Gesunde Lebensmittel auf einen Blick erkennen – schön wär's. Was man über Nutri-Score und ähnliche Bewertungssysteme wissen sollte.
Text: Tino Richter
Nährwertampeln gibt es bereits in einigen Ländern Europas in unterschiedlichen Formen, die bekannteste dürfte der aus Frankreich stammende Nutri-Score sein, der auch in der Schweiz und Deutschland Verwendung findet. Das Prinzip basiert darauf, ähnliche Lebensmittel miteinander zu vergleichen, um den Konsumenten eine Entscheidungsmöglichkeit für eine gesündere Alternative zu bieten: A (grün) steht für ausgewogen, E (rot) für unausgewogen.
Dabei berücksichtigt der Nutri-Score nur jene Nährstoffe, die mit sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck in Verbindung gebracht werden. Für die Berechnung werden günstige (Anteil an Früchten, Gemüsen, Hülsenfrüchten, Nüssen, gewisse Ölen, Ballaststoffe und Proteine) und ungünstige Zutaten (Energie- und Salzgehalt sowie gesättigte Fettsäuren) eines Produktes miteinander verrechnet.
Das ist vor allem bei stark verarbeiteten Fertigprodukten sinnvoll, bei denen es auf die Zusammensetzung vieler einzelner Zutaten ankommt. Für Produkte, die unverarbeitet sind oder nur aus einer Zutat bestehen (z.B. Olivenöl, frisches Obst, Gemüse oder Honig), ist der Nutri-Score nicht sinnvoll und auch nicht gedacht. Ein gesundes Rapsöl beispielsweise kommt aufgrund des hohen Fettgehalts nur auf ein C, da sich die Berechnung jeweils auf 100 ml bezieht und nicht auf die tatsächlich verwendete Menge. Trotz des positiv zu bewertenden Anteils an ungesättigten Fettsäuren im Rapsöl sorgt dieser nicht für eine bessere Bewertung, da der sehr hohe Fettgehalt insgesamt höher gewichtet wurde. Das hat sich nun mit dem Update 2024 geändert. Pflanzliche Öle mit einem hohen Gehalt an ernährungsphysiologisch günstigen ungesättigten Fettsäuren erzielen künftig bessere Bewertungen. So können Konsumenten besser zwischen gesund und ungesund unterscheiden.
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
Die Berechnung bezieht sich jeweils auf 100 Gramm oder 100 Milliliter eines Lebensmittels. Es gibt insgesamt 40 Pluspunkte, die jedoch als negativ gewertet werden. Die 15 zu vergebenden Minuspunkte werden dagegen als positiv bewertet und von den 40 Punkten abgezogen. Rechnerisch können Lebensmittel so auf −15 bis −1 Punkte kommen, um die Bewertung A zu erhalten (0 bis 2: B, 3 bis 10: C, 11 bis 18: D, 19 und mehr: E).
Berechnung des Nutri-Scores (Foto: Konsumentenschutz Schweiz)
Das Bewertungssystem für Getränke ist strenger. Bisher hat nur Wasser die Bewertung A für Getränke (−15 bis 1: B, 2 bis 5: C, 6 bis 9: D, 10 und mehr: E). Flüssigkeiten mit relativ hohem Nährwert wie Milch, Schokomilch oder Pflanzendrinks aus Soja, Hafer oder Mandeln werden vom Nutri-Score nicht als Getränke, sondern als Lebensmittel bewertet.
Bei Milch entscheidet weiterhin der individuelle Fettgehalt darüber, mit welcher Bewertung die Milch abschneidet. Gesüsste Milchgetränke werden gemäss ihres Zuckergehalts ungünstiger eingestuft als ihre ungesüssten Alternativen.
Der Nutri-Score stellt eine sehr starke Vereinfachung dar und sorgt genau aus diesem Grund für Verwirrung. Obwohl mit dem Update eine stärkere Gewichtung auf Obst und Gemüse, Ballaststoffe sowie einfach- und mehrfach ungesättigte Fettsäuren vorgenommen wurde, bleiben andere Vitalstoffe wie sekundäre Pflanzenstoffe bei der Bewertung unberücksichtigt. Auch ungesunde Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Süssstoffe oder Aromen fliessen nicht in die Bewertung ein. Das muss der Konsument vorab wissen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Kennzeichnung für Hersteller bisher freiwillig ist. Das heisst, nur wenn alle Produkte gekennzeichnet wären, böte sich auch eine Möglichkeit eines fairen Vergleichs. Ausserdem überprüft niemand die Angaben der Hersteller, so dass Fehler unentdeckt bleiben können. Ein anderer Punkt ist, dass Produzenten die Bewertung ihrer Produkte durch Weglassen oder Hinzunahme von Zutaten verbessern können.
Der Lebensmittelhersteller Nestlé z.B. konnte mit einem Trick sein Kakaogetränk um eine Stufe verbessern. Denn die Berechnung basiert nicht auf der Zusammensetzung des Pulvers, sondern auf den Nährwerten des angerührten Kakaogetränks. Und indem der Nahrungsmittelkonzern an dieser Stelle Magermilch statt Vollmilch zugrundelegt, fällt die Bewertung des Kakaopulvers (D) in Kombination mit Magermilch (C) besser aus als mit Vollmilch (E). Dieses Beispiel mag eine Ausnahme sein, denn wer hält ein Kakaopulver mit einer gehörigen Portion Zucker für gesund? Laut einer Auswertung von mehr als 200 000 Produkten auf dem französischen Markt landen 80 Prozent der hochverarbeiteten Lebensmittel mit Nutri-Score in den Kategorien C, D oder E. Der Rest erhält A oder B.
Trotz der zahlreichen Kritikpunkte scheint der Nutri-Score breit akzeptiert zu sein. In Deutschland haben in einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 90 Prozent der Befragten den Nutri-Score als «schnell und intuitiv verständlich» bezeichnet. Andere Studien, darunter eine, die vom Deutschen Lebensmittelverband finanziert wurde, kommt zu dem Schluss, dass nur 26 Prozent der Befragten nachvollziehen können, welche Eigenschaften des Produktes in die Bewertung einfliessen.
Eine Studie vom International School of Management (ISM) aus dem Jahr 2024 kommt zu dem Schluss, dass das Siegel die Kaufentscheidung in Richtung gesünderer Produkte beeinflusst. 73 Prozent der Befragten gaben an, das Label bereits zu kennen und über seine Bedeutung Bescheid zu wissen. Doch nur 26 Prozent gaben an, den Nutri-Score für den Vergleich von Produkten der gleichen Kategorie heranzuziehen. Aber nichtsdestotrotz gaben 44 Prozent an, dass der Nutri-Score hilfreich bei der Bewertung eines Lebensmittel ist.
In Grossbritannien wie auch in Italien existieren Ampelkennzeichnungen, welche die Lebensmittel und Getränke hinsichtlich ihres Energie-, Fett-, Zucker- und Salzgehalts sowie ihres Gehalts an gesättigten Fetten in drei Kategorien einteilen: niedrig, mittel und hoch – jeweils bezogen auf die Referenzmengen eines Erwachsenen in Prozent. Diese Versionen setzen voraus, dass dem Kunden der bereits konsumierte Anteil der empfohlenen Tageszufuhr bewusst ist (und das, was er noch konsumieren wird). Ausserdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass die 100 Prozent auszuschöpfen sind, sondern dass die Konsumenten unterhalb der Empfehlungen bleiben. Italien hat mit der Nutrinform Batterie fast das gleiche Konzept auf den Weg gebracht, um sich gegen die schlechte Bewertung des Olivenöls zu wehren.
Nutrinform Battery
Es scheint momentan nur die Wahl zwischen starker Vereinfachung und anspruchsvoller Rechnerei zu geben. Ohne den Blick auf die Zutatenliste und ohne die eigene Ernährungsweise reflektieren zu können, dürften alle Nährwertampeln nur bedingt zu einer gesünderen Lebensweise führen. Immerhin scheinen laut einer britischen Studie Nährwertampeln die Kunden dazu zu motivieren, gesündere Produkte zu kaufen. Die im Fachblatt «PLOS Medicine» veröffentlichte Untersuchung von über 130 Studien zeigte, dass farbcodierte Hinweise (Nährwertampel oder Nutri-Score) zum Kauf gesünderer Produkte führen und Warnhinweise Konsumenten davon abhalten, ungesunde Produkte zu kaufen.
Ohnehin scheint die Nähstoffzusammensetzung vielleicht gar nicht eine so grosse Rolle zu spielen, wie italienische Forscher herausfanden. Sie untersuchten den Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels und dessen Einfluss auf die Sterblichkeit. Hierzu ermittelten sie die Ernährungsqualität von fast 23000 Personen mittels des Nutri- und des NOVA-Scores und verglichen diese mit der Gesamtsterblichkeit. Während der Nutri-Score Lebensmittel hauptsächlich anhand ihrer Nährstoffe bewertet, fliesst in den NOVA-Score zusätzlich der Verarbeitungsgrad mit ein.
Das Ergebnis: Probanden, die nach dem Nutri-Score ein ungünstiges Ernährungsverhalten hatten, zeigten ein um 19 Prozent höheres Risiko für kardiovaskuläre Sterblichkeit als diejenigen mit günstiger Lebensmittelauswahl. Doch Personen, die sich nicht nur schlecht ernährten, sondern zusätzlich auch den höchsten Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln aufwiesen, hatten das grösste Sterblichkeitsrisiko.
Untersuchungen zeigen immer wieder, dass hochverarbeitete Lebensmittel nicht gut für die Gesundheit sind. Eine multinationale Studie aussieben europäischen Ländern der Universität Wien zeigt, dass ein hoher Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln (ultra-processed foods, UPFs) das Sterblichkeitsrisiko für Krebs sowie für kardiometabolische Erkrankungen wie Diabetes und die koronare Herzkrankheit erhöht. Dieser Zusammenhang bestand insbesondere bei hochverarbeiteten tierischen Produkten sowie mit Süssstoff und mit Zucker gesüssten Soft-Drinks.
UPFs sind verzehrfertige Produkte, die aus lebensmittelbasierten oder synthetischen Zutaten hergestellt werden. Sie bestehen aus hydrierten Ölen, Glucose-Fructose-Sirup, Proteinisolaten und Zusatzstoffen.