Natives Kokosöl ist ein hochgelobtes Naturprodukt – und wird als Alleskönner gepriesen. Schauen wir es uns einmal genauer an.
?Claudia Rawer, 4.14
«Was halten Sie denn von Kokosöl?», haben uns in letzter Zeit immer wieder Leserinnen und Leser gefragt. Ein Blick ins Internet zeigt: Bei der Sucheingabe «Kokosöl» erscheinen gleich auf der ersten Seite zwei Dutzend Anbieter des Produktes, und dazu eine Reihe von Schlagworten wie «gesundheitsfördernd», «das Beste vom Besten», «Superfood», «Favorit der Stars und Sternchen». Ein Pflanzenöl, das zum allergrössten Teil aus gesättigten Fettsäuren besteht, die doch bei Fachleuten als ungesund gelten? Ein Fett, das am häufigsten in der Süsswarenindustrie, bei der Produktion von Kunstharzen, Insektengiften, Arzneimitteln, Seifen und Kerzen oder als Beimischung zu Dieselkraftstoff verwendet wird?
Grosses Aufsehen erregte im August 2018 zudem Prof. Karin Michels von der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg in einer Vortragsreihe über die schädlichen Folgen von Kokosöl und andere Ernährungsirrtümer. In einem YouTube-Video hierzu heisst es: «Kokosöl ist schlimmer als Schweineschmalz!»
Denn für Kokosöl wird gerne mit der Aussage geworben, es sei cholesterinfrei. Das ist richtig – aber nichts Besonderes! Jedes Pflanzenöl ist von Natur aus frei von Cholesterin. Mit essenziellen, also unverzichtbaren Fettsäuren wie Omega-3- und Omega-6-Fetten wird der Organismus durch Kokosöl – im Gegensatz zu anderen Pflanzenölen – jedoch nicht versorgt.
Ein tieferer Einblick in die Webseiten der Anbieter zeigt: Kokosöl soll erheblich mehr können als nur eine Rolle in Margarine, Speiseeis und Biodiesel zu spielen. Glaubt man dem, was da steht, soll es zu einer «Normalisierung der Körperfettwerte» führen, der schlanken Linie dienen und die Leber vor Alkoholschäden schützen. Ja, noch viel mehr: Es soll so gefährliche Erreger wie Grippe-, Hepatitis-, Herpes-, SARS- und HI-Viren töten, dazu allerlei Pilze und Bakterien; es soll das Immunsystem stärken, bei Alzheimer, Bauchspeicheldrüsenentzündung, Fusspilz und Tripper helfen, sogar Diabetes, Herzkrankheiten und Krebs vorbeugen. Ein wahres Wundermittel also. Grund genug, sich das weisslich-gelbe Pflanzenfett einmal näher anzusehen.
Kokosöl wird aus Kopra gewonnen, dem getrockneten Fruchtfleisch von Kokosnüssen. Erst bei etwa 25° C wird es flüssig, weswegen wir es in unseren Breiten meist als festes Kokosfett kennen. Kokosöl hat einen für ein Pflanzenöl ungewöhnlich hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, nämlich 90 bis 95 Prozent. Davon stellt Laurinsäure gut die Hälfte, Myristinsäure 20 Prozent. Laurinsäure zählt zu den mittelkettigen Fettsäuren (MCTs). Die «Kette» bilden Kohlenstoff-Atome; kurzkettige Fettsäuren haben weniger als acht davon, mittelkettige acht bis zwölf, und langkettige Fettsäuren besitzen mehr als zwölf Kohlenstoff-Kettenglieder. MCTs sind gesättigte Fettsäuren, die in der Natur selten vorkommen: nur in Kokos-, Palm- und Milchfett. Grösster Produzent von Kokosöl sind mit einer Jahresmenge von etwa 15 Millionen Tonnen die Philippinen, gefolgt von Malaysia und Indonesien.
Kokosfett wurde oft zum Braten und Backen verwendet; so machte es im 20. Jahrhundert Karriere, zunächst als gehärtetes, später auch als teilgehärtetes und günstiges Bratfett. Auch in der heutigen Werbung für Kokosöl heisst es, es sei sehr hoch erhitzbar und daher zum Braten und Backen ideal. Als Mass für die Erhitzbarkeit von Fetten wird der sogenannte Rauchpunkt angegeben. Dieser liegt bei gehärtetem Kokosfett bei 190 bis 205° C; kaltgepresstes Kokosöl ist nur bis etwa 150° C hitzestabil. Zum Vergleich: Der Rauchpunkt von Butterschmalz (geklärter Butter) liegt bei 200 bis 205° C, der von Olivenöl bei etwa 180 (klares natives Olivenöl extra) bis 230 Grad (heissgepresstes Öl).
Natives Kokosöl ist also weniger stark erhitzbar als kaltgepresstes Oliven- oder Rapsöl; Braten und Frittieren sollte man damit nicht. Nur gehärtetes Kokosfett ist wirklich hoch erhitzbar. Von dessen Verwendung sollte man jedoch absehen: Es enthält durch die industrielle Härtung gesundheitsschädliche Transfette, die als Mitverursacher von Herzkrankheiten, Infarkten und Arteriosklerose gelten. Übrigens: Kein Fett sollte man so hoch erhitzen, dass es raucht. Dann besteht nämlich unabhängig von der Sorte die Gefahr, dass sich krebserregende Stoffe bilden.
«Kokosöl hilft beim Abnehmen», heisst es oft. Nicht nur im Kokosöl, auch als Bestandteil von Diät-Margarine, -Öl oder Brotaufstrich sollen die mittelkettigen Fettsäuren helfen, die Kalorienzufuhr und den Appetit zu senken.
In der Tat enthalten MCTs mit etwa acht Kilokalorien pro Gramm etwas weniger Energie als langkettige, die mit neun Kilokalorien zu Buche schlagen. Ausserdem werden bei der Verstoffwechselung neun Prozent der Energie als Wärme frei, bei langkettigen Fetten nur drei. MCTs werden leichter verdaut, sind wasserlöslich und werden direkt ins Blut aufgenommen und dort verwertet, so dass sie sich in der Regel nicht als ungeliebte Fettpolster an Bauch und Hüfte niederlassen.
Fürs Abnehmen allerdings hat das kaum eine Bedeutung. Denn, so rechnet es der Verein für Unabhängige Gesundheitsberatung UGB beispielhaft vor: «Ersetzt man am Tag 50 Gramm langkettige Fette gegen MCTs, bringt das eine Einsparung von 50 Kilokalorien.» Unter grosszügiger Einberechnung der freigesetzten Wärme ergibt sich eine Spar-Bilanz von etwa 80 Kilokalorien täglich. Das entspricht in etwa einem Apfel, einer mittelgrossen Kartoffel, einer sehr dünnen Scheibe Roggenbrot oder einem Portiönchen von knapp 40 Gramm frischem Lachs. Eine Gewichtsabnahme wurde denn auch nur in Studien festgestellt, in denen die Teilnehmer ausser MCTs eine kalorienreduzierte Kost zu sich nahmen. Zudem waren die Effekte vorübergehend.
In der Diätetik, der Lehre von der Ernährung zur Therapie oder Heilung einer Krankheit, werden MCTs aufgrund der leichten Verdaulichkeit schon seit langem zur Behandlung von Fettverwertungsstörungen, Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse, Galle und Leber sowie bei Morbus Crohn eingesetzt.
Der Nachteil: Da mittelkettige Fettsäuren in natürlichen Lebensmitteln kaum vorkommen, ist unser Verdauungstrakt nicht an die Verwertung grösserer Mengen gewöhnt. Es kommt schnell zu Unverträglichkeitsreaktionen: Übelkeit, Sodbrennen, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall. Steigert man die Zufuhr langsam über mehrere Tage, kann sich der Körper zwar an übliche Fettmengen in Form von MCTs gewöhnen. Die Behandlung von Fettverwertungsstörungen muss aber stets von Fachleuten begleitet werden.
Wichtig ist: Ausser beim diätetischen Einsatz gibt es keinerlei Belege für die Wirksamkeit von Kokosöl oder MCTs bei schweren Erkrankungen. Einige Beispiele dazu folgen.
Um es vorwegzunehmen: Nein. Die Berichte über angebliche Erfolge stammen fast alle nur aus einer Quelle: den Artikeln, Reden und Videos der amerikanischen Kinderärztin Mary Newport. Newports Mann Steve leidet seit zwölf Jahren an einer frühen Form der Alzheimer-Krankheit. Mary Newport gab ihm Kokosöl – und glaubte, eine deutliche Besserung festzustellen. Sie schrieb ein höchst erfolgreiches Buch, das immer noch eifrig beworben wird. Schon nach zwei Jahren jedoch begann sich Steve Newports Zustand zu verschlechtern; heute ist er ein schwerkranker Mann.
Klinische Studien zur Gabe von Kokosöl bei Alzheimer gibt es nicht, auch keine wissenschaftlichen Artikel dazu, selbst wenn einige (Werbe-)Webseiten so auftreten. Zitierte Studien befassen sich mit Tierversuchen. Die amerikanische Alzheimervereinigung sagt dazu: «Einige wenige Menschen behaupten, dass Kokosöl einem Alzheimerkranken geholfen habe, aber es gibt ... keine Belege dafür, dass es helfen könnte.»
Von den Kokosölvertreibern wird oft gemutmasst, eine mächtige Pharmalobby wolle diesen «billigen, gesunden und natürlichen Stoff» totschweigen. Viel wahrscheinlicher wäre jedoch, dass genau diese mächtigen und finanzstarken Pharmafirmen ein solch wirksames Mittel an sich reissen und vermarkten würden. Oder, wie die amerikanische Alzheimervereinigung schreibt: «Wenn es wirken würde, würden wir alle in den Strassen tanzen!»
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
Alleskönner Kokosöl soll auch die Risikofaktoren für Herzerkrankungen senken. So heisst es, die gesättigten Fettsäuren im Kokosöl liessen nur das HDL, das «gute Cholesterin» ansteigen, das das Herz schützt. Beweise dafür oder Untersuchungen dazu existieren nicht. Im Gegenteil: Gesättigte Fettsäuren können das Risiko für Fettstoffwechselstörungen erhöhen; auch ein Zusammenhang zwischen der erhöhten Aufnahme gesättigter Fettsäuren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Brustkrebs wird vermutet. Auch Befürworter bestätigen, dass Kokosöl zu mehr als 90 Prozent aus gesättigten Fettsäuren besteht. Es enthält also mehr davon als Butter (64 Prozent) oder Speck (40 Prozent).
Die moderne Ernährungsforschung, Naturheilkunde und Medizin sind sich einig, dass der Verzehr von langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit ihrem gut belegten risikosenkenden Potenzial hinsichtlich Herz-Kreislauf-Krankheiten vorzuziehen ist. Damit ist auch die Versorgung mit den wichtigen Omega-3 Fettsäuren gewährleistet, die der Körper nicht selbst herstellen kann.
Gesättigte Fettsäuren dagegen sollten nicht mehr als zehn Prozent der Energieaufnahme liefern.
In beiden Fällen lautet die Formel hinter den recht kompliziert klingenden Erklärungen: Kohlenhydrate durch Fett ersetzen. Bei Diabetes soll das wirken, weil der Blutzuckerspiegel und die Ausschüttung von Insulin vor allem bei der Aufnahme kohlenhydratreicher Nahrung steigen, weniger bei der Fettverbrennung.
Es ist das Prinzip der «Low-Carb-Diäten» (engl. carbohydrate=Kohlenhydrat), bei der die Zufuhr von Kohlenhydraten (d.h. z.B. Brot, Pasta, Reis, Mehl einschliesslich Vollkornprodukte, aber auch Bananen und Kartoffeln) massiv eingeschränkt und durch die vermehrte Aufnahme von Protein (Fleisch, Wurst) und Fett ersetzt wird. Ob man das möchte, kann nur jeder selbst entscheiden – den Empfehlungen der Ernährungswissenschaftler, auch für Diabetiker, entspricht es nicht.
Gegen Krebs soll Kokosöl auf ähnliche Weise wirken, nämlich auf dem Weg der ketogenen Diät. Dies ist ebenfalls eine fettreiche und kohlenhydratarme Ernährungsform mit dem Ziel, die entarteten Zellen durch die Verringerung von Glukose «auszuhungern». In Zellkulturen und Tierversuchen hat das schon funktioniert. Es gibt auch Mediziner, die von einer deutlich verlängerten Überlebenszeit bei Krebskranken unter ketogener Diät berichten. Klinische Studien mit einer repräsentativen Anzahl von Patienten fehlen aber bislang; auch die Frage nach möglichen Nebenwirkungen einer so eingeschränkten Ernährungsform bleibt unbeantwortet. Die ketogene Diät ist daher stark umstritten; eine Ernährung mit erhöhtem Fett- und Fleischanteil gilt anderen Krebsforschern als eher krebsfördernd, z.B. beim zunehmend häufigeren Darmkrebs.
Möglicherweise ja. Mary G. Enig, eine amerikanische Biochemikerin und Ernährungswissenschaftlerin, wird von Kokosöl-Enthusiasten gerne zitiert. Sie sagt, der menschliche Körper wandle die Laurinsäure darin in Monolaurin um, das die Erreger bekämpfe. Richtig ist, dass Kinder, die gestillt werden, aus der Muttermilch Monolaurin aufnehmen, das gewisse Infektionskrankheiten verhindert.
Ob es diesen Effekt auch bei Erwachsenen hat, ist nicht bekannt. Auch die Wirkung gegen gefährliche Viren wie SARS und HIV ist bisher nicht belegt.
Antibakteriell und antiviral wirkende Pflanzen sind übrigens keine Seltenheit. Arnika, Kapuzinerkresse, Ringelblume, Roter Sonnenhut, Salbei und Thymian gehören dazu, um nur einige zu nennen. Sie alle sind sehr viel besser erforscht als die Kokosnuss – und bewähren sich seit Jahrhunderten in der Anwendung.
Fans der Naturheilkunde und der Phytotherapie wissen: Diese Pflanzen besitzen heilende Eigenschaften bei bestimmten Erkrankungen; keine einzige jedoch ist universell gegen so viele Krankheiten einsetzbar, wie es vom Kokosöl gerne behauptet wird.
Das muss gesagt werden: Allen Ausführungen zum Trotz, und bei aller scheinbaren Wissenschaftlichkeit, die andere Webseiten gerne annehmen – es ist verboten, mit Sätzen wie «Kokosöl verbessert die Symptome bei benigner Prostata-hyperplasie», «schützt vor Osteoporose» oder gar «Kokosöl schützt den Körper vor Brust-, Darm- und anderen Krebsarten» (alle von der Webseite des Kokosöl-Papstes Bruce Fife) zu werben.
Pharmahersteller – auch die Hersteller von naturheilkundlichen und pflanzlichen Arzneimitteln – müssen sich an Vorschriften halten. Die Heilwirkungen müssen belegt und anerkannt sein. Heilversprechen ohne wissenschaftliche Grundlage sind nicht erlaubt.
Wer es mag, kann sicherlich Kokosöl verwenden – am besten im Rahmen der Ernährungsempfehlungen. Allzuviel versprechen sollte man sich aber nicht davon. So schade es ist, dass es kein einfaches und günstiges Naturheilmittel gegen Alzheimer, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt – Kokosöl ist es nicht. Nichts spricht im Übrigen gegen eine äusserliche oder kosmetische Anwendung.