Sie sind milder als ätherische Öle und dennoch hochwirksam: Hydrolate, mittels Destillation gewonnen, erfreuten sich bereits im alten Persien grosser Beliebtheit. Der Aromatherapie verdanken sie ihre Renaissance. Inzwischen sind sie geschätzt bei der Körper- und Krankenpflege, als sanfte Unterstützung für Tiere, als Raumduft und in der kreativen Küche.
Text: Gisela Dürselen
Kochendes Wasser und grob zerkleinerte, frisch gepflückte – manchmal auch getrocknete – aromatische Kräuter, Beeren, Blätter oder Blüten: Das sind die Rohstoffe für Pflanzenwässer. Hergestellt werden sie in einer Destille oder in einem einfachen Dampfkocher. Sobald das Wasser kocht, strömt der Dampf durch die Pflanzen, absorbiert ihre Essenz und kondensiert als Hydrolat. Dieses ist delikat wie seine Ingredienzen aus öl- und wasserlöslichen, flüchtigen Stoffen und weiteren Substanzen, den sogenannten Artefakten, die erst durch die Destillation entstehen.
Obwohl Pflanzenwässer eine jahrtausendelange Tradition haben, galten sie in der Neuzeit oft nur als Nebenprodukt der Öldestillation und wurden entsorgt. Denn Hydrolate sind die sensiblen Schwestern der ätherischen Öle: Sie sind weitaus instabiler und benötigen eine sorgsame Herstellung und Lagerung. Sie verkeimen schneller und halten sich nicht so lange wie die Öle. Zwar wirken sie nicht weniger, doch subtiler. Ihr Duft ist schwächer und hat manchmal eine andere Note.
Aromatherapeuten verwenden für die medizinische Behandlung nur echte Hydrolate ohne Zusatz von Alkohol oder anderen Konservierungsmitteln. Sie helfen bei alltäglichen Beschwerden, und wegen ihrer milden, sowohl physischen als auch psychischen Wirkungen werden sie in Hebammenpraxen und im Hospiz eingesetzt. Ihre Eigenschaften entsprechen dem Charakter der jeweiligen Pflanze: Die Heilpraktikerin und Aromatherapeutin Susanne Fischer-Rizzi empfiehlt Holunderwasser bei Erkältungskrankheiten, Salbeiwasser als entzündungshemmendes Mundspray bei Halsschmerzen und Zahnfleischentzündung, Lavendelwasser zur Linderung von Sonnenbrand und eine Mischung aus Zitronengras und Duftgeranie zur Abwehr von Zecken. Lavendelwasser auf dem Kopfkissen fördere guten Schlaf, schreibt die Fachbuchautorin in ihrer neuesten Auflage von «Das grosse Buch der Pflanzenwässer».
Hingegen sei Rosmarinwasser ein Muntermacher und wecke die Lebensgeister. Es helfe bei Erschöpfung und Überarbeitung und stabilisiere niedrigen Blutdruck. Für die Haut sei es ein seit langem verwendetes, regenerierendes Schönheitswasser. Weil Hydrolate selbst von empfindlichen Hauttypen fast immer gut vertragen werden, steigt die Nachfrage insbesondere in der Naturkosmetik: Geschätzt werden sie als Zutat in Pflegemitteln wie Gesichts- und Rasierwässern, aber auch als Duft zum Besprühen für Räume und Wäsche.
Da die Qualität der Pflanzen ihre Wirksamkeit beeinflusst, haben sich mehrere Anbieter auf geprüfte Bioqualität spezialisiert. Zu ihnen gehört die Familie Mayor, die im perfekten Klima der Icogne im Zentralwallis Medizinalplanzen anbaut, daraus ätherische Öle und Hydrolate herstellt und unter der Marke «L’Essencier» vertreibt. Die frisch geernteten Bergkräuter werden in einem Kessel mit 1000 Litern Fassungsvermögen destilliert. Danach wird das an der Oberfläche schwimmende Öl vom Pflanzenwasser getrennt. Ein Teil davon dient der Herstellung von Kosmetika wie Seifen, Körperlotions und Cremes.
Buchautorin Susanne Fischer-Rizzi (SFR) zu Reifezeiten, Haltbarkeit und Qualitäten von Hydrolaten:
GN: Pflanzenwässer brauchen Reifezeit. Woran erkennt man die Reife?
SFR: Die Reifezeit hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Einige Hydrolate brauchen wenige Tage, andere einige Monate. Ganz pauschal: Das Hydrolat sollte nach der Destillation einige Tage verschlossen stehen bleiben, um zu sehen, wie viel ätherisches Öl sich an der Oberfläche angesammelt hat. Bei einer kleinen Menge bleibt das ätherische Öl im Hydrolat, eine grössere Menge kann man zum Beispiel mit einer Pipette abnehmen.
GN: Wie lange und unter welchen Bedingungen halten sich Hydrolate?
SFR: Hydrolate sollten in lichtundurchlässigen Flaschen wie Braun- oder Blauglaslaschen aufbewahrt werden. Grössere Mengen werden kühl gelagert und sollten möglichst keinen Temperaturschwankungen ausgesetzt sein. Je nach Hydrolat sind sie ein halbes bis zwei Jahre lang haltbar.
GN: Woran ist die Güte eines Pflanzenwassers zu erkennen?
SFR: Bei gekauften Hydrolaten sollten auf dem Etikett Angaben stehen wie: Pflanzenname und botanische Bezeichnung, Herkunftsland, verwendetes Pflanzenmaterial, Produktionsmethode, Abfülldatum, Chargennummer und Hinweis auf Zusätze wie Alkohol oder andere Konservierungsmittel. Das Hydrolat sollte auf keinen Fall Schlieren enthalten, da dies ein sicherer Hinweis darauf ist, dass das Pflanzenwasser nicht mehr gut ist. Man kann dazu eine kleine Menge in ein Gläschen füllen, um eventuelle Trübungen zu erkennen. Der Geruch des Hydrolats sollte der destillierten Pflanze in etwa entsprechen.
Aufgrund ihrer Milde spielen Hydrolate auch bei der Pflege und Behandlung von Tieren eine Rolle. Insbesondere eignen sie sich für empfindliche Nasen von Welpen und Junghunden, für die viele ätherische Öle zu stark sind, sagt Kerstin Ruhsam. Lavendelhydrolat empfiehlt die österreichische Aromapraktikerin zur Säuberung und Pflege der Ohren, um Schmutz zu entfernen und ein gesundes Milieu gegen Parasiten und bei Entzündungen zu schaffen. Für die Reinigung der Augen eigne sich Rosenhydrolat, insbesondere bei Hunden mit vermehrtem Tränenfluss, um die Krusten sanft abzuwaschen und Reizungen zu mildern. Bei allergiebedingtem Tränenfluss sei Melissenhydrolat das Mittel der Wahl.
In ihrem 2014 erschienenen Buch «Aromatherapie für Hunde» stellt Kerstin Ruhsam viele weitere Anwendungen vor: Beispielsweise Hamameliswasser zum Waschen und Pflegen der Pfoten, wenn sie bei einem Spaziergang im Winter Streusalz ausgesetzt waren. Niemhydrolat sei eine optimale Basis für ein Parasitenschutzspray und Geranienhydrolat ein natürliches Spray bei Haut- und Fellproblemen. Rosenhydrolat empfiehlt Kerstin Ruhsam auch als Notfallspray bei kleinen Verletzungen zum Desinfizieren; im Trinkwasser helfe es bei Zahn- oder Rachenproblemen, und für die Psyche eigne es sich als Raumduft oder Körbchen-Beduftung. Immer ersetzen Hydrolate die ätherischen Öle jedoch nicht, sagt Kerstin Ruhsam. In einem solchen Fall kombiniere die Aromatherapie Pflanzenwässer mit Ölen, um einen Synergieeffekt zu erzielen.
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Die wissenschaftliche Literatur zu Hydrolaten ist weit weniger umfangreich als die zu ätherischen Ölen. Dennoch existieren Studien, welche ein Wissen bestätigen, das in der Volksmedizin schon lange bekannt ist. In einer türkischen Studie der Süleyman Demirel Universität ist von antibakteriellen Wirkungen in Hydrolaten von Gewürzen wie Oregano und Bohnenkraut zu lesen. Eine marokkanische Studie der Sidi Mohamed Ben Abdellah Universität hebt die antioxidativen Eigenschaften insbesondere von Hydrolaten aus Gewürznelken und Echtem Thymian hervor.
Forscher der iranischen Shiraz University of Medical Sciences analysierten die chemische Zusammensetzung von aromatischen Wässern, die traditionell zur mentalen und neurologischen Gesunderhaltung eingesetzt werden. Den Wissenschaftlern zufolge gibt es im heutigen Iran mehr als 50 verschiedene aromatische Pflanzenwässer, die damit mehr als die Hälfte des iranischen Kräuterhandels ausmachen. Mit ihrer Studie wollen die Wissenschaftler das alte volksmedizinische Wissen überprüfen und dazu nutzen, eine neue Generation von Therapeutika zu entwickeln.
Lange in Vergessenheit geraten ist hierzulande die Tatsache, dass Hydrolate eine vortreffliche Beigabe für Speisen sein können. Hydrolate sind – einfach mit dem Löffel – leichter zu dosieren als ätherische Öle, sagt Valérie Cupillard. Sie eigneten sich für leichte, eher wässrige Zubereitungen, etwa für Suppen und Saucen, für Getränke und Fruchtpürees. Valérie Cupillard ist in Frankreich als «créatrice culinaire» und durch mittlerweile 40 Kochbücher bekannt. Unter anderem experimentiert sie mit Pflanzenwässern, woraus 2006 ihr Buch «Cuisiner avec les huiles essentielles et les eaux lorales» (deutsch: «Kochen mit ätherischen Ölen und Blütenwässern») entstand.
Für die Kulinarik am besten Bio Valérie Cupillard weist auch darauf hin, dass die im Handel angebotenen Hydrolate sehr unterschiedliche Qualität aufweisen. Für kulinarische Zwecke sei unbedingt auf eine gute Bioqualität zu achten. Auch weitere Faktoren wie Herkunft, Qualität der geernteten Pflanze und das Destillationsverfahren machten einen Unterschied.
Schliesslich bräuchten manche Pflanzenwässer eine Art Reifung, während dieser sich ihr Parfüm entwickle. Allen Pflanzenwässern gemeinsam sei die Tatsache, dass sie Hitze schlecht vertragen. Darum sollten sie erst nach dem Kochvorgang hinzugefügt werden, beispielsweise bei einer englischen Creme oder einem Kompott. Wer seinen Tee mit einem Pflanzenwasser verfeinern möchte, sollte das Planzenwasser erst kurz vor dem Trinken hinzufügen, um das Aroma nicht zu zerstören.
Im Iran haben Destillate eine lange Tradition, darum sind sie bis heute fester Bestandteil persischer Kultur. Wie Alkoholdestillate heissen auch sie Aragh, und die unzähligen Sorten dienen als Heilmittel, zum Genuss und zu kosmetischen Zwecken. Manche Läden bieten nur Destillate und Fruchtsaftkonzentrate an; aber auch traditionelle Apotheken haben Hydrolate in ihrem Programm.
Destilliert werden neben Rosen- und Orangenblüten zum Beispiel Minze, Wegwarte, Weidenkätzchen, Weidenholz, Kreuzkümmel, Brennnessel, Borretschblüten, Schafgarbe, Walnussblätter oder Dill. Rosen- und Orangenblütenwasser dienen zur Parfümierung von Süssgebäck wie Baklava, Marzipan oder Puddings, aber auch von Reisgerichten. Wird Safran für Süsses verwendet, werden Safranfäden erst gemörsert und dann mit Rosenwasser angegossen. In der iranischen traditionellen Heilkunde werden Lebensmittel in warm und kalt unterteilt.
Destillate gelten vorwiegend als wärmend und werden als Medizin unverdünnt oder mit Wasser eingenommen. Für eine Limonade (Scharbat) wird ein Sirup oder Destillat nebst Zuckersirup jeweils mit Wasser, Eis und nach Belieben mit Limettensaft und Samen vermischt. Ein typisches Scharbat wird aus Safran, Rosenwasser und Basilikumsamen zubereitet. Die Basilikumsamen quellen im Wasser auf und sehen aus wie Fischeier.
Mit Rosenwasser, das jenseits der Küche als Parfüm, Hauttonikum, Augenwasser und fürs Haar genutzt wird, experimentierte schon um das Jahr 1000 der berühmte Universalgelehrte Avicenna (Ibn Sina). Er schrieb ein Buch über die Heilwirkung des Rosenwassers, das gegen Gereiztheit und Depression wirken und Herz und Nerven stärken soll. Das Zentrum der iranischen Rosendestillation ist die Region um Kashan, wo im Mai ein grosses Rosenfest stattfindet. Wegen ihrer Duftstoffe werden die Blüten frühmorgens gepflückt. Sie finden Verwendung bei der Herstellung von Destillaten, Rosenmarmeladen und als Dekoration für Süssigkeiten oder Blütenkränze für Mädchen und Frauen. Überall in der Gegend sind Kupferkessel für die Destillation zu sehen und das ganze Jahr hindurch getrocknete Blütenblätter und Rosenknospen erhältlich. (Gabi Kopp, Autorin von «Das persische Kochbuch», Jacoby & Stuart 2015)