“. Verschiedene Studien belegen, dass es ganz entscheidend ist, ob eine Frau die nötige erotische Stimulation bekommt, die sie braucht. Ist diese Stimulation optimal, zeigt der Körper einer Frau nach den Wechseljahren genau die gleichen Zeichen der körperlichen Erregung wie der einer jungen – es dauert vielleicht nur etwas länger. Sex ist dann nicht mit Schmerzen verbunden. Auch altersbedingte Beschwerden können dem Sex abträglich sein, beispielsweise eine Inkontinenz. Sie lässt sich aber heute gut behandeln.
Das zeigt klar, dass Lustmangel in und nach der Menopause nicht alleine an organischen Veränderungen festgemacht werden kann. Die Liebesbeziehung und damit auch die Seele spielen eine grosse Rolle. Eine australische Studie, für die Frauen sieben Jahre lang jährlich untersucht wurden, hat das vor einiger Zeit bestätigt. Zwar nahm im Verlauf der Wechseljahre die Libido etwas ab und Schmerzen beim Sex wurden häufiger. Doch das war eher nebensächlich. Ganz deutlich wurde, dass die Partnerschaft der ausschlaggebende Faktor für die Beurteilung des erotischen Erlebens war. Hatte ein Paar vor den Wechseljahren eine gute Sexualität, blieb es auch danach fast immer dabei. Gab es schon vorher sexuelle Probleme in der Partnerschaft, dann verschärften sich diese nach den Wechseljahren oft noch.
Auch die Tatsache, dass viele Paare über ihre sexuellen Bedürfnisse nicht sprechen, kann sich jetzt erst deutlich bemerkbar machen. Hat früher alles quasi von alleine funktioniert, muss der Mann sich jetzt vielleicht mehr darum bemühen, seine Partnerin zu erregen. Oder der Mann ist ebenfalls deutlich über 50 und hat erstmals Erektionsprobleme. Statt das deutlich zu sagen, zieht er sich womöglich zurück. Die Frau kann das nicht einordnen und fühlt sich zurückgewiesen und nicht mehr begehrt. Möglichkeiten für Missverständnisse gibt es in Sachen Liebe ohne Zahl. Sich gegenseitig offen seine Wünsche nahe zu bringen, würde helfen, aber das gelingt vielen Paaren nicht. Oft schläft die Sexualität aus diesen Gründen völlig ein – obwohl beide Partner eigentlich Lust hätten.
Bei der Betrachtung der weiblichen Libido ist noch ein weiterer Faktor ganz entscheidend. Sexualität wird bei Frauen jenseits des fruchtbaren Alters immer noch tabuisiert. Unsere Gesellschaft ist auf Jugend fixiert – besonders bei Frauen. Ein Mann mit grauen Schläfen gilt noch als attraktiv und interessant. Frauen werden hingegen vom „double standard of aging“ beeinflusst. Sie werden deutlich früher als unattraktiv, alt und asexuell wahrgenommen.
Dass mit Anfang 70 noch ein Drittel der Frauen regelmässig Geschlechtsverkehr hat und dass bis zu 40 Prozent der über 80-Jährigen sich selbst befriedigen, das sind Themen, die – wenn überhaupt – nur sehr verschämt zur Sprache kommen. Eine Frau über 60 und Lust, das geht in der öffentlichen Meinung immer noch schwer zusammen. Das strahlt natürlich auf die Frauen zurück. Für viele ist es sehr schwer, die Zuschreibung „alt und nicht mehr begehrenswert“ abzuwehren. Und es braucht vor diesem Hintergrund schon eine gute Portion Selbstbewusstsein, offen zu seinen sexuellen Bedürfnissen zu stehen und seine erotischen Wünsche aktiv auszuleben.
Ganz schwierig wird das Frauen gemacht, die in keiner Partnerschaft leben. Nach einer Scheidung oder dem Tod des Mannes wird es mit zunehmendem Alter immer schwieriger, einen neuen Partner zu finden; nicht zuletzt, weil der Mangel an gleichaltrigen Männern Jahr für Jahr grösser wird.
Nicht verschwiegen werden darf aber auf der anderen Seite, dass eine nicht unerhebliche Zahl der Frauen ihr Liebesleben nach den Wechseljahren mehr geniesst als zuvor. Die lästige Verhütung und die Furcht vor einer ungewollten Schwangerschaft fallen weg. Die Kinder sind ausgezogen, man muss keine Rücksicht mehr auf sie nehmen und kann sich der Erotik viel spontaner hingeben. Und viele Frauen wissen jetzt viel genauer, was sie im Bett wollen und was nicht als mit 20 oder 30 Jahren. Vor allem aber: Lust findet immer zuerst im Kopf statt. Sie hat erst in zweiter Linie mit dem veränderten Hormonhaushalt zu tun. Treten körperliche Einschränkungen wie Scheidentrockenheit und Schmerzen beim Sex auf, oder fühlt sich eine Frau gehemmt durch ihre Schweissausbrüche oder eine Blasenschwäche, sollte sie das bei ihrer Gynäkologin offen ansprechen und gemeinsam nach der besten Lösung des Problems suchen.