Im Schnitt essen Schweizer rund 200 Hühnereier pro Jahr und Person. Welche Wirkung das gesundheitlich hat? Eier gleich Cholesterin gleich hohes Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko? Die moderne Ernährungsmedizin, TCM und Ayurveda liefern Erkenntnisse dazu.
Autor: Tino Richter, Petra Horat Gutmann
«Ich vernichte gut und gerne 10 Eier in zwei Tagen, 30 bis 40 Stück in der Woche. Der Einfluss der Eier auf den Cholesterinspiegel ist so gut wie nicht gegeben», sagt Simon Ulrich (29) auf seinem YouTube-Kanal «Muskelmacher», der offiziell über 200 000 Abonnenten zählt. Ganz anders äussert sich Dr. med. Neal Barnard über Eier. Der US-amerikanische Ernährungsforscher und Gründer des «Ärzte-Komitees für verantwortungsvolle Medizin» (PCRM) sagt: «Wenn der Körper Cholesterin aufnimmt, führt das normalerweise auch zu einem Anstieg des Cholesterins im Blut. Die Eierindustrie hat teure Studien finanziert, die das abstreiten sollen. Doch man kann genauso gut behaupten, dass der Zucker, den man isst, nicht ins Blut gelangt.»
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt ein kanadisches Forscherteam um den Ernährungsexperten Dr. David Jenkins, Vater des sogenannten glykämischen Index. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Hühnereier den (LDL)-Cholesterinspiegel erhöhen und entzündungsfördernd wirken. Zudem seien bestimmte Stoffwechselprodukte, die sich nach dem Verzehr von Eiern im Darm bilden (z.B. Trimethylaminoxid TMAO), an der Entstehung von Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes beteiligt.
LDL-Cholesterin (engl.: Low Density Lipoprotein, auch „schlechtes“ Cholesterin genannt), kann sich an Blutgefässwänden ablagern und zu Gefässverengung, schliesslich zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Laut Schweizer Gesellschaft für Ernährung beträgt der Cholesterin-Bedarf ca. 1200 bis 1600 mg pro Tag. Allerdings wird dieses zum grössten Teil im Körper selbst produziert, vor allem in der Leber. Dieses körpereigene Cholesterin reduziert sich je nach Cholesterinzufuhr über die Nahrung. Nimmt man als gesunder Mensch mehr Cholesterin zu sich als es der Körper braucht, wird die Aufnahme im Darm kurzerhand gestoppt und das überflüssige Cholesterin wieder ausgeschieden. Die Betonung liegt hier auf dem Wort gesund.
Denn mit einem Frühstücksei (ein Ei hat rund 210 mg Cholesterin) nimmt man bereits einen Grossteil der erlaubten Cholesterinmenge von rund 300 mg pro Tag auf. Doch je nach genetischer Ausstattung kann die Leber das Cholesterin besser oder schlechter abbauen.
Die Gesamt-Cholesterinwerte werden daher nur teilweise von der Ernährung beeinflusst. Stefan Lorkowski, Professor für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der Universität Jena erklärt, dass das Cholesterin aus Lebensmitteln nur einen moderaten Einfluss auf die Cholesterinwerte im Blut hat. Den Cholesterinspiegel beeinflussen weniger die Menge an Cholesterin, die man über die Nahrung aufnimmt, sondern die Qualität der Fette: Gesättigte Fettsäuren in Kombination mit Cholesterin, wie z.B. in fettigem Fleisch, Wurst und Speck, haben einen grösseren Einfluss als cholesterinreiche Lebensmittel allein.
3385 Studien – so viele wissenschaftliche Arbeiten über Eier und Cholesterin sind bei PubMed verlinkt, der grössten medizinischen Datenbank der Welt. Davon entfallen rund 500 Studien alleine auf die letzten fünf Jahre. Laufend kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse hinzu. Auch solche, die zu einer Anpassung der behördlichen Ernährungsempfehlungen in wenigen Jahren führen könnten.
Dabei ist die teilweise «Rehabilitierung» des Hühnereies erst einige Jahre alt. Ihr zugrunde lag u.a. die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Leber der meisten Menschen die körpereigene Cholesterinproduktion drosselt, wenn zu viel Cholesterin mit der Nahrung aufgenommen wird. Wie auch die Erkenntnis, dass das Hühnerei mehr ungesättigte, also «gesunde» Fettsäuren enthält als «ungesunde» gesättigte Fettsäuren. Die Forschung schreitet also voran. Das «Dumme» dabei ist nur: Eine wissenschaftlich-evidenzbasierte Erkenntnis von heute kann bereits morgen überholt sein. Zwecks Orientierung im Alltag kann es deshalb hilfreich sein, zusätzlich die Erkenntnisse der grossen Medizinalsysteme TCM und Ayurveda zu berücksichtigen. Beide beobachten die Wirkung von Nahrung auf den Menschen seit Jahrtausenden und setzen Lebensmittel gezielt als Medizin ein.
Wer aber schon unter einer koronaren Herzerkrankung oder Gefäss-Atherosklerose leidet, sollte den Konsum von Eiern überdenken. Thomas Lüscher, Klinikdirektor der Kardiologie am Universitätsspital Zürich, empfiehlt daher in der gleichen Zeitung eine mediterrane Ernährung mit viel Obst und Gemüse, wenig tierischen, dafür aber vielen pflanzlichen Fetten. Auch Nicht-Rauchen, Normalgewicht und regelmässige Bewegung beeinflussten die Ablagerung von Cholesterin in den Blutgefässen. Ernährungsgesellschaften empfehlen, etwa 30 Prozent des Energiebedarfs mit Fett zu decken. Bei Normalgewicht kann man pro Tag also ein Gramm Fett pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen.
Laut einer Meta-Studie hat das täglich genossene Frühstücksei keine Auswirkungen auf die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, berichten die Forscher im «British Medial Journal online». Hierzu hatten sie andere Studien analysiert, die sich seit 1966 mit dem Zusammenhang zwischen Eierkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beschäftigt hatten. Insgesamt wurden Daten zu 470'000 Patienten ausgewertet. Das Resultat: 5874 bekamen Probleme am Herzen und 7579 erlitten einen Schlaganfall, egal ob sie wenig Eier oder eines pro Tag gegessen hatten.
Die Traditionelle Chinesische Medizin schreibt dem Ei befeuchtende, nährende und kräftigende Eigenschaften zu. Genauer gesagt eine tonisierende Wirkung auf das Blut, die Lebensenergie Qi und das Yin; letzteres ist die erdende und kühlende Energie in unserem Körper. Diese Eigenschaften sind ideal, um bestimmten Beschwerden entgegenzuwirken, z.B. Trockenheitssymptomen in Hals, Lunge, Haut oder Augen. Da die Yin-Energie zudem für ausreichend «Körpersubstanz» sorgt, wird das Ei auch bei Untergewicht und körperlicher Erschöpfung empfohlen. Beispielsweise nach Krankheit oder Geburt. Die Blut tonisierenden Eigenschaften machen das Ei zu einem Helfer bei weiteren Beschwerden: Blutarmut, Milchbildungsmangel, Nachtblindheit, Unruhe, Nervosität und etlichem mehr.
Doch das Ei hat TCM zufolge auch eine Schattenseite: Ein übermässiger oder unangebrachter Verzehr kann zu Blockaden der Lebensenergie Qi führen. Die Folgen? Stauungen und Schmerzen in unterschiedlichen Körperregionen.
Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt die ayurvedische Medizin. Manche Ayurveda-Therapeuten empfehlen den Konsum von Hühnereiern deshalb nur Patienten mit Vata-Konstitution. Also schmalen Personen mit vergleichsweise wenig Muskelmasse, die leicht frieren und zu Untergewicht neigen.
Für übergewichtige oder adipöse Menschen sind Eier aus ayurvedischer Sicht dagegen nicht «das Gelbe vom Ei». Kommt hinzu: Viele Ayurveda-Therapeuten raten grundsätzlich davon ab, Hühnereier zu essen. Weil das Ei zu den «tamasischen» Lebensmitteln zählt – und damit Nahrung sei, die den Körper ermüde, die Verdauung erschwere und den Geist nach unten ziehe. Als tamasisch gelten im Ayurveda auch industriell verarbeitete Nahrungsmittel wie Zucker, Weissmehl, Hartkäse, Frittiertes, hochprozentiger Alkohol, rotes Fleisch sowie verdorbene Speisen.
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Neben dem Cholesterin sind in Eiern auch hochwertige Proteine, Natrium, Kalium, Vitamin A und E sowie essentielle und semi-essentielle Aminosäuren enthalten. Pro 50g essbaren Anteil (entspricht etwa einem mittelgrossen Ei):
Nährwerte
Wasser: 37,2 g
Eiweiss 6,4 g
Kohlenhydrate 0,35 g
Mineralstoffe 500 mg
Mineralstoffe
Natrium 72,5 mg
Kalium 72,5 mg
Eisen 1000 µg
Zink 650 µg
Phosphor 107,5 mg
Schwefel 90 mg
Vitamine
Vitamin A 135 µg
Vitamin B2 205 µg
Vitamin E 1000 µg
Pantothensäure 800 µg
Aminosäuren
Isoleucin 465 mg
Leucin 630 mg
Lysin 445 mg
Penthylananin 400 mg
Threonin 355 mg
Lipide
gesättigte Fettsäuren 1,55 g
Linolsäure 574 mg
α-Linolensäure 16,5 mg
EPA 2 mg
DHA 18,5 mg
Arachidonsäure 171 mg
LDL-Cholesterin 212 mg
Fest steht: Wer Eier aus «Bodenhaltung» kauft, fördert das Tierleid. Nehmen wir die besonders häufige «Bodenhaltung». Sie bedeutet nichts anderes als neun Tiere auf einem Quadratmeter Stall, der Auslauf im Grünen ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.
Oder die «Käfighaltung»: Pro Quadratmeter Stall drängeln sich bis zu 13 Tiere, ohne Tageslicht und Auslauf im Freien. Kein Problem in der Schweiz und Deutschland, wo die Käfighaltung verboten ist? Schon, doch beide Länder importieren jedes Jahr Millionen von Eiern aus Käfighaltung. Sie werden «unsichtbar» in hiesigen Lebensmitteln verarbeitet – von Mayo über Guetzli bis Teigwaren.
Für die Tiere bedeutet das ein artfremdes Leben: Keine Futtersuche, kein Scharren, kein Kratzen und Aufpicken von Käfern oder Regenwürmern auf der grünen Wiese. Auch das Aufziehen der Küken, mit denen die Hennen bereits vor dem Schlüpfen durch Piepstöne kommunizieren, entfällt. Obendrein macht die züchterisch forcierte Legeleistung von rund 300 Eiern jährlich die «Turbo-Legehennen» alias Hybridhühner krankheitsanfällig. Sie erhalten Antibiotika, was wiederum die Entstehung von multiresistenten Keimen fördert – ein grosses medizinisches Problem.
Welche Konsequenzen hat all das für den Alltag? Möglicherweise, dass man Eier nicht in rauen Mengen verschlingt, sondern jedes Ei als eine kleine Kostbarkeit betrachtet und mit Respekt verzehrt? Oder dass man ausschliesslich Bio- oder Demeter-Eier einkauft? Die Legehennen von Bio- und Demeterbauern erhalten einen artgerechten Platz im Stall und reichlich Auslauf mit Schutz und Schatten. Bei Demeter-Bauern dürfen zudem auch die männlichen Küken aufwachsen. Da Letztere aus Sicht der industriellen Grossproduktion zu wenig Fleisch ansetzen, werden sie anderswo nach dem Schlüpfen getötet – so bis dato auch in den meisten Biobetrieben.
Dass man mit dem Kauf jedes Eis das Aufwachsen eines männlichen Kükens quersubventioniert, hat übrigens Zukunft: Eine wachsende Zahl von Biobauern setzt sich für das «Zweinutzungshuhn» ein, und in Deutschland soll das Töten von männlichen Küken ab 2022 verboten werden.
Wie die Legehennen leben, deren Eier wir kaufen, verrät der Code auf der Schale. In der Schweiz wie in Deutschland gilt: Je höher die Zahl, desto grösser die Qual. Viele Importeier für die Schweiz und Deutschland stammen aus Käfig- und Bodenhaltung.