Im Laufe der Jahre meistert der weibliche Körper grosse Veränderungen,
die oftmals Beschwerden verschiedenster Art mit sich bringen. Spezialisierte Osteopathen können Frauen dabei sanft, aber effektiv helfen.
Autorin: Silke Lorenz, 3/20
Frau ist nicht gleich Mann. Die geschlechterspezifische Forschung, die sogenannte Gender-Medizin, deckt seit Jahren immer mehr Gegensätze auf. Allein die Anatomie macht einen grossen Unterschied, sei es das System aus Muskeln, Bändern und Skelett, sei es das Nerven- oder das Immunsystem. Dazu kommt ein hochkomplexes Hormonsystem, das durch die wichtigen Phasen wie Regelblutung, Schwangerschaft und Geburt sowie die Menopause immer wieder ins Schwanken gerät. Auch die emotionale Komponente ist bei Frauen viel ausgeprägter und kann sich stark auf ihre Gesundheit auswirken. So reagieren Frauen oft intensiv auf vegetative Reize wie Stress, Erregung oder Trauer und wandeln diese auch in körperliche Symptome um.
Von Kopf bis Fuss, von Körper bis Seele: Die Osteopathie betrachtet jeden Menschen in seiner Ganzheit und möchte eigentlich nicht in Unterkategorien aufsplitten. Dennoch haben bestimmte Gruppen eben sehr spezifische Fragen, Anliegen oder Probleme. Während eine spezielle osteopathische Behandlung von Säuglingen und Kindern bekannt ist und weithin praktiziert wird, steht die Osteopathie für Frauen noch ziemlich am Anfang, zumindest in der Schweiz. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowohl für die Schulmedizin als auch besonders für die Osteopathie von Bedeutung.
Neben dem biologischen Geschlecht muss man bei Frauen auch die Einflüsse kultureller und sozial-gesellschaftlicher Faktoren auf ihr weibliches Rollenbild berücksichtigen. Hier hält die Osteopathie viele Behandlungsansätze parat. Ob Schmerzen vor und während der Periode, ein gestörtes Hormonsystem oder eine beeinträchtigte Funktion der Gebärmutter, ob Endometriose oder Kinderwunsch, Schwangerschaft oder eine hormonell bedingte Depression: Verschiedene Studien zeigen, dass die Osteopathie etliche Beschwerden verbessern, Selbstheilungskräfte anregen und die betroffenen Frauen positiv unterstützen kann.
Dieses vielschichtige, facettenreiche Fachgebiet fasziniert auch Therapeutin Ramona J. Ramsauer, so dass sie sich darauf spezialisiert hat – mit einem Bachelor- und Masterstudium in London am University College of Osteopathy, anschliessend mit einem zweijährigen Aufbaustudium in osteopathischer Frauenheilkunde. Derzeit studiert die 38-Jährige Frauenheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Neusüdwales in Sydney und arbeitet als Osteopathin in ihrer Praxis in Zürich.
Bei jeder Patientin erfasst sie zunächst detailliert und ganzheitlich die Krankheitsgeschichte und begutachtet vorhandene Berichte und Laboruntersuchungen. Darauf folgt die klinische Untersuchung: «Je nach Beschwerdebild untersuche ich den Bewegungsapparat, die Geschlechtsorgane, die Drüsen, den Verdauungs- und Harnapparat. Daraus stelle ich meine osteopathische Diagnose», erklärt Ramona J. Ramsauer. Dafür nimmt sie sich rund eine Stunde Zeit. Eventuell sind noch weitere medizinische Untersuchungen nötig. In der Regel möchte sie innerhalb von drei Konsultationen eine Verbesserung erreichen. Manche Beschwerden wie chronische Unterleibsschmerzen bei Endometriose oder Unfruchtbarkeit müssen jedoch meistens einmal monatlich über zwölf bis 16 Wochen behandelt werden. «Je nach Indikation wende ich unterschiedliche Handgriffe an. Für die Patientin können sie sich wie ein Ziehen, Streichen, Dehnen, Drücken, Schütteln oder Schieben anfühlen, oder auch nur wie sanftes Handauflegen», beschreibt die Osteopathin ihre Arbeit. Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz.
Bei der Mobilisation wird zum Beispiel ein Gelenk passiv entlastet. Eine langsame, aber stärker werdende Gleitbewegung verbessert die eingeschränkte Bewegung. Die Manipulation ist ein kurzer, schneller Impuls von geringer Kraft, um eine Blockierung zu lösen. Wenn ein Gelenk oder Bindegewebe manipuliert wird, kommt es häufig zu einem knackenden Geräusch.
Durch ihre sehr spezielle Ausbildung arbeitet Ramona J. Ramsauer auch intravaginal: Mit ihren Händen kann sie innerlich Spannungen im Bereich des Muttermundes, der Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter lösen, die Durchblutung optimieren und Triggerpunkte in der Beckenbodenmuskulatur lockern.
Alles muss fliessen, ob Blut, Lymphflüssigkeit oder Verdauungssäfte. Wenn ein Gewebe gut ver- und entsorgt wird, kann es besser von selbst heilen. So lautet der Ansatz der Osteopathie. Jede Lebensphase bringt ihre typischen Beschwerden mit sich, oftmals sind es urogynäkologische Probleme. Im Schnitt sind Ramsauers Patientinnen zwischen 30 und 50 Jahre alt. Anhand dreier Beispiele, die täglich in ihrer Praxis so vorkommen können, schildert die Osteopathin ihre Behandlung.
Junge Frauen
Fall 1: 29 Jahre alt, Job im Büro, sehr gestresst. Unregelmässiger Zyklus, teils starke Regelblutungen, prämenstruelles Syndrom (PMS) mit starken Stimmungsschwankungen, Wassereinlagerungen und Brustschmerzen, Verdauungsbeschwerden. Die Pille, um den Zyklus zu regulieren, möchte sie nicht mehr nehmen.
Die Behandlung: Mittels einer Manipulation wird das Iliosakralgelenk (ISG) gelockert. Verklebungen im Darm werden mit verschiedenen kleinen Gewebsmobilisationen gelöst. Zwerchfell, Beckenboden und Bauchmuskulatur sind stark verspannt und müssen entspannt werden.
Gebärmutter und Eierstöcke sowie ihre Aufhängungen werden zuerst von aussen, später in der Vagina manuell mobilisiert. Die Leber wird intensiv angeregt, die Hormondrüsen ganz sanft manuell behandelt. Die Durchblutung und der Lymphabfluss sollen verbessert werden, damit die betroffenen Organe wieder gut funktionieren. Dazu kommt eine Ernährungsumstellung, kombiniert mit Mitteln der Pflanzenheilkunde sowie Entspannungsübungen.
Der Verlauf: Nach drei bis vier Sitzungen merkt die Patientin erste kleine Verbesserungen. Über einige Monate kommt sie alle vier Wochen zur Behandlung. Die Periode wird regelmässiger und weniger stark, die PMS-Beschwerden haben sich verringert. Jetzt kommt sie nur noch bei Bedarf oder zur Kontrolle alle drei bis sechs Monate.
Werdende und junge Mütter
Fall 2: 36 Jahre alt, Mutter einer vierjährigen Tochter. Die erste Schwangerschaft verlief problemlos. Wegen Geburtsstillstand war jedoch ein Kaiserschnitt nötig, bei der Operation ging einiges schief. Die Patientin hat die Geburt als traumatisch erlebt. Nun versucht das Paar seit einem Jahr, wieder schwanger zu werden, bislang erfolglos, obwohl medizinisch alles unauffällig ist.
Die Behandlung: Da die Osteopathin an der Kaiserschnittnarbe tiefe Verklebungen und ein Kältegefühl feststellt, werden das Gewebe unter der Narbe und die Gebärmutter mobilisiert. Die Durchblutung des Beckens möchte sie ebenfalls verbessern. Intravaginal behandelt die Osteopathin den Beckenboden, die Eileiter, den Gebärmutterhals sowie die Aufhängungen der Gebärmutter. Mittels spezifischer Techniken wird das Nervensystem beeinflusst. Die Patientin entspannt sich und kann besser loslassen. Ihr traumatisches Geburtserlebnis verarbeitet sie gemeinsam mit einer Psychotherapeutin.
Der Verlauf: Nach drei Behandlungen ist die Patientin tatsächlich wieder schwanger. In der 38. Schwangerschaftswoche kontrolliert die Osteopathin, ob der Beckenboden entspannt ist, Blockaden im Becken oder Rücken bestehen, das Steissbein locker ist oder ob Spannungen die Gebärmutter belasten. Die Geburt verläuft dieses Mal auf normalem Wege und ohne Komplikationen. Bei der Nachkontrolle wird speziell der Beckenbereich untersucht. Manuelle Techniken lindern die aktuelle Brustentzündung.
Reife Frauen
Fall 3: 60 Jahre alt, Lehrerin, sportbegeistert. Zwei vaginale Geburten mit 30 und 34 Jahren, Menopause mit 50 Jahren, keine Hormonersatztherapie. Leichte, familiär bedingte Osteoporose, zunehmende Inkontinenz, häufiges Brennen im Bereich von Harnröhre und -blase, leichte Senkung von Gebärmutter und Blase.
Die Behandlung: Der Beckenboden ist sehr angespannt und wird von aussen wie von innen gelockert. Die Harnröhre sowie die Aufhängungen von Blase und Gebärmutter werden mobilisiert. Auch den da-rüberliegenden Darm löst die Osteopathin, damit er nicht zusätzlich auf die Beckenorgane drückt. Das Zwerchfell wird ebenso bearbeitet und die Atemtechnik verbessert. Die Patientin nimmt nun mit Blick auf die Osteoporose regelmässig Vitamin D ein.
Der Verlauf: Nach zwei bis drei Sitzungen ist das Brennen verschwunden. Der Beckenboden ist jetzt gelöst und kann dank des Beckenbodentrainings bei einer spezialisierten Physiotherapeutin richtig angesteuert werden. Die Blase wurde durch konkrete Übungen trainiert. So ist der Drang, die Blase entleeren zu müssen, fast weg. Auch der Urinverlust beim Niesen, Husten oder Joggen ist weniger geworden. Die Patientin macht die Übungen regelmässig zu Hause weiter. Der Vitamin-D-Wert hat sich deutlich verbessert.
In der Schweiz sind die Kosten je nach Kanton sehr unterschiedlich. In Zürich zum Beispiel kostet eine osteopathische Behandlung ca. 160 bis 200 Schweizer Franken pro Stunde. In Deutschland kostet eine Sitzung zwischen etwa 60 und 150 Euro.
Ein Teil der Leistungen wird meist von Zusatzversicherungen rückerstattet. Dies sollte jede Patientin mit ihrer Krankenversicherung vor der Behandlung abklären.