Organisationen wie WWF und Weltnaturschutzorganisation IUCN schlagen Alarm: 15 000 der weltweit cirka 50 000 Heilpflanzenarten gelten als gefährdet. Selbst bekannte Spezies stehen mancherorts kurz vor dem Aussterben: Dazu gehören die Schlüsselblume, die Substanzen gegen Atemwegserkrankungen enthält, und das Frühlings-Adonisröschen, das einen Wirkstoff für Herzmittel liefert.
Text: Gisela Dürselen
Über 80 Prozent der weltweit gehandelten Heilpflanzen stammen laut WWF aus Wildsammlung. Besonders schlecht steht es um Arten mit speziellen Ansprüchen und um solche, die nur in einem begrenzten Gebiet vorkommen. Entscheidend ist auch, welche Teile einer Pflanze nutzbar sind: nur Blüten und Blätter – oder wie beim Süssholz und der südafrikanischen Teufelskralle überlebenswichtige Teile wie Rinde und Wurzeln.
Heilpflanzen – in der Fachsprache Medizinal- und Aromapflanzen – sind ein wichtiger Bestandteil der traditionellen und modernen Medizin: Nach einer Schätzung der Weltnaturschutzorganisation IUCN enthält jedes zweite verschriebene Präparat pflanzliche Stoffe. Cirka 400 000 Tonnen Rohmaterial werden nach Angaben des WWF pro Jahr global gehandelt. Der Trend zu Wellness-Produkten sowie ein wachsendes Interesse an Prävention und alternativen Heilmethoden führen zu weiterer Nachfrage. Auch viele nicht-medizinische Produkte beinhalten Substanzen aus Heilpflanzen: Süssigkeiten und Tees, Nahrungsergänzungs- und Körperpflegemittel, Spirituosen und mit Kamille und Aloe Vera sogar Waschmittel, Feuchttücher und Toilettenpapier.
Drei Regelungen dienen dem Erhalt von Wildpflanzen: das 1973 unterzeichnete Washingtoner Artenschutzabkommen CITES zum Handel mit gefährdeten Arten, der internationale Standard ISSC-MAP von 2007 zur nachhaltigen Sammlung von wilden Medizinal- und Aromapflanzen und das Gütesiegel FairWild, das Naturschutzverbände 2008 gemeinsam mit Partnern aus der Industrie vorgelegt haben. FairWild beinhaltet ein Pflanzen-Monitoring; Betriebe, die sich zertifizieren lassen wollen, müssen Nachhaltigkeitskriterien einhalten, zu denen Sammelzeiten und Ruhephasen von Pflanzen gehören.
Erstmals schreibt das Gütesiegel auch gerechte Löhne für Sammler vor: Mit einem fairen Stundenlohn werden die Pflanzen somit pfleglicher behandelt als mit einer minimalen Bezahlung pro Kilo Rohmaterial. Auch ein Training für Sammler ist vorgesehen: Ziel ist, dass die Pflanzen zur richtigen Zeit geerntet werden, wenn der Wirkstoffgehalt am höchsten ist, die Ernte frei von anderen, verwechselten Pflanzen bleibt und ein Wissen über die richtige Lagerung und Trocknung des Sammelguts besteht. Ein weiterer Vorteil des Siegels: Zertifizierte Betriebe arbeiten über Jahre hinweg mit denselben Partnern zusammen – dies erlaubt es ihnen, die Lieferkette bis zu ihrem Anfang nachzuverfolgen. Der Bekanntheitsgrad des Gütesiegels FairWild steigt, doch ein Grossteil der Ernte erfolgt noch immer unkontrolliert.
Damit floriert der illegale Handel: Das Sammeln in der Wildnis lässt sich generell schwer nachvollziehen, und in manchen strukturschwachen Gegenden ist Kräuterexport ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Gerade die Ärmsten der Bevölkerung profitieren davon, weil das Sammeln von Kräutern eine wichtige – manchmal auch die einzige – Einkommensquelle darstellt.
Rohstoffe aus herkömmlichen Wildsammlungen variieren in Ertrag und Qualität; bisweilen sind einzelne Chargen mit Bakterien oder Schadstoffen wie Pestiziden, Schwermetallen oder Nitraten verunreinigt. Da dieses erst nach der Ernte im Labor festgestellt werden kann; müssen die belasteten Chargen dann entsorgt werden.
Eine Alternative zur Wildsammlung könnte der biologische Anbau sein – wäre er nicht ungleich teurer und teilweise unwägbar: Denn bestimmte Pflanzen wie Gehölze brauchen eine lange Vorlaufzeit bis zur ersten Ernte, und nicht alle Wildpflanzen lassen sich erfolgreich in Kultur nehmen. Andere brauchen ein Klima, das es so in Zentraleuropa nicht gibt. Der Anbau erfordert sowohl Erfahrung als auch Spezialkenntnisse und -technologie, und weil bei vielen weiteren Arten unklar ist, unter welchen Bedingungen die Produktion gelingt, ist die Forschung hierfür aufwendig und teuer. Solange Sammlerinnen in den Ursprungsländern schlecht bezahlt werden, sind Importe für viele Betriebe die preiswertere Option.
Weltweit führend beim Export von Heilkräutern sind China, Indien und Mexiko. Die westeuropäischen Länder, in denen laut WWF etwa 2300 Heilpflanzenarten wild wachsen, beziehen einen wichtigen Teil ihrer heilpflanzlichen Importe auch aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien und Bulgarien.
Eine zentrale Stellung innerhalb des internationalen Heilpflanzenmarkts nimmt Deutschland ein, wo cirka 90 Prozent der Rohstoffe importiert, weiterverarbeitet und als Endprodukt verkauft werden. Der inländische Anbau mit den Hauptkulturen Lein, Petersilie und Kamille erstreckt sich auf über 13 000 Hektar; dazu gibt es Anbauversuche mit ausgewählten Pflanzen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Nach dem erklärten Willen der Bundesregierung soll bis 2020 die Anbaufläche für Heil- und Gewürzkräuter auf 20 000 Hektar steigen.
Erwerbsmässig angebaut werden in der Schweiz über 100 Kräuterarten. Deren koordinierte und hochwertige Produktion begann 1985 mit der Gründung der ArGe Bergkräuter: Die Dachorganisation für den Schweizer Kräuteranbau arbeitet mit zehn Organisationen in Forschung, Entwicklung der Produktionstechnik, Beratung und Marketing zusammen. 2017 produzieren 200 Vertrags-Kräuterbauern in fünf Anbau-Organisationen auf einer Fläche von 250 Hektar. Geplanter Ernteertrag: 350 Tonnen.
Die übrige Fläche für den Schweizer Heil- und Gewürzkräuter-Anbau wird bei der ArGe auf 400 bis 500 Hektar geschätzt – mit den Hauptkulturen Pfefferminze, Salbei und Zitronenthymian. Anspruchslosere Kulturen wie Spitzwegerich, Malve und Frauenmantel wachsen in höheren Lagen im Schweizer Berggebiet – über 60 Prozent der Produktion gedeihen allerdings im milden Wallis, und dort bevorzugt in der Region um Conthey.