«Wann ist ein Mann ein Mann?», fragte Herbert Grönemeyer in den 1980er-Jahren. Lautet die Antwort etwa: Wenn er nicht zum Arzt geht, ungesünder und risikoreicher lebt, kränker ist und früher stirbt als (s)eine Frau? Betrachtet man die Zahlen und Fakten, könnte man das vermuten.
Autorin: Dr. Claudia Rawer
Die Lebenserwartung steigt – bei Männern ist sie jedoch immer noch geringer als bei Frauen. Jungen, die 2010 geboren wurden, dürfen damit rechnen, in Deutschland etwa 77, in der Schweiz fast 80 Jahre alt zu werden; ein Mädchen dagegen lebt statistisch gesehen rund fünf Jahre länger. Wer es bereits geschafft hat, 65 zu werden, hat heute als Mann durchschnittlich noch etwa 19 Jahre vor sich, als Frau 22.
Die Gründe dafür sehen Forscher einerseits in biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern, in der unterschiedlichen anatomischen und hormonellen Ausstattung und genetischen Veranlagung, andererseits im gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld: Ausbildung, Einkommen und Arbeitssituation sowie soziale Eingliederung und soziales Netz der Geschlechter sind sehr häufig verschieden und hängen dabei untereinander und in mannigfaltiger Weise mit der Gesundheit zusammen. Viele Unterschiede aber sind hausgemacht: Sie liegen im Verhalten und der Einstellung zur Gesundheit, zu Körper und Psyche.
Verhaltensunterschiede zeigen sich besonders auffallend beim Blick auf die vorzeitige Sterblichkeit, vor Vollendung des 65. Lebensjahres: Von 100 000 Männern sterben 239, bevor sie dieses Alter erreicht haben, aber nur 139 von 100 000 Frauen (Zahlen von 2008). Besonders junge Männer gehen grössere Risiken ein: Bis ins junge Erwachsenenalter sterben beinahe doppelt so viele Männer wie Frauen – meist durch Unfälle im Verkehr, bei der Arbeit oder im Sport sowie durch Gewalteinwirkung.
Im mittleren und reiferen Erwachsenenalter führen Herz-Kreislauf-Krankheiten, Lungenkrebs und mit Alkohol assoziierte Krankheiten zu einer höheren Sterblichkeit der Männer. So stellte denn auch der «1. Deutsche Männergesundheitsbericht», der im Oktober 2010 erschien, fest, der gesundheitliche Zustand der Männer sei deutlich schlechter als der der Frauen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung ist gestiegen– besonders bei den Frauen!
«Die Festlegung der Männer auf Erwerbsarbeit scheint der Gesundheit abträglich zu sein», stellt eine soziopsychologische Untersuchung aus dem Jahre 1999 lakonisch fest. Immer noch arbeiten deutlich mehr Männer als Frauen in anstrengenden und gefährlichen Berufen in der industriellen Produktion, in Land- und Forstwirtschaft, im Handwerk und auf dem Bau. Das hat Auswirkungen, auch unter den Berufsgruppen: Einer Schweizer Langzeitstudie zufolge sind im Alter von 65 Jahren nur noch 57 Prozent der Bauarbeiter gesund, bei den Architekten und Technikern dagegen 85 Prozent.
Männer arbeiten häufiger Vollzeit, haben öfter überlange Arbeitszeiten und machen mehr Überstunden; dafür arbeiten sie deutlich seltener unbezahlt. Lange Arbeitszeiten und beruflicher Stress erhöhen neben anderen Faktoren das Herzinfarktrisiko: Männer zwischen 40 und 50 Jahren bekommen fünf Mal häufiger einen Herzinfarkt als Frauen im gleichen Alter.
Immer in Konkurrenz, immer im Wettbewerb: Männer stehen unter grösserem Druck, beruflichen Erfolg zu haben, die Karriereleiter zu erklimmen, der Familie ein gesichertes Einkommen zu bieten. Ein Scheitern in der Arbeitswelt trifft sie häufiger und schwerer als Frauen.
«Männer sind verbissener, haben den Eindruck, dass sie als Männer nicht scheitern dürften», so der deutsche Berater Hans-Jürgen Stöhr. Männer geben sich schneller auf und suchen bei Problemen viel seltener fachliche Hilfe als Frauen. Die Selbstmordrate bei Männern übersteigt die der Frauen deutlich: Mehr als 70 Prozent der Lebensmüden sind männlich.
Sport treiben Männer etwas häufiger, aber oft ehrgeizig und wettbewerbsorientiert, während Frauen sich meist sportlich betätigen, um gesund und schlank zu bleiben, und dabei Mass halten.
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Nur etwa 60 Prozent der Männer achten auf ihre Ernährung, bei den Frauen sind es fast 80 Prozent. Die Folgen sind sichtbar: Deutlich mehr Männer sind übergewichtig als Frauen. In der Schweiz bringen laut Bundesamt für Gesundheit BAG 46 Prozent der Männer erheblich zu viel auf die Waage, 48 Prozent der männlichen Deutschen und 54 Prozent der Österreicher gelten als zu dick ( Frauen 29/31/29 Prozent). In Österreich und der Schweiz sind weitere 9 Prozent der Männer fettleibig, während es in Deutschland schon unglaubliche 19 Prozent sein sollen.
Übergewicht ist inzwischen bereits unter jungen Erwachsenen weit verbreitet. Laut einer deutschen Untersuchung sind bei den 20- bis 24-Jährigen schon 29 Prozent der Männer zu dick (Frauen 18 Prozent). Mit dem Alter wird es nicht besser: Bei den 70- bis 74-Jährigen fanden sich die meisten Übergewichtigen: 74 Prozent der Männer (Frauen 63 Prozent) tragen zu viel Bauch mit sich herum. Trotzdem sind deutlich mehr Männer als Frauen mit ihrem Gewicht zufrieden. Da wundert es nicht, dass die Zahl von Diabetes-Patienten bei Männern fast doppelt so hoch ist.
Hoffentlich nicht – aber Männer konsumieren mehr Alkohol, Drogen und Zigaretten. Doppelt so viele Männer wie Frauen leiden an einer alkoholischen Leberzirrhose. Das vor allem unter männlichen Jugendlichen und jungen Männern in Mode gekommene «Komasaufen» dürfte diese Zahlen nicht verbessern. Leberentzündungen sind bei Männern häufiger, ihr Risiko für eine Hepatitis B ist deutlich höher. Männer erkranken und sterben häufiger als Frauen an Krebs, und das Rauchen spielt dabei eine wesentliche Rolle: Nach Prostata- und Darmkrebs ist das Lungenkarzinom die häufigste Krebserkrankung bei Männern.
Trotz des ihnen attestierten schlechten Gesundheitszustandes und des höheren Sterberisikos gehen Männer oft nachlässig mit ihrer Gesundheit um. Sie nehmen kaum Vorsorgetermine wahr (in Deutschland sollen 80 Prozent auf Präventionsleistungen verzichten), und gehen selten zum Arzt. Körperlich und seelisch achtsam mit sich umgehen, Schmerzen zugeben, unpässlich oder gar krank sein – das gilt wohl immer noch als unmännlich. Ernstere Symptome werden oft nicht beachtet: «Das geht schon wieder vorbei.» Meist quält sich der Mann erst dann zum Arzt, wenn es gar nicht mehr anders geht – und das ist dann oft zu spät.
Auch den Zahnarzt meiden Männer häufiger als Frauen – bei dem inzwischen bekannten Zusammenhang von Zahnfleisch- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein riskantes Verhalten. Eine Parodontitis wird mittlerweile mit den klassischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie erhöhte Blutfettwerte, Bluthochdruck und Übergewicht gleichgesetzt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer bei einem gesundheitlichen Problem den Gang in die Arztpraxis vermeiden, ist viermal höher als bei Frauen. Männer haben meist ein distanzierteres Verhältnis zu ihrem Körper, neigen dazu, Krankheitszeichen zu ignorieren, sind dem weissen Kittel gegenüber skeptisch, und von Vorsorge halten sie schon gar nichts.
Die Ausreden sind vielseitig: «Ich kann es mir jetzt nicht leisten, krank zu sein», «Ich habe keine Zeit», «Ich habe gerade keinen Hausarzt», «Das wird schon von selbst besser», «Ich gehe dann, wenn in der Firma weniger los ist».
Wie sagte schon Sebastian Kneipp: «Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird eines Tages Zeit haben müssen, krank zu sein.» Frauen können ihren Männern helfen, einen Schritt zur Gesundheit zu tun: Präsentieren Sie ihm objektive, unumstössliche Fakten über Erkrankungen und Vorsorgemöglichkeiten. Weisen Sie darauf hin, dass das kleine Wehwehchen der Beginn einer ernsthaften Krankheit sein kann. Kritisieren Sie ihn nicht, sondern sagen Sie ihm, dass Sie sich um ihn sorgen. Meilensteine können hilfreich sein: Eine Hochzeit in der Familie ist ein guter Grund, etwas abzuspecken; die Augenuntersuchung sollte vor den Ferien stattgefunden haben. Und wenn alles nichts hilft: Machen Sie ihm einen Termin bei Ihrem Hausarzt.