Ein Hörsturz kommt völlig unverhofft. Die Hörminderung erzeugt ein dumpfes Taubheitsgefühl im Ohr, das die Betroffenen verständlicherweise alarmiert und ängstigt.
In aller Regel ist beim Hörsturz nur ein Ohr betroffen. Schlagartig hört man nur noch stark gedämpft oder fast nichts mehr. Das wattige, taube Gefühl im Ohr kommt ohne Vorwarnung vielfach am Morgen nach dem Aufstehen oder in belastenden, stressigen Situationen. Der Hörverlust kann verschieden stark ausgeprägt sein – von relativ geringer Einschränkung bis zu völliger Taubheit. Ohrenschmerzen treten nicht auf. In der Schweiz sind jährlich rund 1600 Menschen von einem Hörsturz betroffen, in Deutschland machen pro Jahr circa 200 000 Menschen diese beunruhigende Erfahrung. Prinzipiell kann die Erkrankung in jedem Alter passieren; Kinder sind allerdings selten betroffen. Am häufigsten ist die Rate im Alter zwischen 40 und 50 Jahren.
Autorin: Ingrid Zehnder
Ein Hörsturz ist als akuter, idiopathischer (d.h. ohne erkennbare Ursache) Hörverlust definiert. Da besteht auch der Unterschied zum Knalltrauma, bei dem die Ursache feststeht (fester Schlag aufs Ohr, kurze, starke Druckwellen durch Feuerwerkskörper, Böller, Schüsse, Explosionen, aufgehenden Airbag, Unfälle etc.). Die Auswirkungen und Therapien sind jedoch ganz ähnlich wie beim Hörsturz.
Noch immer weiss die Wissenschaft nicht genau, was sich bei einem Hörsturz im Innenohr abspielt. Über seine Entstehung und die Ursachen gibt es einige Theorien: Sie reichen von Durchblutungsstörungen, Sauerstoffmangel und Stoffwechselproblemen im Innenohr bis zu dem sogenannten endolymphatischern Hydrops. Letzterer wird verursacht durch Schwankungen oder einen Stau der Endolymphe, einer für die Funktion des Hör- und Gleichgewichtsorgans notwendigen Flüssigkeit im Innenohr. Diskutiert werden auch Stress und psychische Belastung als beitragende bzw. auslösende Faktoren.
Noch vor einigen Jahren galt bei der auch als Ohrinfarkt bezeichneten Störung die Empfehlung, sofort eine Hals-Nasen-Ohren-Ärztin zu konsultieren. Obwohl ein Hörsturz, medizinisch auch Schallempfindungsschwerhörigkeit, für den Einzelnen ein verunsicherndes Ereignis darstellt, wird heutzutage eher geraten, nichts zu überstürzen und einige Zeit abzuwarten. Hingegen sollte bei ausgeprägter Schwerhörigkeit oder gar Taubheit des Ohres umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
Ein Hörsturz kann unter Umständen begleitet sein von Schwindel (siehe GN 6/2017) und Tinnitus (GN 10/2017). Kommen keine weiteren Symptome wie Übelkeit, Seh- oder Sprachstörungen hinzu, ist ein Hörsturz kein Notfall. In etwa 50 Prozent der Fälle gehen die Hörverluste in den ersten Tagen oder Wochen von selbst und ohne ärztliche Behandlung zurück. Die Betroffenen sollten sich in erster Linie von Lärm zurückziehen, sich entspannen und (Bett-)Ruhe gönnen, weder rauchen noch Alkohol trinken.
Hält die Hörminderung länger als ein bis zwei Tage an, wird ein Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt angeraten, da niemand weiss, ob und wann eine spontane Heilung eintritt.
Die Ärztin wird zunächst eine Verstopfung des Gehörgangs durch Ohrenschmalz oder Infekte (z.B. Mittelohrentzündung) und mögliche andere Krankheitsursachen des Patienten ausschliessen. Beim Hörsturz ist der Schauplatz des Gesche
hens das Innenohr.
Dort liegen die empfindlichen Haarzellen, die von aussen kommende Schallwellen in elektrische Impulse umwandeln. Diese werden von den Nerven ins Gehirn weitergeleitet, wo sie entschlüsselt werden. Erst dann hört man. Bei einem Hörsturz arbeiten die Haarzellen nicht mehr richtig.
Geprüft werden das Ausmass der Hörstörung und die betroffenen Frequenzbereiche. Oft hört man entweder nur hohe oder mittlere oder tiefe Töne schlechter; sind alle Frequenzen betroffen, wird schon ein mässiger Hörverlust als sehr beeinträchtigend empfunden. Die Mediziner unterscheiden zwischen Hochton-, Mittelton- und Tieftonhörsturz. Ein Sonderfall ist die Hörminderung, welche die gesamte Hörschnecke, einen wichtigen Teil des Innenohres, betrifft.
Die beste Prognose hat ein Tieftonhörsturz. Dabei spürt die Betroffene einen tiefen Ton, ein tiefes Brummen und einen Druck wie im Flugzeug oder wie Wasser im Gehörgang. Dabei handelt es sich oftmals um einen endolymphatischen Hydrops. Nach Meinung vieler HNO-Ärzte muss in diesem Fall nicht «die ganze Palette der Hörsturztherapie, mit Kortison und allem Drum und Dran, in Gang gesetzt werden». Dies sei bei Endolymphschwankungen, die meist mit Stress zu tun haben, kaum sinnvoll; wirkungsvoller sei eine «Behandlung» mit Ruhe und z.B. Progressiver Muskelentspannung, wodurch die Stauung im Innenohr am besten wieder abfliesse. Auf jeden Fall ist eine gründliche Diagnostik mit Hörtest nötig.
Die international übliche Behandlung der Patienten bei Hörsturz besteht in der Gabe von hoch dosierten Glukokortikoiden, die zu den Steroidhormonen gehören. Ihr bekanntester natürlicher Vertreter ist das Kortison. Kortisonhaltige oder kortisonähnliche Medikamente sollen die Entzündungen und Schwellungen, die nach einem Hörsturz im Ohr auftreten, bekämpfen. Obwohl die Wirksamkeit bisher nicht wissenschaftlich gesichert ist, geht die HNO-Heilkunde davon aus, dass die Kortisontherapie sinnvoll ist. «Wir wissen, dass Kortison wirken kann. Wir wissen nicht, ob es in jedem Fall wirkt», meint der HNO-Facharzt Prof. Heinrich Iro von der HNO-Klinik der Uni Erlangen.
Falls keine Besserung eintritt, kann als «Reservetherapie» besonders bei grossem Hörverlust das Kortison, gebunden an eine Trägerlösung, direkt ins Ohr gespritzt werden (intratympanale Behandlung).
In Deutschland läuft seit Frühjahr 2015 die Studie «Hodokort», an der 40 HNO-Kliniken und –Praxen teilnehmen. Ziel der Studie ist, die optimale Dosierung und Anwendung (Tablette/Infusion) des Steroidhormons zu finden. Ergebnisse sind noch nicht bekannt.
Die früher oft praktizierte Behandlung mit synthetischen Medikamenten, welche die Fliesseigenschaften des Blutes verbessern sollen, ist inzwischen obsolet, da sie bei Hörsturz nicht wirkt und schwerwiegende Nebenwirkungen haben kann. Naturheilkundlich günstig wirken Ginkgo und Magnesium.