Die Bezeichnung «schwerhörig» ist zwar physiologisch korrekt, aber sehr verharmlosend. Sie umfasst nicht die breitgefächerten psychosozialen Probleme. Erschwert sind ja nicht allein Hören und Verstehen, sondern alles, was mit sozialen Kontakten zusammenhängt, ist viel anstrengender und konfliktträchtiger, als ein gesunder Mensch es ahnen kann.
Autor: Jürgen Müller, 03.03
Ist das Gehör in Ordnung, können wir uns an einer Unterhaltung beteiligen und gleichzeitig einer andern Tätigkeit nachgehen, zum Beispiel essen, eine Handarbeit erledigen, das Gehörte gedanklich filtern und einordnen oder Gesprächsnotizen machen. Mühsam wird es erst, wenn wir sehr erschöpft sind oder versuchen, in einer Fremdsprache zu kommunizieren. Dann erst wird unsere ganze Konzentra-tion für das Hören und Verstehen benötigt. Hörgeschädigte müssen tagtäglich mit dieser Anstrengung umgehen, denn bereits bei einem geringem Lärmpegel ist es schwierig oder gar unmöglich zu kommunizieren.
Weshalb wissen wir, ohne hinzuschauen, ob sich ein Auto von links nähert? Das linke Ohr empfängt das Geräusch um eine Spur früher und um einen Hauch intensiver als das rechte. Unser Gehirn errechnet aus dieser Differenz die Richtung des Geräusches (Stereophonie). Mit nur einem Ohr ist das Richtungshören somit nicht möglich (analog dem räumlichen Sehen der Augen).
Zudem wirkt die menschliche Sprache flach und «farblos», wenn wir uns nicht auf beide Ohren verlassen können. Denn wenn von beiden Ohren korrekte Signale kommen, ist das Hörzentrum im Gehirn zu einer unglaublichen Leistung fähig: Es unterdrückt den Lärm und filtert Sprache und bedeutsame Laute aus dem Wirrwarr der Geräusche heraus. Deshalb ist es möglich, sich in lärmiger Umgebung auf einen Gesprächspartner zu konzentrieren.
Die Anpassung geht noch weiter. Im Gehirn werden tausende von Klangmustern abgelegt. So schlafen wir bei lauten, aber gewohn-ten Geräuschen friedlich weiter, beispielsweise bei den Lärmemissionen eines vorbeifahrenden Zugs oder einer frühmorgens vom Partner in Betrieb gesetzten Espresso-Maschine. Auf der andern Seite lassen uns selbst leise «Warngeräusche» sofort aus dem Schlaf aufschrecken.
Aus diesen Funktionsweisen des Gehörs (Stereophonie, Sprachfilter, Klangmuster) ergeben sich wichtige Hinweise für die Anpassung eines Hörgeräts.
Das Ohr besteht aus dem äusseren Ohr, dem Mittelohr, dem Innenohr, den Hörbahnen sowie den im Gross- und Stammhirn liegenden auditiven Reizverarbeitungszentren.
Die überwiegende Anzahl der Hörprobleme betrifft das Innenohr, besonders durch die Schädigung der äusserst sensiblen Haarzellen durch zu laute oder zu lange Lärm-Einwirkung. Die Innenohr-Schwerhörigkeit wirkt sich hauptsächlich auf die hochfrequenten Sprachanteile von «s», «f» und «sch» aus. Dies führt zur typischen Aussage der Betroffenen: «Ich höre, aber verstehe nicht!» In der Regel können Innenohr-Schwerhörigkeiten nicht medizinisch behandelt werden, da sie die Haarzellen betreffen. Solche Hörprobleme können nur durch Hörgeräte korrigiert werden.
Je früher, desto besser
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen weiss man, dass zwischen dem Bewusstwerden einer Schwerhörigkeit und dem ersten Besuch beim Ohrenarzt oder beim Hörgeräte-Akustiker im Durchschnitt sieben bis neun Jahre vergehen.
Ein schlechtes Gehör verunmöglicht das Richtungshören, beeinträchtigt das Verstehen von Sprache und bringt soziale Probleme mit sich. Wer mit der Anpassung von Hörgeräten zögert, läuft zudem Gefahr, dass er die anfangs erwähnten Klangmuster und damit das Hören verlernt. Dies kann so weit gehen, dass sich ein Schwerhöriger durch die korrekte Anpassung eines Hörgeräts und die wieder wahrgenommene Klangwelt gestört und verunsichert fühlt.
Nur durch einen fachmännisch ausgeführten Hörtest (es gibt viele verschiedene) lässt sich feststellen, ob und in welcher Form das Hörvermögen beeinträchtigt ist. Hörtests können sowohl beim Hals-Nasen-Ohrenarzt wie auch beim Hörgeräte-Akustiker durchgeführt werden. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass den Betroffenen und den Krankenkassen in der Regel keinerlei Kosten erwachsen – denn die meisten Akustiker führen einfache Hörtests gratis durch.
Das Gesamtangebot an Hörgeräten erstreckt sich auf mehr als 700 Modelle. Die Bauformen umfassen im wesentlichen die hinter dem Ohr getragenen (HdO-)Geräte und die im Ohr bzw. im Gehörgang getragenen Im-Ohr-Geräte (IdO). Daneben gibt es noch die sogenannten «Hörbrillen»– mit in den Bügeln untergebrachten Hörgeräten – sowie die Taschengeräte.
Bei chronischen Mittelohr-Entzündungen oder Missbildungen des Mittelohrs gelangen knochenverankerte Hörgeräte zum Einsatz, die den Schall in Form von Vibrationen direkt über den Schädelknochen zum Innenohr leiten. Sogar ertaubten Menschen kann mit Cochlea-Implantaten geholfen werden. Die Schallsignale werden mit Hilfe einer ins Innenohr eingeführten Sonde als elektrische Reize direkt an die Hörnerven übermittelt.
Digitale Hörgeräte sind heute nahezu unsichtbar
Die Miniaturisierung ist so weit fortgeschritten, dass die kleinsten Hörgeräte im Hörkanal verschwinden und nahezu unsichtbar sind. Die Winzlinge sind aber nicht in jedem Fall geeignet, da die Verstärkungsleistung ihre Grenzen hat. Dank der technologischen Fortschritte, wird das Hörgerät auch immer mehr zu einem «Verstehgerät». Moderne Hörgeräte versuchen ein möglichst naturgetreues Klangbild nachzuahmen. Denn je natürlicher die Klangfarben und Klangnuancen übermittelt werden können, desto rascher finden Schwerhörige aufgrund der angelernten Klangmuster den Zugang zu den Inhalten. Bei den Voreinstellungen am Hörgerät werden das Lebensalter genauso berücksichtigt wie persönliche Vorlieben für z.B. fernsehen oder das Hören von Musik. Der Benutzer kann entscheiden, wie weit «Lärm» gegenüber Sprache abgedämpft werden soll.
Digitale Geräte können Sprache sogar von Hintergrundgeräuschen unterscheiden und schalten bei Bedarf blitzschnell in einen Sprachmodus um. Dies ist vor allem dann hilfreich, wenn sich der Betroffene mit jemandem in einer Menschenmenge unterhalten will (Cocktail-Party-Effekt) oder auch beim Auto fahren.
All die Segnungen der Technik kommen natürlich nur dann zum Tragen, wenn das Hörgerät gut sitzt. Es könnte sonst beim Kauen, Gähnen oder Sprechen herausrutschen. Denn die Form des Gehörgangs verändert sich aufgrund der Kieferbewegungen. Ein locker sitzendes Hörgerät kann eine Rückkopplung, einen unangenehmen Pfeifton, verursachen. Das passiert dann, wenn das Hörgerät zu lose anliegt und das verstärkte Signal einen Weg zurück zum Mikrofon findet. Bei einigen Firmen erfolgt daher auch die Anpassung des Hörgeräts in das Ohr «digital», d.h. mit modernster Computertechnik. Das Ohr wird mit einem Scanner abgetastet und digitalisiert. Das Hörgerät sitzt perfekt im Ohr. Bei Verlust oder Defekt ist die rasche Reproduktion gewährleistet, denn die Daten bleiben im Computer gespeichert.
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Nach Technologien und Leistungskategorien gegliedert umfasst die aktuelle Produktpalette die folgenden Gerätetypen und -modelle:
Passen Sie auf Ihre Ohren auf, so lange sie noch gesund sind. Vermeiden Sie Lärm und laute Musik, beugen Sie Erkältungskrankheiten vor und kurieren Sie diese vollständig aus, schützen Sie Ihre Ohren vor Kälte, vermeiden Sie Stress, usw. Und vor allem: Nutzen Sie Ihr Gehör und gönnen Sie ihren Ohren ein regelmässiges Training. Wann haben Sie das letzte Mal dem Geräusch von fallenden Schneeflocken gelauscht oder einem davonhuschenden Eichhörnchen? Sind es nicht die leisen Töne, die das Leben lebenswert machen?