Die Männerleisten sind eine heikle Zone. Bereits in der männlichen Anatomie verbirgt sich ein Risiko für einen Leistenbruch. Zudem steigt die Anfälligkeit mit dem Alter und erhöhtem Druck auf den Bauchraum.
Autorin: Katja Hongler
«Weltweit sind 25 Prozent der Männer im Verlauf ihres Lebens mit einem Leistenbruch konfrontiert, bei den Frauen sind es nur gerade drei Prozent», weiss Dr. med. Frédéric Dubas, Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie. Der Leistenbruch (medizinisch: Inguinalhernie) ist die häufigste Bruchform und entsprechend der häufigste chirurgische Eingriff überhaupt.
Oft treten die Beschwerden zwischen dem 50. und 75. Altersjahr auf. Die meisten Leistenbrüche sind ungefährlich; trotzdem können schwere Komplikationen auftreten, wenn der Bruch nicht rechtzeitig behandelt wird. Leider ist in diesem Fall die Naturheilkunde für einmal machtlos: Der Leistenbruch ist ausschliesslich chirurgisch heilbar. Der Eingriff hat bei unkompliziertem Verlauf eine Spitalaufenthaltsdauer von ein bis zwei Tagen zur Folge oder wird ambulant ausgeführt.
Leistenbrüche sind meist Männersache. Das ist ein vorgeburtliches Entwicklungsproblem, denn bereits im Mutterleib wird der Leistenkanal des männlichen Embryos durch das Herabwandern der Hoden strapaziert. In der Fachsprache nennt man diesen Vorgang «Decensus testis».
Beim männlichen Embryo befinden sich die Hoden ursprünglich hinter den Nieren. Etwa im siebten Schwangerschaftsmonat wandern die Hoden von den Nieren durch den Leistenkanal in den Hodensack. Bis zur Geburt sollten beide Testikel im Hodensack liegen.
«Ist der Hoden durch den Leistenkanal gewandert, sollte sich der Verbindungsgang verkleben. Bleibt der Verschluss aus, entsteht ein so genannter angeborener Leistenbruch und Bauchinhalt kann in den Leistenkanal vordrängen», erklärt der Chirurg PD Dr. med. Sascha Müller vom Kantonsspital St. Gallen. Sobald ein angeborener Leistenbruch bei einem Säugling entdeckt wird, kann dieser durch eine kleine Operation behoben werden.
Aber auch wenn sich der Durchgang nach der Hodenwanderung wieder verschliesst – eine Schwachstelle bleibt. «Das Gewebe verklebt sich an dieser Stelle, und damit entsteht auch für die Zukunft eine natürliche Schwachstelle, die für Lücken, eben Brüche, entsprechend anfälliger ist», beschreibt Chirurg Müller den anatomischen Grund für das häufige Männerleiden.
Die Anatomie der männlichen Leiste ist generell knifflig. Der Leistenkanal zieht sich schräg durch die Schichten der vorderen Bauchwand, umgeben von einem empfindlichen Umfeld mit Blutgefässen, Nerven, Samenstrang und Darmgewebe.
Schwachstellen haben auch die stärksten Kerle. Ernesto ist so einer: Ein kräftiger Bauer, der es gewohnt ist, anzupacken. Ihn traf es wie ein Blitz beim Tragen eines schweren Möbelstücks: «Plötzlich gab es einen zünftigen Fitz ins Unterstübchen!»
Der 52-Jährige verspürte schon seit längerer Zeit ein schmerzhaftes Ziehen in der Bauchgegend, wenn er mal wieder etwas Schweres hob. Der Schmerz verging jedoch immer wieder. Nach diesem Vorfall aber hielt der Schmerz an und war derart heftig, dass er beschloss, einen Termin bei seinem Hausarzt zu vereinbaren.
Der Arztbesuch brachte ihm die eindeutige Diagnose: Leistenbruch. Sein Hausarzt überwies ihn für ein Gespräch mit dem Chirurgen ins Spital. Danach war für Ernesto klar, dass er den Leistenbruch baldmöglichst operieren lassen muss.
Er musste eine Nacht im Spital verbringen, dann durfte er wieder heim. Allerdings mit einer klaren Anweisung: Die nächsten zwei Wochen müsse er sich vollständig schonen, danach dürfe er leichte Arbeiten unter einer Belastung von höchstens acht bis zehn Kilo ausführen. Nach rund vier Wochen fühlt sich Ernesto wieder fit für die Arbeit auf dem Bauernhof. «Für einen körperlichen Volleinsatz reicht es aber noch nicht ganz aus», meint er.
So oder ähnlich ergeht es vielen Männern. Die Patientengeschichte von Ernesto ist typisch für den Verlauf einer Leistenhernie. Schmerzen unter körperlicher Anstrengung sind oft schon seit geraumer Zeit vorhanden, es braucht dann nur noch den letzten Anstoss, bis der Bruch deutlich wird.
Meistens ist eine Hernie mit einer Schwellung in der Leistengegend verbunden. Nicht selten wird der Bruch durch Husten, beim Anheben einer schweren Last oder durch forciertes Pressen auf der Toilette ausgelöst. Daher zählen chronischer Husten, chronische Verstopfung und schwere körperliche Arbeit zu den Risikofaktoren.
Ein Leistenbruch muss aber nicht zwingend mit starken Schmerzen einhergehen. Eine schmerzlose Beule in der Leistenregion kann genauso eine Hernie bedeuten. In jedem Falle sollte man nicht lange zögern, sondern zum Arzt gehen.
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Es ist kein aufwändiges Diagnoseverfahren zu befürchten. Der Leistenbruch ist schnell und unkompliziert festzustellen. In der Regel kann bereits der Hausarzt den Bruch durch Abtasten eindeutig erkennen. Meist wölbt sich der Bruchinhalt (zum Beispiel Darmgewebe) durch eine Lücke in die Bauchdecke nach aussen vor.
Man unterscheidet direkte und indirekte Leistenbrüche. «Direkt» bezieht sich dabei darauf, dass sich der Bruch durch die Leistenkanalhinterwand zieht. Indirekte Brüche gelangen durch den inneren Leistenring entlang des Samenleiters in den Leistenkanal. Auf die Behandlung hat diese Unterscheidung allerdings keinen Einfluss.
Der Bruch sollte möglichst rasch operiert werden, damit kein Risiko für einen «eingeklemmten Bruch» entsteht. Im schlimmsten Fall kann dies nämlich zum Darmverschluss führen. Bei einem Darmverschluss können sich Darmteile abklemmen und mit ihnen die Durchblutung. Dies kann zu einer lebensgefährlichen Situation führen.
Es gibt keine Alternative zur Leistenbruch-Operation. Früher kamen so genannte Bruchbänder zum Einsatz. Ein Bruchband bestand meistens aus einem straffen Ledergürtel, versehen mit einer Platte, die auf die Bruchpforte gesetzt wurde, um den Bruch zurückzudrängen. Heute wird von diesem «alten Zopf» dringend abgeraten, obwohl im Internet noch diverse Modelle angepriesen werden – aus medizinischer Sicht sind diese vermeintlichen Hilfsmittel überholt und gefährlich.
Ziel der Behandlung der Leistenhernie ist ein dauerhafter Verschluss der Bruchlücke. Es gibt verschiedene Operationstechniken, die je nach Patientensituation angewendet werden. Heutzutage werden an den Schweizer und deutschen Spitälern mehrheitlich drei unterschiedliche Techniken angeboten (vgl. Kasten Seite 29). Grundsätzlich unterscheidet man die konventionelle «offene» Methode von der minimalinvasiven «geschlossenen Knopflochmethode».
Das Prinzip ist dasselbe, lediglich der Zugang zur Bruchstelle variiert. Bei der offenen Methode macht der Chirurg einen Schnitt bei der Leiste über der Ausstülpung. Der Inhalt des Bruchsacks wird zurückgedrängt und ein dünnes Kunststoffnetz zur Verstärkung der Leistenrückwand eingesetzt.
Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die minimalinvasive Leistenbruchversorgung weit verbreitet. Es existieren hier zwei gleichwertige Verfahren, die TEP- und TAPP-Technik. Diese Methoden basieren auf der Knopfloch-Chirurgie und sind ein elegantes und schonendes Verfahren.
Im Gegensatz zur offenen Operation, welche in örtlicher Betäubung möglich ist, werden minimalinvasive Eingriffe allerdings unter Vollnarkose durchgeführt. Bei den «Knopfloch-Methoden» führt der Operateur seine Instrumente sowie eine Spezialkamera durch drei kleine Hautschnitte in die Bauchhöhle ein und operiert von innen. Alle Arbeitsschritte vollzieht der Chirurg in einer mehrfachen Vergrösserung über den Monitor. Der Bruch wird wie bei der offenen Methode versorgt und mit Netz gesichert.
Dieses Verfahren ist insbesondere bei beidseitigen Brüchen vorteilhaft, weil nur ein Zugang nötig ist. Das Netz zur Verstärkung der Leistenwand ist mittlerweile Standard und wird bei allen Operationsverfahren eingesetzt.
«Wir entscheiden zusammen mit dem Patienten, welches Verfahren für seine persönliche Lebenssituation angebracht ist», sagt Dr. Müller, der jährlich rund 70 Leistenbrüche versorgt. Muss ein Patient rasch wieder arbeitsfähig sein – wie beispielsweise der Bauer Ernesto – empfiehlt sich die Knopflochmethode. Nach diesem Eingriff dauert die Rehabilitation nur zwei bis drei Wochen.
«Haben wir beispielsweise einen älteren Patienten mit einer Herzschwäche, tendieren wir zur offenen Methode, weil dafür lediglich eine örtliche Betäubung beziehungsweise eine Teilnarkose nötig ist.» Nach der offenen Operation dauert es allerdings sechs bis acht Wochen, bis der Patient wieder voll belastbar ist.
Eine konkrete Prophylaxe gibt es nicht, weil die Anfälligkeit für einen Leistenbruch bereits «in der Natur der Sache» liegt. Auch ein regelmässiges Krafttraining bietet sich nicht an, um dem Leistenbruch vorzubeugen, denn dort wo der Bruch entsteht, gibt es keine Muskeln zu trainieren. Übermässiges Krafttraining kann sogar zusätzlichen Druck auf den Bauchraum verursachen.
Was Männer tun können, um einen Bruch nicht herauszufordern, ist: Nicht zu schwer tragen und Übergewicht vermeiden. Zu viele Kilos sind nicht nur für die Leiste und das Gewebe eine zusätzliche Belastung, sie können auch bei der Operation ein Risiko darstellen. Und zu guter Letzt: Wer ein «komisches Gefühl» in der Leistengegend verspürt, soll frühzeitig zum Arzt gehen.