Unsere Reiselust, der globale Warenverkehr und die Klimaerwärmung leisten dem Vormarsch exotischer Erreger in nördliche Breiten Vorschub. Zu Panik besteht kein Grund – aber zur Wachsamkeit. ??
Dr. Claudia Rawer
Am Anfang steht ein Erreger, der Mensch oder Tier mit einer Krankheit infiziert. Blutsaugende Stechmücken spielen die Rolle des Überträgers, der weitere Menschen oder Tiere mit dem Krankheitskeim ansteckt und so für seine Verbreitung sorgt. Das kennen wir zum Beispiel von der Malaria, die von einzelligen Parasiten der Gattung Plasmodium verursacht und von Anopheles-Mücken weitergegeben wird. Diese Krankheit war früher auch in Mitteleuropa weit verbreitet – den jungen Friedrich Schiller hinderte sie daran, seine Stellung am Mannheimer Theater anzutreten, der Wasserbauingenieur Johann Gottfried Tulla, der den Rhein begradigte, starb an der Infektion. Durch die Trockenlegung von Sumpfgebieten – Brutstätten der Überträgermücken – und den Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln wurde die Malaria in den 1960er Jahren in Europa ausgerottet.
Heute gilt Malaria als eine Krankheit der Armen. Über 90 Prozent der Erkrankten leben in Afrika, vor allem in den Ländern südlich der Sahara. Bei uns gibt es ausschliesslich «importierte» Malariafälle. Die Schweiz etwa zählt jährlich 200 bis 250 Malariaerkrankungen, die auf Aufenthalte in Ansteckungsgebieten zurückzuführen sind; in Deutschland sind es 600 bis 1000 Fälle pro Jahr. Mit Medikamenten können die Erkrankten gut behandelt werden, für Reisende in gefährdete Gebiete wird zudem eine Malariaprophylaxe empfohlen.
Malaria galt als die Tropenkrankheit, vor der man sich als Tourist oder Geschäftsreisender hüten sollte. Das hat sich in den letzten Jahren geändert: Verschiedene Tropenkrankheiten, vor allem Viruserkrankungen, die durch Mückenstiche übertragen werden, sind auf dem Vormarsch.
Drei Faktoren sind dafür verantwortlich: Reiseaktivitäten rund um den Globus, internationaler Warenverkehr und die Klimaerwärmung. Jedes Jahr werden mehr als zwei Milliarden Menschen mit dem Flugzeug transportiert, Millionen Tonnen Waren überqueren Weltmeere und Kontinente. Erreger werden über Tausende von Kilometern verschleppt, und ihre Überträger fühlen sich dank zunehmend wärmerem Klima bei uns durchaus wohl.
Beispiel Tierseuche: Die Blauzungenkrankheit ist eine Infektion, die Rinder, Schafe und Ziegen befällt. Für den Menschen ist sie ungefährlich. Bis vor etwa zehn Jahren gab es die kälteempfindliche Gnitzenart, die die Blauzungenkrankheit überträgt, nur in Afrika. Dann schaffte sie den Sprung übers Mittelmeer und etablierte sich in Südeuropa.
Einmal auf dem europäischen Kontinent angelangt, fand das Blauzungen-Virus offenbar eine weitere Bartmückenart, die als Überträger fungieren kann.
Der Erreger drang in seinem neuen Ausbreitungsgebiet geradezu explosionsartig vor: Er traf auf Tiere, die sich noch nie mit ihm auseinandersetzen mussten und somit keinerlei Abwehrkräfte bilden konnten.
2006 trat die Krankheit zuerst in den Niederlanden auf. In wenig mehr als einem Jahr, bis Ende 2007, war sie auch in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, der Schweiz, Tschechien und Grossbritannien verbreitet. Wenig später wurden Fälle in Schweden, Ungarn, Österreich und Norwegen nachgewiesen.
Insekten, die früher nur in den Tropen und Subtropen zuhause waren und dort als Krankheitsüberträger wirkten, sind in gemässigte Breiten vorgedrungen. Im Laufe von 30 Jahren hat es beispielsweise die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) bis in die nördliche Schweiz geschafft.
1979 traten die gestreiften Mücken in Albanien auf, wohin sie mit Warenlieferungen aus China gelangt waren. Mit gebrauchten Autoreifen aus den USA landeten sie 1990 in Italien, in die Niederlande reisten sie mit dem beliebten «Glücksbambus». 2003 waren sie schon im Tessin, 2007 fand man sie im Kanton Aargau und kurz darauf sogar ein Eigelege auf einer Autobahnraststätte bei Bad Bellingen in Baden-Württemberg.
Ein weiterer Wirt für Tropenkrankheiten, die asiatische Buschmücke (Aedes japonicus), ist wahrscheinlich ebenfalls per Altreifen eingereist. In Regenwasser in den Reifen brüten die Mücken gerne. Eine stabile Population der Buschmücke hat sich in der deutschen Oberrheinebene angesiedelt, in der Schweiz wurde sie in den Kantonen Aargau, Zürich, Solothurn, Luzern und Basel-Stadt nachgewiesen.