Lange wurde Frauen in und nach den Wechseljahren unterstellt, dass ihr Interesse an Sex jetzt vorbei sei. Doch so pauschal hat das nie gestimmt. Im Gegenteil: Es gibt viele Gründe, warum Frauen gerade in dieser Phase ihres Lebens ihre Lust ganz neu entdecken.
Autorin: Annette Willaredt, 11/21
Es hat viel mit dem althergebrachten Bild der Frau zu tun, dass in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten „Lust in den Wechseljahren" einfach kein Thema war. Es wurde nicht ignoriert, nein, es wurde von der Gesellschaft genauso wie von den Medizinern davon ausgegangen, dass Frauen nach den Wechseljahren kein Sexualleben mehr wollen. Frauen Lust zuzugestehen, war ohnehin lange Zeit problematisch. Wenn Frauen offen bekannten, Freude am Sex zu haben, war das irgendwie anrüchig. Und ältere Frauen, die Sex einfach der Lust wegen haben wollten, und nicht, um ein Kind zu bekommen, lagen ganz ausserhalb der Norm. Jüngere Frauen werden jetzt sagen: Das ist lange vorbei. Ist es aber nicht. Zumindest ihre Mütter oder Großmütter sind noch mit diesen Bildern und Einstellungen gross geworden. Es ist deshalb sinnvoll, dem mal ein paar Fakten entgegenzusetzen.
Ganz wichtig: Es ist einfach ein Irrtum, dass sexuelles Verlangen während und nach den Wechseljahren automatisch nachlassen. Lust hat mit dem in dieser Lebensphase sinkenden Östrogenspiegel gar nichts zu tun. Für die Lust zuständig sind Hormone, die in der Nebennierenrinde produziert werden, und die Funktion der Nebennierenrinde wird von den Wechseljahren kaum beeinflusst. Bei vielen Frauen ist es sogar so, dass die Libido nach dem 45. oder 50. Geburtstag steigt. Gründe dafür gibt es viele. Im Lebensalter zwischen 20 und 45 sind die meisten Frauen stark gefordert. Sie starten ins Berufsleben, machen Karriere, wollen sich am Arbeitsplatz beweisen. Viele bekommen in dieser Zeit Kinder, haben dann die Doppelbelastung Familie und Beruf zu meistern. In den Wechseljahren lässt dieser Druck meist nach. Die Kinder sind langsam selbständig und beruflich hat man die richtigen Weichen gestellt. Jetzt können sich die Frauen etwas entspannen. Und Entspannung setzt neue Energie frei. Man fällt nicht mehr nur todmüde ins Bett am Abend. Die Lust hat wieder ihren Platz im Leben.
In den Wechseljahren spielt zudem das Thema Verhütung irgendwann keine Rolle mehr. Spätestens, wenn die letzte Regelblutung ein Jahr her ist, kann eine Frau davon ausgehen, dass kein Eisprung mehr stattfindet. Sie kann also nicht mehr schwanger werden (Ausnahmen gibt es natürlich auch). Das öffnet der Lust ganz neue Türen. Die Frau kann ihren Bedürfnissen ganz frei nachgehen, muss im Kopf nicht erst rechnen oder zu Verhütungsmitteln greifen.
Noch eine Tatsache im Zusammenhang mit der Verhütung, die wenig bekannt ist: Viele Frauen, die die Antibaby-Pille einnehmen, haben durch die Hormone in dem Medikament weniger Lust. Nur wenigen ist das bewusst. Erst, wenn sie die Pille abgesetzen, verspüren sie wieder ein grösseres Bedürfnis nach Sexualität. Genau das geschieht häufig um die Wechseljahre herum, denn hormonelle Verhütung ist nun ja überflüssig.
Frauen heute sind in den Wechseljahren meist sehr viel selbstbewusster als es ihre Mütter und Grossmütter waren. Befreit von der Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft, befreit von der Pflicht, Verhütungsmittel zu nehmen, können sie ihre Wünsche auch in der Sexualität viel leichter ausleben. Selbst wenn es nun ein paar Pölsterchen an den falschen Stellen gibt oder sich da und dort Falten zeigen – Frauen in den Wechseljahren sind meist nicht mehr so übertrieben kritisch mit sich wie in jüngeren Jahren. Sie nehmen sich an wie sie sind.
Wenn die Frauen dann noch erkennen, dass es ein lang gepflegtes Vorurteil ist, dass Lust nur mit Jugendlichkeit verbunden ist, kann das sehr erleichternd sein. Sie können dann gemeinsam mit ihrem Partner das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität neu ausloten. Zu der Freude an Berührungen gesellt sich in der Zeit um die Wechseljahre das Wissen, wie der eigene Körper reagiert; man hat erotische Erfahrung und vermutlich eine grosse Portion Gelassenheit. All das zusammen ist eine sehr gute Basis für eine erfüllte Sexualität.
Und es gibt noch einen Punkt, der es Frauen heute leicht macht, ihre Lust in jedem Lebensalter auszuleben. Tatsächlich gibt es eine körperliche Veränderung in und nach den Wechseljahren, die das Sexualleben beeinflussen kann: Die Schleimhäute werden dünner und trockener. Beim Sex kann das zu Missempfindungen bis hin zu Schmerzen führen. Das muss keine Frau hinnehmen. Eine Möglichkeit sind hier Gleitgele, die das Eindringen des Penis angenehm machen. Es gibt ausserdem Östrogencremes, die regelmässig auf und in die Scheide gegeben werden. Sie bremsen das Austrocknen der Schleimhäute.
Auch eine Gebärmuttersenkung oder eine Beckenbodenschwäche kann bei älteren Frauen das Sexualleben beeinflussen. Hier ist ein Gespräch mit der Ärztin ratsam. Neben medizinischen Hilfen ist in diesen Fällen ein konsequentes Beckenbodentraining sinnvoll. Eine gute Anleitung können Physiotherapeuten, Osteopathinnen, aber auch Hebammen geben.
Bei anderen Beschwerden und Missempfindungen, die ein schönes Sexualleben beeinträchtigen, sollten sich Frauen ebenfalls nicht scheuen, ärztliche Hilfe zu suchen, z.B. bei einer ausgebildeten Sexualtherapeutin. Denn körperliche Nähe und Intimität sind eine bedeutende Quelle für Zufriedenheit und Lebensfreude.