Unser wichtigster Atemmuskel leistet eine Menge. Ist er verspannt, kann sich das auf den ganzen Körper auswirken. Auch die Psyche spielt dabei eine Rolle.
Autorin: Andrea Pauli
Das Zwerchfell ist eine Schlüsselstelle unseres Körpers – und über die können körperliche wie auch psychisch-seelische Beschwerdebilder erreicht und behandelt werden.
Das Zwerchfell ist eine rund fünf Millimeter dicke, kuppelartige Muskel-Sehnen-Platte, die Brust- und Bauchraum (nicht vollständig) voneinander trennt. Es gehört zur Rumpfwandmuskulatur respektive zur Muskulatur des Brustkorbs. Das Zwerchfell ist wesentlich für unsere Atmung verantwortlich: Beim Einatmen zieht sich die Muskelschicht zusammen und sinkt nach unten – dadurch entsteht im Brustkorb mehr Platz für die einströmende Atemluft. Die Baucheingeweide werden weggedrängt; es kommt zu einer Vorwölbung des Bauches. Beim Ausatmen entspannt sich das Zwerchfell wieder und wird angehoben – das presst die Luft aus den Lungen heraus; der Bauch flacht ab.
Zwei Drittel unserer Atemkapazität werden über das Zwerchfell gesteuert. Grundsätzlich unterscheiden lässt sich zwischen Brustatmung und Bauch- bzw. Zwerchfellatmung. Das ist eine eher theoretische Unterscheidung, denn im Allgemeinen werden Brust- und Bauchatmung miteinander kombiniert. Bei hohen körperlichen Belastungen (z.B. Sport) etwa wäre eine reine Bauchatmung gar nicht möglich.
Die Brustatmung wird dann als problematisch angesehen, wenn sie sich als vorherrschendes Atemmuster verfestigt. Ausgelöst werden kann das z.B. durch dauerhaften Stress, eine einseitige Körperhaltung (Schreibtischtätigkeit), Haltungsschäden, körperliche Fehlbildungen oder durch chronischen Bewegungsmangel.
Das Zwerchfell kann man gar nicht genug wertschätzen, denn es «massiert» auch die inneren Organe. Das funktioniert so: Die unter ihm gelegenen Bauchorgane werden beim Senken des Zwerchfells zusammengepresst und weichen etwas nach aussen. Beim Heben des Zwerchfells kehren sie in ihre ursprüngliche Lage zurück. Diese Bewegung durchläuft bei gesunder Zwerchfelltätigkeit den ganzen Bauchraum, bis hinab ins kleine Becken. Sie setzt sämtliche Organe einer sanften rhythmischen Massage aus – bedeutsam für die Durchblutung in den Verdauungs-, Ausscheidungs- und Geschlechtsorganen.
Die Zwerchfellkontraktionen erweitern zudem den Durchmesser des Thoraxraumes (Brustkorb).
Der natürliche Regulationsmechanismus des Zwerchfells geht häufig unter Stressbelastung verloren. Steht der Körper unter permanenter Anspannung, überträgt sich das aufs Zwerchfell – zumal ja auch die Atmung unter Stress typischerweise flacher wird. Leider gibt es keine eindeutigen Bewegungsempfindungen im Zwerchfell und so zeigen sich Funktionseinschränkungen erst im Laufe der Zeit – meist, wenn schon eine problematische Dysbalance eingetreten ist. Als mögliche Symptome gelten Rückenbeschwerden, blockierte Brustwirbel/Rippen, Magenprobleme/Reflux, Verdauungsschwierigkeiten, emotionale Unausgeglichenheit.
Diese Symptome verstärken sich in der Regel auch noch unter Stress. Kein Wunder, denn das Zwerchfell ist faszial (die Bindegewebshüllen betreffend) mit weiteren stressanfälligen Muskelgruppen verbunden, etwa mit dem Beckenboden. Die Verbindung erfolgt in diesem Fall über die Faszie des grossen Lendenmuskels (Musculus psoas major), der auch häufig von stressbedingter Dauerverspannung betroffen ist. «Die Faszie des Lenden-Darmbein-Muskels (Musculus iliopsoas) bildet eine Verlängerung der Zwerchfellfaszie und ist im Becken mit dem Leistenband verbunden. Wenn das Zwerchfell nicht richtig arbeiten kann und dadurch die Durchtrittsstellen von Speiseröhre und Aorta verengt sind, beeinträchtigt das den
Lymphfluss und die Durchblutung des gesamten Körpers», erklärt Prof. Ingo Froböse («Das neue Psoas-Training»).
Zwischen Zwerchfell und psychischen Vorgängen besteht offenbar eine parallele Wechselwirkung (nicht selten von Haus- und Fachärzten unterschätzt). Die Beeinflussung kann in beide Richtungen stattfinden: Negative emotionale Zustände wirken sich auf die Atmung aus, umgekehrt kann ein gewisses Atemmuster unsere Stimmung beeinflussen. Besonders bei Ärger, Angst und nicht zuordenbaren, unheimlichen Gefühlen kann sich das Zwerchfell verspannen.
Eine These aus Psychotherapie geht davon aus, dass das Diaphragma als «Zwischendepot» für Emotionen dient und sich aufgrund unverarbeiteter Konflikte verkrampft – und diese Verspannungen dann nicht zuletzt auch auf den Stimm- und Atemapparat überträgt. Die Grenzen zwischen Atem-, Stimm- und Psychotherapie werden darum als fliessend betrachtet.
Betrachtet man das Zwerchfell als Schnittstelle zwischen Psyche und Körper, so wird deutlich, weshalb sich psychoemotionale Belastungen (z.B. traumatische Erlebnisse) an dieser Schaltstelle manifestieren können. Körpertherapeuten beobachten in solchen Fällen eine Starre des Zwerchfells in der tiefen Inspirationsphase (Phase des Atemzyklus, in der die Luft durch aktive Atemarbeit in die Atemwege und die Lunge gelangt).
«Wir haben noch so gut wie keinen Patienten mit Depression, Angst-/Panikstörung, Beschwerden des Magens oder Beschwerden des mittleren Rückens gesehen, der nicht eine deutliche Einschränkung im Bereich des Diaphragmas gehabt hätte. Bei diesen Patienten überwiegt die Rippenatmung, eine (leicht) vorgebeugte Haltung, Störungen der inneren Organe, eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit und eine zum depressiven Pol verschobene Stimmungslage. Eine Reaktivierung des Zwerchfells kann diese funktionellen Symptome deutlich lindern, oft nach ein bis zwei Behandlungen bis zu 50 Prozent», erklärt Alexander Lay, Facharzt Innere Medizin/Praxis für Integrative Medizin, Saarbrücken, der eine Synthese aus Manualmedizin und Bewegungsmedizin («Theranetic») mitentwickelt hat. (In der Schweiz bietet u.a. Brigitte Rüegsegger Theranetic-Behandlungen an: www.schmerzfrei-burgdorf.ch.)
Man kann auch selbst was fürs Zwerchfell tun: «Wichtig ist die Bauchatmung», so die Zürcher Therapeutin Brigit Bucher, die spezielle Zwerchfellmassagen anbietet. Ihr Tipp für daheim, um das Zwerchfell zu dehnen: «Aufrecht stehen, einen Arm über den Kopf und seitwärts neigen, jeweils jede Körperseite zwei bis drei Mal für jeweils 30 Sekunden.» Danach könne man (entsprechend der Zwerchfellmassage) versuchen, «mit den Fingern vorsichtig und sanft unter dem Rippenbogen entlangzugleiten».
Zuletzt aktualisiert: 04-10-2024