In der Traditionellen Alpenländischen Medizin (TAM) kennt man bis heute die „Knochendoktoren": Personen, die sich darauf verstehen, mit gezielten Griffen das Nötigste zu richten. Die zugrundeliegende Technik ist verblüffend wirksam.
Autorin: Andrea Pauli
Damit unser an sich starres Skelett bewegt werden kann, müssen Sehnen die Kraft der Muskeln auf unsere Knochen übertragen. Zu diesem Zweck sind sie an einem Ende im Muskel befestigt, am anderen Ende am Knochen angewachsen. Sehnen setzen sich aus sehr stabilen Kollagenfasern zusammen und sind von einem schützenden Sehnengleitgewebe umgeben. Zur besseren Gleitfähigkeit sind Sehnen, die direkt auf dem Knochen verlaufen (z.B. am Handgelenk), zudem von einer Sehnenscheide umgeben. Diese enthält eine Flüssigkeit, welche die Gleitfähigkeit der Sehne erhöht.
Man unterscheidet Druck- und Zugsehnen. Zugsehnen bestehen aus straffem Bindegewebe, das parallel zur entsprechenden Zugrichtung ausgerichtet ist. Drucksehnen ziehen im Gegensatz zur Zugsehne um den Knochen herum; dieser dient dabei als Widerlager. Zur stärksten Sehne unseres Körpers zählt die Achillessehne. Sie kann einer Zugbelastung von über einer Tonne standhalten. Aufgrund der hohen mechanischen Belastung unterliegt das Sehnengewebe oft degenerativen Veränderungen, die man unter dem Begriff «Tendopathie» zusammenfasst.
War das nächste Krankenhaus weit, stand kein Auto zur Verfügung und war der Schmerz z.B. aufgrund eines verknacksten Fussgelenkes gross, schickte man früher nach dem «Knochendoktor». Bis heute gibt es diese Art heilkundiger Laien im alpenländischen Raum. Ihr Wissen geben sie familiär weiter. Dr. Klaus Karsch erkundete als junger Intensivmediziner diese Heilmethode, entwickelte sie weiter und prägte den Begriff Skribben® dafür. Das Besondere an der Methode: Sie wird gezielt und ausschliesslich an den Sehnen angewendet, sowohl an den tastbaren Sehnen selbst, welche die Gelenkteile miteinander verbinden, als auch an den Sehnenübergängen zur Muskulatur. Die dort befindlichen Golgi-Sehnenorgane* reagieren bei Verspannungen und starken Kontrakturen häufig schmerzempfindlich. Druck auf die Sehnen in diesem Bereich erzeugt einen nervlichen Reflex, der im Rückenmark verarbeitet wird. Die Folge: Der Muskel, der zu der betreffenden Sehne gehört, entspannt – und der Schmerz lässt nach.
Bearbeitet werden Bindegewebsstrukturen, meist Sehnen an dem entsprechenden Gelenk. Die behandelnde Person bringt dazu zuerst den Muskel des Patienten in eine verkürzte Lage, um die dazugehörige Sehne gut ertasten zu können. Mit der einen Hand wird dann mit Daumen, Zeige- oder Mittelfinger die Sehne fixiert und gedrückt. Mit der anderen Hand wird das Gelenk mittels einer rhythmischen, einige Male ruckartig unterbrochenen Bewegung in die diametral entgegengesetzte Richtung bewegt. Dabei muss der Druck auf die fixierte Sehne für die Dauer des kompletten Bewegungsablaufes aufrechterhalten werden. Skribben ist folglich als ein Lösen der Verspannungen von Sehnen, Sehnenplatten und weiteren Bindegewebsstrukturen zu begreifen.
Die Technik unterscheidet sich deutlich von der Chiropraktik, welche unerwartet sehr schnelle, heftige Bewegungen macht. «Das gibt es beim Skribben nicht», erklärt Therapeutin Elisabeth Karsch, die die Tradition des Skribens in ihrer Praxis im Allgäu in der Tradition ihres Mannes Dr. Klaus Karsch weiter betreibt. «Da ist immer eine Abstimmung, die eine Hand achtet, was die andere macht, man schaut den Patienten an und bittet um Rückmeldung. Gerade bei der Halswirbelsäule ist natürlich auch beim Skribben Vorsicht geboten, das ist ein heikler Bereich», gibt sie zu bedenken. Gleichwohl könne die Behandlung da ausgesprochen erfolgreich sein.
Beispiel 1:
Die häufig sehr schmerzhaften Druckpunkte nahe der Ellenbeuge werden gesucht und kräftig gedrückt.
Die andere Hand des Behandlers beugt den Arm des Patienten und bewegt ihn dann unter Zug und Drehung in Streckung. Bei diesem Griff ist es besonders wichtig, möglichst die volle Streckung des Ellenbogengelenks zu erreichen.
«Der Schmerz wird besser, wenn die Spannung weg ist», bringt es Elisabeth Karsch auf den Punkt. Durch den Reflex, welcher durch den Druck ausgelöst wird, entspannt sich die Muskulatur, und die knöchernen Strukturen werden sich mehr oder weniger «von selbst» wieder richtig einstellen.
Beim Skribben ist es nicht wie beim Verordnen einer Physiotherapie – es kommt ganz auf die Beschwerden der betroffenen Person an. «Wenn sich jemand verknackst hat oder nach einem langen Marsch in den Bergen über Knieschmerzen klagt, kann es sein, dass bereits mit einer Anwendung wieder alles ins Lot kommt. Bei einem Schulter-Impignement habe ich das Skribben auch schon mit anderen Lockerungsformen kombiniert. Je chronischer die Schmerzen sind, desto häufiger kann eine Behandlung nötig sein», so Elisabeth Karsch. «Es gibt auch Ausnahmefälle, wo Skribben nicht so ankommt beim Patienten, da muss man eben eine andere Methode finden.»
Das Interessante an der Sache ist: Jeder kann Skribben lernen. Nun gut, ein gewisses Einfühlungsvermögen und Interesse ist natürlich vorausgesetzt. «Man braucht Gefühl in den Händen», erläutert die Therapeutin. Ob man spüre, wo die Sehnen verlaufen, habe mit einer «Intelligenz der Finger» zu tun bzw. mit dem Gefühl dafür, ein Gelenk zu bewegen, darunter den Gelenkspalt zu ertasten und schliesslich die Sehnen. «Anatomiekenntnisse sind von Vorteil, aber nicht zwingend notwendig. Man sollte auch nicht zu verkopft darangehen», ist die Erfahrung von Elisabeth Karsch. Und kann man sich dann selbst behandeln, wenn man die Technik beherrscht? «Für die Griffe muss man beide Hände einsetzen. Klar, da kann man schon mal seinen Fuss behandeln, wenn man das Prinzip verstanden hat. Aber es ist eben nicht so effektiv, wie wenn eine andere Person das ausführt. Skribben ist gedacht als Hilfestellung, als Behandlung für andere.»
Die Technik bedarf der Übung, das wird in Kursen intensiv vermittelt. «Nur übers Tun kommt die Sicherheit», so Elisabeth Karsch.
Zuletzt aktualisiert: 03-11-2023