Ob cooler Hipster, smarter Geschäftsmann, attraktives Model oder alter Zausel – Haarwuchs in Männergesichtern ist in. Heute sind Bärte mehr oder weniger individuelle modische Accessoires. Früher war das zeitweise ganz anders.
Die Pharaonen des alten Ägypten rasierten sich, was eine Tortur gewesen sein muss, denn sie benutzen dazu Bienenwachs und Bimsstein, kannten allerdings auch schon Rasiermesser aus Bronze. Bei bestimmten Zeremonien (und der Grablegung) trugen sie zum Zeichen ihres Standes, ihrer Macht und Kraft künstliche, stilisierte Kinnbärte – auch die Königinnen.
Autorin: Ingrid Zehnder, 07.16
Im Griechenland des Altertums und der römischen Antike waren die Männer stolz auf ihre Bärte; Verbrecher wurden durch die Abnahme ihrer Gesichtshaare bestraft. Erst mit Alexander dem Grossen – quasi der erste Herrscher mit «nacktem» Gesicht – wurde die Rasur modern. Seine Soldaten mussten sich rasieren oder den Bart wenigstens kurz halten, weil das im Kampf weniger Angriffsfläche biete und sicherer sei. So wurde es auch in den oberen Schichten des römischen und hellenischen Reiches Sitte, bartlos aufzutreten. Nur die Philosophen machten eine Ausnahme: Sie trugen weiterhin lange Haare und lange Bärte.
Dass die Herrscher Modevorbilder waren, hat sich in der Geschichte vielfach wiederholt. Bärtige und bartlose Epochen wechselten sich munter ab.
Was den Bart betrifft, setzte in Frankreich König Heinrich IV. (1553–1610) Massstäbe. Noch heute ist seine Bartform unter dem Begriff «Henriquatre» populär. Die kreisförmige Kombination aus kurzem Schnauzer und Kinnbart rund um den Mund wird/ wurde heutzutage beispielsweise von Beckenbauer, Franck Ribery, Brad Pitt oder Leonardo di Caprio getragen und ist auch bei vielen anderen beliebt.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war in Spanien und den Niederlanden der Knebelbart (auch Victor-Emanuel-Bart oder Musketierbart) beliebt und beim Hochadel und der Geistlichkeit weit verbreitet. In Frankreich wurde die Mode durch den Staatspräsidenten und späteren Kaiser Napoleon III. (1808–1873) wiederbelebt. Der Knebelbart besteht aus einem Schnurrbart mit gezwirbelten und gewachsten Enden plus Ziegen-Kinnbart. Der wohl bekannteste bürgerliche Träger des heute weitgehend aus der Mode gekommenen Knebelbarts war Buffalo Bill.
Modische Furore machte auch der volle Schnurrbart des deutschen Kaisers Wilhelm II. (1859–1941): Ein Schnauz mit seitlich längeren Haaren und hochgezwirbelten Enden. Im ganzen Land erfolgreich wurde diese Barttracht nicht zuletzt auch durch die Erfindung des deutschen Friseurs François Haby.
Er entwickelte Bartwichse samt Bartbinde, die des Nachts hinter den Ohren befestigt wurde. Haby, der für seine Produkte mit Vorliebe kuriose Bezeichnungen wählte, nannte die Bartwichse «Es ist erreicht» – wonach des Kaisers Bart, der Bart von TV-Koch Horst Lichter und die buschigen, nach oben gezwirbelten Schnäuzer aller anderen den Namen Es-ist-erreicht-Bart erhielten.
Besonders wilde und seltsame Blüten trieb der Koteletten- oder Backenbart, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus USA und England aufs europäische Festland schwappte. Später wurde daraus eine von Ohr zu Ohr die Kinnlinie umrandende Barttracht mit Namen Lincoln-Bart (nach dem US-Präsidenten), Kinnvorhang (chin curtain) oder Schifferkrause.
Im Lauf der Geschichte waren bestimmte Bartformen ein Mittel, politische Gesinnungen zur Schau zu tragen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Schichten zu dokumentieren.
Bezeugten die Bürger ihre Regierungstreue durch das Tragen der königlichen/kaiserlichen Barttracht bzw. Rasur, so gab es immer auch den umgekehrten Effekt. In Zeiten, in denen die meisten Männer glatt rasiert waren, galten Bärte häufig als Ausdruck politischer Opposition, als Geste der Abgrenzung und Revolte. Doch nicht selten wurde die vermeintliche Nonkonformität von (zu) vielen Mitläufern und Nachahmern bald ad absurdum geführt. (Ein Schelm, wer dabei an heutige Bartträger denkt!)
Es heisst, im Bart liege die männliche Stärke, Reife und Potenz. Wollte man in alten Zeiten jemanden beleidigen oder bestrafen, wurde ihm der Bart abgeschnitten.
Noch 2012 gingen Meldungen durch die Presse, dass innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Amish in den USA vermeintlich weniger Fromme von anderen Glaubensbrüdern durch Zwangsrasur gedemütigt worden waren. Die Religionsgemeinschaft, begründet von dem Schweizer Jakob Ammann, schreibt vor, dass die Kinnbärte nach der Eheschliessung wild weiterwachsen müssen und nicht mehr geschnitten werden dürfen. Der Bart gilt als Ausdruck von Männlichkeit, Würde und Religiosität. Ihn zu verlieren, ist ein zutiefst verletzender Angriff auf das Selbstverständnis. Einer der gewaltsam Rasierten sprach vor Gericht davon, man habe ihm das «Heiligste» genommen. Die Täter wurden übrigens wegen «Hassverbrechen» zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Bei den Eishockeyspielern hat sich die Mode durchgesetzt, während der Playoffs bis zum Ausscheiden des Teams – oder bis zur Meisterschaft – die Bärte wachsen zu lassen. Erfunden wurde «wer rasiert, verliert» Anfang der 1970er-Jahre in den USA und galt damals als kleine Kulturrevolution, denn eigentlich waren lange Haare sowie Schnauz und Bart verpönt. Gesichtsbehaarung war zu dieser Zeit eher ein Symbol für die Weichheit der Hippie-Jungs, die mit dem harten Männersport so gar nichts gemein hatten.
Es begann 2003 mit einer Initiative in Australien: Schnauz wachsen lassen und Gutes tun. Mittlerweile beschliessen immer mehr Männer im Monat November, die Haare über der Oberlippe spriessen zu lassen – in 21 Ländern der Welt, auch in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Grund: Sie sammeln Spenden für die Stiftung «Movember» (das «mo» steht für «moustache» = Schnurrbart). Die Stiftung kümmert sich um Männergesundheit und setzt das Geld zur Erforschung und Vorbeugung von Prostata- und Hodenkrebs sowie seelischem Wohlbefinden (psychische Krankheiten und Suizidgefahr) ein. Mit den Spenden (allein 2014 waren es 71,1 Millionen Euro) werden nationale Forschungseinrichtungen unterstützt.
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Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Bärte eigentlich nur bei Fischern, Holzfällern, zur See fahrendem Volk, beim Alm-Öhi und Räuber Hotzenplotz sowie bei Gartenzwergen in Mode. Ansonsten war das Gestrüpp im Gesicht mega-out. Die Erfindung und Optimierung des Elektrorasierers half dabei. Ein rasierter Mann galt als zivilisiert, angepasst, clean und kompetent. Ein Tagesschausprecher, ein Versicherungsvertreter, ein Arzt, ein Aufsichtsrat mit Bart? Noch vor wenigen Jahrzehnten galt das als haarsträubend.
Die aktuelle Mode, Bart zu tragen, hält sich hartnäckiger als alle Experten vermuteten. Totgesagt wurde sie alle Jahre wieder: 2013, 2014, 2015 und Anfang 2016. Doch er lebt, der Bart – als zart gefräste Linien um Mund und Kinn bis zum mehr oder weniger üppigen Vollbart ist alles möglich. Nahezu jeder Zweite trägt Bart, stachelig-kratzige Drei-bis-FünfTage-Bärte mit eingerechnet. Kaiser und Könige haben als Vorbilder ausgedient, heute haben wir ja Sportler, Trainer, Schauspieler, Designer, Musiker, Models und Moderatoren. Die Mär, Bärte seien Attribute, die von Reife, Kraft, Durchsetzungsfähigkeit und Souveränität zeugten und gleichzeitig etwas Verwegenes hätten, hat sich bis heute gehalten und dazu beigetragen, dass Haarwuchs im Gesicht selbst in Chefetagen akzeptiert wird.
Die Hamburger Soziologin Christina Wietig fand bei Befragungen heraus, dass vor allem bei den über 60-Jährigen das volle Gesichtshaar eng mit dem Thema Potenz in Verbindung steht. Mehr als 30 Prozent der Bartträger verbinden mit üppigem Kinnbewuchs auch eine gesteigerte Kraft im Bett.
Obwohl bei der Vielzahl der Bartträger von Einzigartigkeit kaum die Rede sein kann, geben 77 Prozent von ihnen an, ihre Individualität unterstreichen zu wollen. Bärte unterliegen jedoch, wie andere modische Accessoires auch, dem komplexen Wechselspiel zwischen dem Bedürfnis nach trendiger Angepasstheit und dem Verlangen nach Abgrenzung.
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Im Auftrag der Partnerbörse FriendScout24 kamen Meinungsforscher der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) 2014 in Deutschland zu folgendem Ergebnis: Nur 18 Prozent der Frauen sind der Ansicht, dass Männer mit Bart generell attraktiver aussehen; 29 Prozent der Frauen mögen Männer mit Bart nur dann, wenn dieser entsprechend gepflegt ist. Junge Bundesbürger können sich eher mit der Gesichtsbehaarung anfreunden als ältere: 29 Prozent der unter 19-Jährigen finden Bärte ansprechend, aber nur rund zehn Prozent der über 50-Jährigen. Dabei findet der coole Dreitagebart mit 42 Prozent den grössten Beifall. Auf Platz zwei liegt mit 20 Prozent der Schnurrbart; abgeschlagen mit jeweils 12 Prozent folgen Vollbart und Henriquatre; den Kinnbart finden sogar nur fünf Prozent der Befragten sexy.
Auf den zahlreichen Seiten im Internet, die nicht nur beraten, welcher Bart zu welcher Gesichtsform passt, sondern auch Schneide- und Pflegeprodukte verkaufen, wird immer wieder betont, dass Bärte die Haut vor gefährlichen UV-Strahlen schützen – und das gelte nicht nur für Voll-, sondern auch für
Dreitagebärte. Zudem könne eine Gesichtsfrisur Pollen, Staub und andere Allergene abfangen und auf diese Weise Atemwegserkrankungen und Heuschnupfen minimieren. Im Januar 2016 tauchten hierzulande Meldungen über eine britische Studie auf, wonach bei insgesamt 408 (!) Männern mit und ohne Bart die Besiedlung mit MRSA-Keimen bei den Bärtigen dreimal niedriger war als bei den Bartlosen. Pech allerdings, dass das nur im Gesicht der Fall war. Insgesamt war die Keimbesiedlung am Körper aller untersuchten Männer etwa gleich, so die (mehr als fragwürdige) Studie.
Bärte brauchen viel Pflege, und diese kostet oft mehr Zeit als die tägliche Rasur. Bart-Styling gilt als eigene Kunst, die lehrt, wie Barthaare gekämmt, gewaschen, geschnitten, gestylt und gefärbt werden. Da geht es nicht allein um rothaarige Bärte, die nicht so recht zum braunen Kopfhaar passen, nein, im Streben nach Aufmerksamkeit färben manche Schweizer (und nicht nur sie) jetzt ihre Barthaare gar grün oder orange.
Gute Barbiere sind gesucht und gefragt, denn nur wenige Coiffeure und kaum eine Friseurin beherrschen noch das alte Handwerk.
Gefragt sind auch gute Chirurgen, denn manch ein Mann, dessen Bartwuchs nicht so will, wie er wohl will, legt sich unters Messer, um Haare vom Hinterkopf ins Gesicht transplantieren zu lassen.