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Ethik in der Medizin

«Zuwendung statt Erlöse» Prof. Giovanni Maio zur Frage der Ethik in der Medizin.

Heilberufe müssen sich auf allen Ebenen ökonomischem Denken und digitalisierten Prozessen unterordnen. Welche Ethik könnte dagegenstehen?

 

Die Ärzte werden heute tagtäglich in eine moralische Dissonanz getrieben, vor der man sie vom System her bewahren müsste. Wenn die Weiterexistenz eines Klinikums allein von der schwarzen Zahl abhängt, dann erfolgt automatisch eine Orientierung an der Erlös-Optimierung. In einem derart monetarisierten Kontext wird jede klinische Tätigkeit unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Investition beurteilt, und sie verliert ihre eigentliche Bedeutung als Massnahme der Sorge um den hilfsbedürftigen Kranken. Durch die Abhängigkeit der Kliniken von den Erlösen wird das ganze Verhalten unter ein ökonomisches Tribunal gestellt, durch das der soziale Gehalt der entsprechenden Praxis ignoriert und restlos überformt wird.

Daher liegt eine der folgenreichsten Auswirkungen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens in der damit einhergehenden sukzessiven Umdeutung des medizinischen Handelns hin zu einer monetarisierten Verwertung pflegerisch-ärztlichen Könnens. Das aber ist eine Entfremdung vom sozialen Gehalt der Medizin.

Medizin muss sich jedoch weiterhin als eine soziale Praxis verstehen; ihr Ziel ist das Wohlergehen des Menschen und nicht die Führung eines Wirtschaftsunternehmens. Medizin muss weiterhin verstanden werden als eine Praxis, die der Humanisierung der Gesellschaft dient. Die Humanisierung erfolgt nicht zuletzt dadurch, dass die Medizin sich fraglos um hilfsbedürftige Menschen kümmert und allein dadurch den kranken Menschen das zurückzugibt, was sie oft am meisten vermissen nach einer Krankheit: nämlich das Gefühl, ein vollgültiges Mitglied dieser Gesellschaft zu sein, das Gefühl, sich als wertvollen Teil des Ganzen zu begreifen. Genau darin liegt auch die Chance der integrativen Medizin, dass sie ein umfassenderes Bild von Therapie verkörpert. Letzten Endes muss Therapie verstanden werden als Hilfe zur Wiederentdeckung des eigenen Selbst, als Hilfe zur Neuentdeckung der eigenen wertvollen Ressourcen, als Hilfe zur Wiederaufwertung der eigenen Person.

Die Aufgabe des Arztes ist es, den Patienten gut zu beraten, ihn zu stärken, ihn zu begleiten, ihn zu fördern in seinen eigenen Ressourcen. Denn nur so kann sein Selbstvertrauen gestärkt und sein Zutrauen in seine eigenen Fähigkeiten gefestigt werden.

Daher ist es umso wichtiger, sich gegen eine ökonomische Umformung der Medizin zu wehren. Medizin ist kein Wirtschaftsunternehmen, kein Produktionsbetrieb und kein Marktfaktor. Medizin ist professionelle Hilfe durch gelingende Interaktion auf der Basis von wissenschaftlicher Expertise in Verknüpfung mit verstehender Zuwendung. Und deswegen sollte man gerade heute im Zeitalter einer ökonomischen Überformung der gesamten Medizin entschieden dafür kämpfen, dass in ihrem Hoheitsgebiet nicht etwa primär produktionstechnische Werte gefördert werden, sondern vor allem beziehungsstabilisierende Werte wie Zuhörbereitschaft, Geduld, Behutsamkeit, Reflexivität, tiefe Aufmerksamkeit und wertschätzende Zuwendung.

 

 

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