Man sieht sie an jedem Kiosk: Knallig gestaltete Getränkedosen, die eine Zusatzportion Energie versprechen. Die Werbung verbindet mit dem Konsum der alkoholfreien, süssen Drinks positive Gefühle wie Erfolg, Stärke, Mut und Höhenflüge. Die Versprechen lauten: mehr Konzentration und Kraft, mehr Ausdauer und Abenteuer, mehr Energie und Erlebnisse. Doch was steckt tatsächlich drin in den Büchsen?
Autor: Ingrid Zehnder
Einer der international erfolgreichsten Konzerne, das österreichische Unternehmen Red Bull, beschreibt sein Produkt folgendermassen: «Das Getränk wurde entwickelt für Zeiten mit erhöhter Anstrengung und wird weltweit geschätzt von Spitzensportlern, Studenten, in stark fordernden Berufen sowie bei langen Autofahrten. Red Bull verleiht Menschen und Ideen Flügel und setzt bemerkenswerte Meilensteine in Sport und Kultur.»
Ähnlich, doch im Ton aggressiver, preist das zweitgrösste Unternehmen auf dem weltweiten Markt, der US-amerikanische Konzern Monster Beverage, seine Produkte an: «Krall dir eine Dose Monster Energy! Das gewaltigste Energy-Präparat auf diesem Planeten. Der Claim ‹Unleash The Beast› (Lass das Biest/die Bestie frei) steht für den Lifestyle der Fans der Marke: das Leben voll auskosten. Ob im Action- und Motorsport oder bei Rock- und Heavy-Metal-Musik – Monster Energy pusht dich mit der vollen Monster-Ladung.»
Die Konkurrenz auf dem Markt ist riesig. Neben Red Bull und internationalen Unternehmen wie Coca-Cola und PepsiCo sowie vielen nationalen Herstellern (z.B. in Deutschland, Polen, Belgien) buhlen auch Discounter und Einzelhandelsketten wie u.a. Aldi, Lidl, Migros, Coop, Spar, Rewe und Hofer mit Eigenmarken um die Kundschaft und profitieren vom kraftstrotzenden Image der «Grossen». Nicht zuletzt gibt es für fast jedes europäische Land und Städte wie Zürich, Bern, Luzern und Solothurn eigens gestaltete Aluminiumdosen (Inhalt vielfach hergestellt in Österreich).
Die alkoholfreien Getränke sollen leistungssteigernde und belebende Wirkung haben. Laut Gesetz sind Energydrinks «koffeinhaltige Erfrischungsgetränke», die verschiedene Zutaten und Aromen verwenden dürfen. Tatsächlich unterscheiden sich die (weitgehend künstlichen) Inhaltsstoffe der einzelnen Marken kaum. In unterschiedlichen Kombinationen werden hauptsächlich verwendet: Wasser, Zucker, Kohlensäure, Zitronensäure, Säureregulatoren, Taurin, Koffein, Glucuronolacton, Inosit, Aromen und Farbstoffe.
Aufgepeppt werden die Drinks zusätzlich mit Vitaminen, insbesondere mit Vitamin B1, B2, B6 oder B12, welche den Energiestoffwechsel positiv beeinflussen sowie Nervenverbindungen aufbauen und schützen sollen. Allerdings gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass – bei hohem Konsum – die Zugabe von synthetischen B-Vitaminen zu Leberschäden führen könnte. Einige Höchstmengen sind vorgeschrieben: für Koffein 320 mg/pro l, für Taurin 4000 mg/l, für Glucuronolacton 2400 mg/l, Inosit 200 mg/l.
Taurin kommt von Taurus (Stier) und wurde 1827 erstmals aus Ochsengalle isoliert. Die Mär besagt allerdings, dass der Stoff aus den Stierhoden gewonnen wird. Red Bull stellt auf seiner Internetseite klar: «Viele Menschen sind sich sicher, dass es von dem empfindlichsten Teil des stärksten und potentesten Bullen der Welt stammt. Das Taurin in Red Bull Energy Drink ist jedoch eine rein synthetische Substanz.» So ist es auch bei allen anderen Herstellern. Dem Stoff werden Qualitäten wie Steigerung der Muskelleistung und angeblich «entgiftende» Wirkung zugeschrieben. Dafür gibt es jedoch bisher keine wissenschaftlichen Beweise. Es handelt sich um eine Aminosulfonsäure, die nicht zugeführt werden muss, da der Körper sie in ausreichender Menge selbst produziert. Die Wechselwirkungen zwischen Taurin und Koffein, besonders im Hinblick auf das Herz, sind noch nicht gründlich erforscht; es besteht der Verdacht, dass das synthetische Taurin die Koffeinwirkung verstärkt.
Glucuronolacton soll angeblich gegen Müdigkeit wirken, zudem wird dem Kohlenhydrat eine entgiftende Wirkung nachgesagt. In der Tat ist die aktivierte Glucuronsäure an der entgiftenden Funktion der Leber beteiligt. Doch auch dieser Stoff muss nicht künstlich zugeführt werden; die Aufgabe übernimmt die Leber selbst in angemessenem Mass.
Eine Leistungssteigerung durch den Stoff kann nicht nachgewiesen werden. Überdosierungen des an sich unbedenklichen Stoffs können schädlich sein. Inosit (auch Inositol) ist ein Süssungsmittel und gilt als Geschmacksverstärker. Der Stoff wird im Körper aus Glukose in ausreichender Menge produziert, wirkt als Baustein von Biomembranen und leitet Signale zwischen den Zellen weiter. Auch hier gilt: Eine positive Wirkung auf die geistige Leistungsfähigkeit ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.
Den Effekt von Energydrinks bewirken zwei altbewährte Zutaten: Zucker liefert schnell verfügbare Energie, Koffein sorgt für die Aufputschwirkung. Der Gehalt an Zucker ist irrsinnig hoch; eine Viertelliter-Dose Red Bull oder Monster enthält 27,5 Gramm Zucker, also etwa neun Stück Würfelzucker.
Die WHO, das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in der Schweiz und die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehlen Erwachsenen unisono, nicht mehr als 50 Gramm Zucker am Tag zu sich zu nehmen. Ein zu hoher Zuckerkonsum birgt das Risiko für Übergewicht, Herzprobleme und Diabetes.
Eine 250-ml-Dose enthält 80 mg Koffein. Die belebende und anregende Wirkung des Stimulans ist belegt. Unbedenklich für gesunde Erwachsene sind, laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), 400 mg Koffein pro Tag (ausgenommen Schwangere); wobei Einzeldosen 200 mg nicht überschreiten sollten.
Bei höherer Dosierung kann es zu Nebenwirkungen wie Unruhe, Nervosität, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Herzrasen kommen.
Eine Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ergab schon 2012, dass durchschnittlich 18 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren sowie 73 Prozent der 14- bis 18-Jährigen regelmässig Energydrinks konsumierten. 12 Prozent der Teenager tranken im Monat sieben Liter und oft mehr als einen Liter auf einmal. Neuere umfassende Untersuchungen gibt es leider nicht. Eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen: Der Konsum ist nicht rückläufig.
Kinder unter 12 Jahren sollten grundsätzlich auf Koffein verzichten. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sollten Kinder und Jugendliche nicht mehr als 3 Milligramm Koffein pro Tag und Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Dreizehnjährige Kinder (Durchschnittsgewicht 54 kg) erreichen die zulässige Dosis bereits mit zwei 250-ml-Drinks (160 mg). Wer sich in den sozialen Medien, auf YouTube etc. umschaut, findet nicht selten Schüler, die – um morgens in die Gänge zu kommen – einen Energydrink schlürfen, der zweite folgt eventuell in der grossen Pause und der dritte und vierte abends beim Zocken am Computer.
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«Erhöhter Koffeingehalt. Für Kinder und schwangere und stillende Frauen nicht empfohlen.» Diesen – oft kleingedruckten Hinweis auf der Dosenrückseite – müssen Energydrinks in der Schweiz, Deutschland und Österreich tragen. Vielen verantwortungsbewussten Menschen, Organisationen und Nationen reicht das nicht. 2014 beschlossen Litauen und 2016 Estland, den Verkauf an unter 18-Jährige zu verbieten. 2018 entschied sich Grossbritannien, die Abgabe an unter 16-Jährige zu verbieten; in den Niederlanden verkaufen die Discounter Aldi und Lidl seit Oktober 2018 keine Energydrinks an unter 14-Jährige. Andere europäische Länder wollen keine gesetzlich geregelte Altersbeschränkung; stattdessen wird auf den mündigen Verbraucher bzw. die Verantwortung der Eltern verwiesen.
Obwohl die Marktführer ihre Affinität zu (Extrem-)Sportarten ausdrücklich betonen und sportliche Fans ansprechen, raten Mediziner, Ernährungsberaterinnen und Verbraucherzentralen Kinder, Jugendliche und Erwachsene eindringlich davor, Energydrinks vor und während des Sports zu trinken. Zwar mag das prickelnde Getränk zunächst einen Kick geben, doch Energydrinks enthalten zu viel Koffein und Säure, zu viele Kohlenhydrate und zu wenig Mineralien, um dem Körper bei sportlicher Anstrengung von irgendeinem Nutzen zu sein – ganz im Gegenteil.
Getränke während der sportlichen Betätigung sollten idealerweise einen Kohlenhydratgehalt von rund 6 bis 8 % aufweisen. Energy Drinks enthalten wie Süssgetränke rund 11 bis 12 %. Hinzu kommt, dass Koffein sowie die Kohlensäure nicht von allen gleich gut vertragen werden. Salz wie im Minerlawasser wäre hier die bessere Alternative.
Übrigens: Spanische und deutsche Wissenschaftler konnten zeigen, dass industriegeförderte Studien fünfmal seltener einen Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht und dem Konsum zuckerhaltiger Getränke feststellten als andere. Gab es keine Verbindung zum Finanzgeber, kamen über 80 Prozent zum gegenteiligen Ergebnis.
Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind Energydrinks in Kombination mit Alkohol besonders beliebt, vielfach zusammen mit Wodka. Gefährlich: Der süsse Geschmack überdeckt den Alkohol und verleitet dazu, mehr zu trinken. Das Koffein mindert das Gefühl der Müdigkeit und der Trunkenheit. Auto- und Radfahrer riskieren so, sich selbst zu überschätzen und sich und andere in Gefahr zu bringen.
Zuletzt aktualisiert: 09-01-2024