Für Allergiker bricht mit dem frühen Frühjahr die verdriesslichste Zeit des Jahres an, in der sie zitternd die aktuellen Pollenflugberichte verfolgen. Doch schon vor Jahrtausenden haben die Menschen eine andere Seite der Blütenpollen entdeckt: Ihre höchst positive Wirkung auf den Organismus.
Blütenstaub oder Pollen, was lateinisch Mehlstaub heisst, ist eine mehlartige Masse, die in den Staubbeuteln der Samenpflanzen gebildet wird und aus einzelnen Pollenkörnern, den Mikrosporen, besteht. Vor Regen geschützt werden sie durch kugelige oder glockige Hüllen, die wie Schirme die Wassertropfen an ihren Aussenwänden abgleiten lassen.
Autorin: Katja Chmelik
Pollenkörner sind von einer widerstandsfähigen Zellwand umgeben. Wenn sie freigesetzt werden, haben sie sich schon zu den männlichen Gametophyten entwickelt, die die Sexualorgane der Pflanzen ausbilden. Aufgabe der Pollenkörner ist, diese männlichen Sporen gut beschützt zu den weiblichen Empfangsorganen zu geleiten, was schliesslich Bestäubung und Befruchtung garantieren soll.
Pollen eignen sich, dank grosser Robustheit, Langlebigkeit plus ihrer für jede Pflanzenart und -gattung ganz eigenen, charakteristischen Formen ideal zur so genannten Pollenanalyse. Aus ihr kann man Rückschlüsse ziehen auf die jeweilige Geschichte einer Kulturpflanze sowie die klimatischen Bedingungen, unter denen sie gedeiht.
Pflanzen verfolgen ein bedeutendes Lebensziel: Möglichst viele Nachkommen zu zeugen und somit ihre Art zu erhalten. Jede erreicht dies durch den Bau arteigen gestalteter Organe oder durch klug gewählte Lebensgewohnheiten.
Eine unfassbare Fülle an feinen Blütenstäubchen wird jährlich von Gräsern, Blumen und Bäumen produziert. Oft übernimmt der Wind die weitläufige Verbreitung, in wehender Hoffnung, dass möglichst viele der Pollen die Gelegenheit erhaschen, eine Blüte zu befruchten, was wiederum den Anstoss gäbe zur Bildung einer Frucht, die Samen enthält.
Einer der ersten Frühlings-arbeiter ist der Haselstrauch. Er gehört zu denjenigen Pflanzen, bei denen männliche und weibliche Blüten auf denselben Büschen zu finden sind. Sitzen beide Geschlechter jedoch auf verschiedenen Büschen, braucht es aufwändigere Beförderung von einem Strauch auf die Blüten des anderen. Hier leisten Bienen, Hummeln und andere Insekten unbezahlbaren Arbeitseinsatz.
Mit dem Fortschreiten des Jahres fangen immer mehr Pflanzen an zu blühen. Die Nachfrage nach Bestäubung steigt entsprechend, und die Insekten erleben Werbung der schönsten, verlockendsten Art. Von Blüten mit den herrlichsten Farben und Düften, die geradezu einen Wettbewerb um ihre Gunst entfalten, werden sie angelockt.
Und weil Angebot und Nachfrage immer aufeinander abgestimmt sein sollten, haben viele Pflanzen ihre Blütenformen dem Körperbau des zu erwartenden Insektes angepasst. Für jeden Körperbau und jede Rüssellänge gibt es einen passend geformten Kelch mit dem lukullisch süssen Zuckersaft. Die Blütenstäubchen kleben sich dabei den Insekten, während sie naschen, an Beine, Rücken, Kopf und Brust. Die Pollen gelangen als blinde Passagiere per Flugtransport zu weiteren Blüten, wo sie dann bequem landen bzw. wieder abgestreift werden. Schon ist die Bestäubung erledigt, ganz nebenbei und vorteilhaft für alle Beteiligten.
Einzelne Pflanzen sind grosszügig und lassen beispielsweise kleine Käfer sich an den Pollen selbst laben – dafür gibt es dann keinen Nektar. Natürlich sind diese Pollenblumen immer besonders reich bestückt und besitzen meist grosse, staubblattreiche Blüten. Mohn und Rose gehören dazu.
Einmal in Kontakt gekommen mit einer wässrigen Phase, setzen die Pollenkörner eine Anzahl Eiweis-se, Fette und Zucker frei. Auf einige Proteine und Lipide kann eine Überreaktion des Immunsystems erfolgen, die bereits beim nächsten Kontakt als Allergie wahrgenommen wird. In den Städten sollen die Pollenkonzentrationen am Abend jeweils höher sein als am Morgen. Auf dem Land verhält es sich umgekehrt.
Auf der anderen Seite sehen die Menschen seit Jahrtausenden in dem Blütenstaub ein Heilmittel, ja, ein Verjüngungsmittel. Bereits ein sumerischer Arzt pries die Blütenpollen als wunderbare Medizin an. Der griechische Arzt Hippokrates wurde im vierten Jahrhundert konkreter und trat dafür ein, speziell den Seeleuten unter seinen Ratsuchenden durch Blütenpollen Kraft, nicht zuletzt Manneskraft, zukommen zu lassen. Seinen Beobachtungen zufolge gingen die Matrosen fröhlicher an Bord, wenn sie in den Wochen davor schon regelmässig Pollen verzehrt hatten. Ausserdem war Hippokrates bereits aufgefallen, dass nur jene Blütenpollen eine durchschlagende gesundheitliche Wirkung erzielen, die von Bienen eingeholt werden. Denn erst mit ihren Drüsensekreten werden sie zur echten Medizin.
Aus vielen Seefahrerberichten lässt sich die Wirkung der Pollen erkennen, die gerade auf hoher See so wichtig war. Die Wikinger nahmen als erfahrenes Seefahrervolk pollenhaltige Honigwaben in grossen Mengen mit auf ihre ausgedehnten Entdeckungsfahrten. Teile ihrer Schiffe waren damit regelrecht vollgestopft. In aneinandergeketteten Tongefässen transportierten sie zerkleinerte Bienenwaben mit und verzehrten sie als erprobte Vorbeugungsmedizin gegen Mangelerkrankungen. Überlieferungen belegen: Skorbut, die gefürchtete Vitamin C-Mangelkrankheit, war für diese mutigen Entdecker kein Schreckgespenst wie für so viele andere Seefahrer.
Die Wikinger wussten auch längst, dass die Honigwaben mit Pollen und Propolis nicht zu heiss werden dürfen. Wenn Blütenpollen über 40 °Celsius erhitzt werden, sind sie wirkungslos.
Im 15. und 16. Jahrhundert, im Zuge der Rückbesinnung auf antikes Wissensgut, nahmen sich einige Autoren des Themas «Pollenessen» eigens für die krankheitsgefährdeten Seeleute an. Erfahrungen hatten ausreichend gezeigt, dass erkrankte Matrosen, die Blütenpollen erhielten, sich rascher erholten, ebenso die, die nach einem rauen Bordtag fix und fertig waren.
Zudem hatte sich herausgestellt, dass Gelenkbeschwerden und -entzündungen durch die Pollen weit besser abheilten. Die Sehkraft konnte gesteigert und erhalten werden, und lästige Darmstörungen verschwanden. Ausserdem, mutmasslich auch aufgrund des verbesserten Wohlbefindens, zeigten sich die Matrosen weniger streitbar.
Der Smutje mischte die Pollen in seinen gekochten Vollkorn- oder Hirsebrei. Die Seeleute konnten die Pollen auch pur schlucken oder auf der Zunge zergehen lassen – Letzteres bewirkt, dass die Vitalstoffe schon von den Mundschleimhäuten aufgenommen und direkt ins Blut transportiert werden. Äusserst beliebte Einnahmemethode war, die Pollen mit Bier zu verrühren.
Als reines Rohprodukt sollten Pollen gut gekaut werden. Die Pollen-Klümpchen werden von den Bienen mit wachshaltigem Nektar überzogen, der Magenempfindlichen zusetzen kann. Heute bieten Apotheken, Drogerien und Reformhäuser Blütenpollen hauptsächlich in Kapselform abgepackt an, selbstverständlich fein gemahlen. Als Zugabe enthalten sie das Bienenprodukt Propolis, um die erfreuliche Wirkung auf den Körper noch zu steigern.
Die Gewinnung der hochgelobten Medizin geht heute noch genauso vonstatten wie früher: Die Bienen tragen die Pollen von diversen Blüten in ihren Stock und ernähren sich und ihre Brut in erster Linie davon. Dank der energiereichen Pollen gedeiht ihr Nachwuchs derart gut, dass eine Larve innerhalb von sechs Tagen ihr Gewicht um das Fünfzehnfache steigert! Der verantwortliche Imker entnimmt dem Stock nie mehr als 15 Prozent der Pollenvorräte, um das Bienenvolk nicht auszuhungern.
Nicht verwunderlich, dass man die Blütenpollen auch als Lebensbaumpollen oder Melbrosiapollen bezeichnet, enthalten sie doch an die hundert biologische aktive Stoffe! Die folgende Auflistung der wertvollen, wissenschaftlich enträtselten Inhaltstoffe ist daher bescheiden und unvollständig:
Körpereigenes Eiweiss erzeugende Aminosäuren sind reichlich zu finden, zudem drei Arten von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Mineralstoffe, Spurenelemente, vor allem Eisen, Kupfer, Phosphor, Mangan und Kieselerde glänzen in den Pollen zusätzlich.
Vitamine sind nicht zu knapp vertreten: C gegen Infektionskrankheiten, B1 als Nervenvitamin, B2, B3 (Niacin) und B4 für die Haut und die Schleimhäute, Folsäure für eine ungestörte Nährstoffaufnahme aus dem Darm, Vitamin E für eine bessere Funktion von Muskeln, Herz und Atmung sowie einen geregelten Cholesterinspiegel, Carotin, als Vitamin-A-Vorstufe, Vitamin D zur Knochenbildung und den Kalkstoffwechsel und Rutin zur Blutgefässaktivierung und -verjüngung. Blütenpollen verfügen ferner über Hormone und Flavonoide, die für die Neubildung von Zellfermenten zuständig sind. Nicht vergessen seien jene Wirkstoffe, die als natürliche Antibiotika fungieren, also den Körper vor allen Arten bakterieller Angriffe abschirmen.
Moderne klinische Tests zeigten und bestätigten die positiven Resultate der Polleneinnahme – Kuren bei Blutarmut, bei Konzentrationsstörungen, Prostata-Beschwerden, Nervosität, Erschöpfungszuständen. Sie helfen, nach einer Geburt die Energie wieder-zuerlangen oder in den Wechseljahren die Balance. So kommen die gesundheitsfördernden Stäubchen auch gerne als Nahrungsergänzung zum Einsatz. Multifunktionaler Nutzen dieses einzigartigen Geschenks der Natur ist also gewährleistet!