Öfter mal Schuhe ausziehen und den Füssen Frischluft gönnen – das tut unseren sensiblen, doch nicht selten verkümmerten Tastorganen merklich gut. Auch aus orthopädischer Sicht.
Autorin: Silke Lorenz, 05.19
Die Füsse sind das Fundament unseres Körpers und täglich einer hohen Belastung ausgesetzt. 26 Knochen, 33 Gelenke, 20 Muskeln, 114 Sehnen und Bändern sorgen für Stabilität: Sie federn den Auftritt ab, halten das Gleichgewicht, sorgen für eine dynamische Fortbewegung, gleichen Unebenheiten aus. Und wir stecken dieses Meisterwerk der Natur in (nicht selten zu enge) Schuhe.
«Schuhe führen den Fuss. Das hat gute und schlechte Seiten. Positiv ist Schuhwerk immer dann, wenn eine Instabilität oder Fehlstellung vorliegt, die durch den Schuh abgefedert wird. Jeder bequeme Schuh kann eigentlich bedenkenlos getragen werden. Aber: Zu enge, unbequeme oder gar schmerzhafte Schuhe sollte man vermeiden. Beim Kauf muss man darauf achten, dass die Zehen genug Platz in der Vorfuss-box haben», sagt Privatdozent Dr. Norman Espinosa. Er ist Präsident der Expertengruppe «Fuss» bei der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie «swiss orthopaedics» sowie Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates in Zürich.
Trägt man keine oder nur flache Schuhe, lasten normalerweise 40 Prozent des Körpergewichts auf dem Ballen und die restlichen 60 Prozent auf den Fersen. Hohe Absätze dagegen belasten Zehen, Knie und Wirbelsäule, da damit die Ballen 80 Prozent des Gewichts tragen müssen. «Jede Belastung über die Norm ist potenziell gefährlich und sollte gut aufgefangen werden. Beim Sport ist Aufwärmen und Dehnen wichtig. Jede exzentrische Bewegung kann die Achillessehne überstrapazieren und im Extremfall zum Riss führen», erklärt der Mediziner.
«Die Natur hat vorgesehen, dass wir ohne Schuhe auf die Welt kommen. Somit ist der Fuss von Grund auf für das barfüssige Gehen gemacht worden», betont Dr. Espinosa. Wer dabei stets kalte oder schmerzende Füsse hat, sollte die Ursache abklären, empfiehlt er. Vielleicht ist es ein Anzeichen für ein rheumatologisches Leiden oder eine Durchblutungsstörung. Wenn aber die Kälte eine rein subjektive Empfindung ist, ohne Hinweis auf eine Krankheit, so rät er zu rutschfesten Socken. Was auch hilft: Eine Massage mit Rosmarinöl, das regt die Durchblutung an. Diabetiker oder Neuropathiepatienten sollten besonders auf ihre empfindlichen Füsse achten, tägliche Fusspflege ist Pflicht. Immer mehr Menschen finden Gefallen an sogenannten Barfussschuhen oder minimalistischen Schuhen, die eine dünne, flexible und ungedämpfte Sohle haben. Ein Trend, dessen Nutzen für Dr. Espinosa nicht offensichtlich ist. Letztlich ersetze nichts die Wirkung des tatsächlichen Barfusslaufens ohne jegliches Schuhwerk.
Besonders kleine Kinder weigern sich oft vehement, Schuhe anzuziehen und sind viel lieber barfuss oder auf Socken unterwegs. Mit Leichtigkeit rennen sie über Steine in den Badesee oder über Wurzeln im pieksenden Gras. Richtig so! Denn uns geht mit zunehmendem Alter der Tastsinn mittels der Füsse verloren, weil wir meist den ganzen Tag in Schuhen stecken. Dabei wirkt Barfusslaufen wie eine anregende Massage, die unsere Füsse durchblutet. Diese Stimulation der Fusssohlen, an denen Tausende von Nervenenden und Sensoren sitzen, hat einen positiven Effekt auf die inneren Organe und den gesamten Organismus.
Zwar ist der Effekt des Barfusslaufens begrenzt, wenn deformierte Knochen die Ursache für Fehlstellungen sind. Orthopäden sind sich dennoch einig: Barfusslaufen dient als körpereigener Stossdämpfer, entlastet und stärkt zugleich Bänder und Sehnen, fördert eine gesunde Zehenstellung und trainiert die Fussmuskeln und den Gleichgewichtssinn. Deshalb: Öfter mal (Haus-)Schuhe weglassen und auf Socken oder nackten Füssen durch die Wohnung huschen.
Wie gesund Barfüsse sind, zeigt eine aktuelle Studie. Dazu haben der Hamburger Sportmediziner Dr. Karsten Hollander und Prof. Astrid Zech von der Uni Jena Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren verglichen. Die eine Hälfte ging in ländlichen und städtischen Gebieten in Südafrika in der Regel barfuss zur Schule. Die andere Hälfte besuchte Schulen in Norddeutschland, wo Schüler im Normalfall seit früher Kindheit Schuhe tragen. Die insgesamt 1015 Teilnehmer mussten drei Übungen absolvieren. Das Ergebnis: Die barfüssigen Kinder aus Südafrika konnten aus dem Stand heraus drei Zentimeter weiter springen und machten beim Balancieren auf einem dünnen Balken weniger Fehler. Beim Sprint dagegen lagen die beschuhten Kinder aus Norddeutschland vorne. Allerdings ergab eine Messung, dass ihr Fussgewölbe im Schnitt 8 bis 12 Prozent flacher ist und sie – im Vergleich zu den südafrikanischen Kindern – zu Plattfüssen neigen. Fazit von Prof. Zech: «Ja, Kinder hierzulande sollten mehr barfuss laufen. Das scheint sich gut auf die Entwicklung der Füsse sowie auf motorische Basiskompetenzen auszuwirken. Bei Erwachsenen dagegen können wir lediglich davon ausgehen, dass ein Wechsel von Schuh- zum Barfusslaufen die Laufbewegung verändert.
Socken aus, Schuhe weg, nackte Füsse: Je blosser die Füsse sind, desto langsamer und achtsamer geht man Schritt für Schritt voran. Der Körper muss mitmachen, er kann sich nicht auf Profilsohlen oder Einlagen verlassen. Was früher selbstverständlich war, müssen wir erst wieder lernen. Dafür können Barfusspfade als erste Übung ideal sein.
Start: Jakobsbad. Der Barfussweg ist ab dem Bahnhof ausgeschildert. Ziel: Gontenbad. Auch hier ist ein kleiner Bahnhof. Länge: 4,95 km. Dauer: ca. 1,5 Stunden. Das erwartet Sie: Der Weg ist grösstenteils flach, geht durch offenes Gelände und auch am Waldrand entlang. Wiesen und Bäche wechseln mit kurzen steinigen und asphaltierten Abschnitten ab, anschliessend geht's durchs Moor. Gut zu wissen: Teilstrecken lassen sich mit der Bahn fahren, da der Weg entlang der Appenzeller Bahnen führt. Der Weg ist in beide Richtungen möglich.
Start: Alp Hüttismatt (Schaukäserei). Zu erreichen ab Engelberg mit der Luftseilbahn zur Station auf dem Ristis, von dort ca. 10 Min. zu Fuss. Ziel: Brunnihütte, ca. 300 Höhenmeter oberhalb. Länge: 1 km. Dauer: Hüttismatt – Brunnihütte: ca. 45 Minuten gemütlicher Aufstieg. Brunnihütte – Hüttismatt: ca. 30 Minuten Abstieg. Das erwartet Sie: Der Weg ist ein richtiger Wanderweg mit verschiedenen Untergründen wie Sand, Holzschnitzel, Kiesel, Lehm, Zapfen und ein Mini-Klettersteig. Schuhe zur Sicherheit mitnehmen!
Extra-Tipp: Der Kneipppfad «Kitzelpfad» rund um den Härzlisee, ca. 220 Meter lang.
Start/Ziel: San Gian, vom Bahnhof in Celerina in ca. 15 Gehminuten erreichbar. Länge: Trail 1 über Punt dals Bouvs misst 2,8 km (einfacher Schwierigkeitsgrad). Trail 2 über Choma Suot misst 5 km (nur für geübte Barfussläufer). Dauer: ca. 45 Minuten (Trail 1) und ca. 2 Stunden (Trail 2, Abkürzung über Trail 2a möglich). Das erwartet Sie: Wiesen, Wasser, Steine und Waldboden. Schuhe mitzunehmen wird empfohlen.
Start/Ziel: Bergstation der Luftseilbahn Cardada, die ab Orselina auf 1340 Metern Höhe fährt. Länge: ca. 130 Meter. Dauer: ca. 5 Minuten. Rundpfad beim kleinen Wäldchen neben der Bergstation. Das erwartet Sie: Holz und Stein in verschiedenen Varianten sowie Brücke und Wippe aus Holz.
Start/Ziel: Heitenried. Länge: ca. 250 Meter, verlängerbar über einen Rundweg. Dauer: ca. 15 bis 30 Minuten. Das erwartet Sie: Acht Kästen à 10 Meter, gefüllt mit Materialien wie Sand, Tannenzapfen, Holz, grossen und kleinen Steinen. Es gibt eine Kneipp-stelle und ein Schlammloch. Tipp: Den Weg mit verbundenen Augen gehen oder sich führen lassen. Das braucht Vertrauen, ist aber ein intensives Erlebnis.