Inside A.Vogel

Wildsammlung versus Vertragsanbau

Warum bei A.Vogel wenig wild gesammelt und stattdessen auf Eigenanbau, Vertragsbauern und Anbauprojekte gesetzt wird.


Andrea Pauli, M.A.


11. März 2021

Für 80 Prozent der Menschheit sind natürliche medizinische Ressourcen, sprich: Heilkräuter aus der Natur, die Basis ihrer Gesundheitsversorgung. Weltweit werden – je nach Definition und Zählung – zwischen 36 000 und 50 000 Pflanzenarten medizinisch genutzt. Ganze 70 Prozent dieser Pflanzen stammen aus Wildsammlung. Da ist die Rechnung relativ einfach: Diese Schätze der Natur werden unwiederbringlich zurückgehen. Naturschutzorganisationen schlagen schon lange Alarm: 15 000 der weltweit bekannten Heilpflanzenarten gelten als gefährdet. Selbst bekannte Spezies stehen mancherorts kurz vor dem Aussterben, etwa die Schlüsselblume (enthält Substanzen gegen Atemwegserkrankungen) oder das Frühlings-Adonisröschen (liefert einen Wirkstoff für Herzmittel).

Kann man da weiterhin guten Gewissens wildwachsende Heilpflanzen zu Extrakten, Säften, Tabletten und Gels verarbeiten?

A.Vogel arbeitet, wo immer möglich, mit samenfesten Sorten. So werden Pflanzen bezeichnet, von denen man keimfestes Saatgut ernten kann. Sät man dieses in folgenden Saison aus, erhält man Pflanzen, die die gleichen Eigenschaften ihrer Eltern aufweisen. Samenfeste Sorten können also Jahr für Jahr selbst weiter vermehrt werden. Auf diese Weise erhält man – aller Voraussicht nach – Pflanzen, die sich an das Klima ihres Standorts angepasst haben und gesunde, stabile Erträge liefern.

Die gesammelten Echinacea purpurea-Samen werden nachgetrocknet, gereinigt, in Säcke gefüllt, beschriftet und sicher gelagert – nicht gerade im „Svalbard Global Seed Vault", dem weltweiten Saatgut-Tresor in der Arktis auf Spitzbergen, aber doch ähnlich gut „gebunkert". Denn schliesslich ist das selbst gewonnene Saatgut das erste zentrale Glied in der umfassenden Wertschöpfungskette eines auf die Produktion von Heilmitteln spezialisierten Unternehmens.

Statt von der Wiese vom eigenen Feld

In jungen Jahren sammelte Alfred Vogel noch wildwachsende Pflanzen auf Wiesen und Hügeln; das war dazumal eine selbstverständliche Angelegenheit. Doch mit der weltweit forcierten Nutzung und Nachfrage nach Heilkräutern wurde auch ihm rasch klar, dass es gilt, die Natur vor allzu massiven Entnahmen zu schützen. Und so ist das Unternehmen A.Vogel seit Gründung 1963 bestrebt, sehr bewusst mit den natürlichen Ressourcen umzugehen. Die Arzneipflanzen für die Herstellung der A.Vogel Naturheilmittel stammen darum ausschliesslich aus folgenden Quellen:

  • Eigenanbau
  • bewilligten Wildsammlungen
  • nachhaltigen Projekten im Heimatland der Pflanze unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Land und einheimischer Bevölkerung

Der Anteil von Eigenanbau bei A.Vogel beträgt rund 25 Prozent, der Vertragsanbau 45 bis 50 Prozent und die Wildsammlung 25 bis 30 Prozent, je nach jährlichem Bedarf. Insgesamt werden pro Jahr rund 200 Tonnen Frischpflanzen verarbeitet.

Nachhaltigkeit fördern

Aus kontrolliert biologischem Eigenanbau kommen beispielsweise Echinacea und Johanniskraut und aus bewilligter Wildsammlung z.B. die Rosskastanien. Ist der Anbau einer Pflanze in der Schweiz aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht möglich, engagiert sich A.Vogel für nachhaltige Projekte im Heimatland der Pflanze. So besteht beispielsweise für die Teufelskralle ein Anbauprojekt in der Kalahari.

Von den rund 70 verschiedenen Pflanzen, die für die Herstellung von A.Vogel-Heilmitteln benötigt werden, stammen mehr als zwei Drittel aus gezieltem Anbau. Nur rund 20 Pflanzenarten, z.B. Efeu (Hedera helix) oder Saft und Blätter von Birken (Betula pendula) stammen aus Wildbeständen – und diese machen mengenmässig auch nur den kleinsten Teil aus. 

Dabei steht die nachhaltige Nutzung, also die Schonung und Erhaltung der Pflanzen, im Vordergrund. Keinerlei Gefährdung für die natürliche einheimische Flora ergibt sich aus dem mit 75 Tonnen mengenmässig weitaus grössten Bedarf an wildgesammelten Pflanzen, den Rosskastaniensamen (Aesculus hippocastanum), und den Fichtensprossen (Picea abies) aus denen Venen-Heilmittel beziehungsweise Hustensirup hergestellt werden. Und diese beiden Pflanzen sind nicht „echt wild", weil sie ja in den meisten Fällen auch angebaut wurden.

Auf zertifizierte Vertragsbauern setzen

Ein Grundpfeiler der Nachhaltigkeit ist, neben der Fruchtfolge, der biologische Anbau, betont Andreas Ryser, Anbauleiter bei A.Vogel bis 2019. «Am wichtigsten für mich ist die langfristige Zusammenarbeit mit seriösen Lieferanten», sagt er. Ryser schätzt angebaute Pflanzen, «die sind kontrollierbarer, da sind unsere Qualitätskriterien besser anwendbar.» Die meisten Pflanzen, die bei A.Vogel kultiviert werden, sind ohnehin nahe an der Wildform. «Am besten wäre es in punkto Nachhaltigkeit, ganz von der Wildpflanzensammlung wegzukommen», so Ryser.

Schon zu Beginn seiner Tätigkeit bei A.Vogel hatte er eine Idee in diese Richtung. Da es damals aufgrund unklarer Bestimmungen behördliche Probleme mit der Wildsammlung von Fichtensprossen gab, setzte Ryser sich dafür ein, dass Fichtenhecken auf dem Firmengelände angebaut werden. «Das hat sich gut bewährt.» Und könnte künftig ausgebaut werden, denn in Deutschland, woher bislang die meisten Fichtensprossen für die A.Vogel Produkte kommen, werden immer weniger Fichten angebaut; zudem sind immer weniger Sammler dort unterwegs.

Bewährt hat sich auch der Anbau der Heilpflanze Arnica montana (Bergarnika), deren Sammeln im Alpenraum untersagt ist. Nach zahlreichen Versuchen gelang es A.Vogel in Kooperation mit Spezialisten, Arnica montana in Deutschland erfolgreich biologisch anzubauen. So ist man weniger auf die bewilligten Wildsammlungen in Rumänien angewiesen.

Die Vertragsbauern, die mit A.Vogel zusammenarbeiten, «müssen Bio produzieren», so Vanathy Erambamoorty, seit August 2020 Leiterin Anbau. «Sie sollten zumindest Erfahrung im Anbau von Feldgemüse haben. Denn da ist der Arbeitsprozess ähnlich wie beim Anbau von Heilpflanzen, etwa im Hinblick aufs Jäten von Beikraut, in der Pflege der Kultur und der Tatsache, dass jeweils nur eine bestimmte Pflanze aufs Feld kommt. Vertragsbauern sucht sich A.Vogel aus Gründen der Frischpflanzenverarbeitung bevorzugt in der Nähe des Produktionsstandortes Roggwil TG. Bei weiter entfernten Vertragsbauern bzw. Wildsammlern sorgt ein ausgeklügeltes Transportsystem mit entsprechender Kühlung gleichwohl dafür, dass die Ware frisch zur Verarbeitung angeliefert werden kann. Zur Kontrolle wird ein Ernteprotokoll mit dem Sammlungsgut mitgeschickt, das verzeichnet, wo gesammelt bzw. wie angebaut wurde und wie lange die Ernte dauerte.

Leiterin Anbau bei der A.Vogel AG

Vanathy Erambamoorty Leiterin Anbau bei der A.Vogel AG

Vanathy Erambamoorty hat an der ETH ein Masterstudium in Agrarwissenschaften absolviert; 2018 machte sie ihren Abschluss. Ihre Masterarbeit schrieb sie über eine Medizinalpflanze. Sie war als Praktikantin in der Forschung tätig, später dann als Bereichsleiterin in der Produktion von Tunnel- und Spezialkulturen. Seit August 2020 ist Vanathy Erambamoorty Leiterin Anbau bei der A.Vogel AG.

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