Die Blutwurz (Potentilla erecta) ist reich an Gerbstoffen, die bei gereizter, entzündeter und nässender Schleimhaut bzw. Haut eine Schutzschicht bilden. Daher wird die Blutwurz traditionell bei leichten Durchfallerkrankungen sowie in Mundwässern eingesetzt.
Da Gerbstoffe derzeit aufgrund ihrer antimikrobiellen und antiviralen Eigenschaften erforscht werden, die Blutwurz in der Geschichte reichhaltig genutzt wurde und weiteres Potenzial für die Forschung aufweist, hat der interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde die Blutwurz zur Arzneipflanze des Jahres 2024 gekürt.
Die Blutwurz ist eine ausdauernde, krautige Pflanze aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae), die 10 bis 30 Zentimeter gross wird. Sie wächst auf Wiesen, Heiden und in Wäldern mit mässig saurem Boden. Charakteristisch ist der kräftige, knollige Wurzelstock (botanisch Rhizom), der mehrere Zentimeter Durchmesser erreichen kann. Der Name leitet sich von der schnellen Rotfärbung ab, die sich an Bruch- und Schnittstellen des Wurzelstockes durch Oxidation der enthaltenen Gerbstoffe bildet. Aus dem Wurzelstock führen die eigentlichen Wurzeln bis zu 50 Zentimeter in den Boden.
Die Grundblätter sind dreizählig, sie besitzen an den Stängeln jedoch zwei Nebenblätter, was eine fünfzählige Erscheinung vermittelt. In der Blütezeit von Mai bis Oktober entspringen auf langen Stilen einzeln in den Blattachseln die gelben Blüten mit zumeist vier Kronblättern, im Unterschied zu anderen Vertretern der Gattung Potentilla mit charakteristisch fünf Kronblättern.
Die medizinische Verwendung der sogenannten Fingerkräuter (Potentilla) in Europa reicht bis ins Altertum zurück. Das im Mittelmeerraum heimische Kriechende Fingerkraut (Potentilla reptans) fand breite Verwendung in der griechisch-römischen Antike und wurde im Mittelalter parallel zur Blutwurz verwendet. Das Gänsefingerkraut (Argentina anserina, früher Potentilla anserina) wurde jedoch trotz ähnlicher Inhaltsstoffe (im Kraut kurz vor oder während der Blüte) anders eingesetzt. Hildegard von Bingen nennt Mitte des 12. Jahrhunderts in ihrer Naturkunde alle drei Pflanzen. Hieronymus Bock empfiehlt in seinem Kräuterbuch von 1551 die Blutwurz innerlich bei Vergiftungen, Infektionskrankheiten, Gelbsucht, Fieber sowie äusserlich bei Wunden, Nasenbluten, Menstruationsbeschwerden, Augenleiden und Feigwarzen.
«Auf einer Wanderung von Lenk nach dem Hahnenmoos begegnete ich einigen kleinen Hochmooren, in denen eine Menge kleiner gelber Blümchen mit vier Blumenblättchen und feingliederigen, fünffingerförmigen Blättern gedeihen. Die Wurzel dieser Pflänzchen sind blutrot, wenn man sie entzweibricht, und dieser Farbe wegen nennt man die Pflanze Blutwurz. Es ist wunderbar, was dieses kleine, bescheidene, meist unbeachtete Bergpflänzlein Gutes zu wirken imstande ist. Wie oft war ich auf meinen Reisen, vor allem in südlichen Ländern, froh über meine Tormentillatinktur, die ich vorsichtshalber stets bei mir hatte. Manchen Durchfall, ja sogar einer bösartigen Dysenterie (durch Bakterien, Viren oder Parasiten verursachte Darmentzündung) konnte ich bei mir und anderen Einhalt gebieten.» (Gesundheits-Nachrichten 31, (1974))
Im frühen 20. Jahrhundert wurde die Blutwurz vor allem bei allen Formen von Durchfall eingesetzt. In der heutigen, naturwissenschaftlich fundierten Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) sind Zubereitungen aus dem Wurzelstock der Blutwurz innerlich bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen und unterstützend bei akuter und chronischer Darmentzündung sowie äusserlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum anerkannt. Die Anwendung gilt mit der Einschränkung, dass Blutwurz als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ zugelassen ist.
Die Blutwurz enthält als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe 15 bis 22 Prozent Gerbstoffe, ferner Flavonoide wie Kämpferol, Phenolcarbonsäuren wie Kaffee- und Gallussäure sowie Triterpensäuren. Weiterhin sind der rote Farbstoff Tormentol, das Glykosid Tormentillin, Saponine, Harz, Gummi und ätherische Öle enthalten. Die Gerbstoffe sind bei entsprechenden Mundwässern geschmacksbestimmend.
Aufgrund fehlender klinischer Studien ist die weitere Erforschung der Blutwurz dringend erforderlich. Ein Review aus dem Jahre 2020 listete nur 44 Publikationen auf, davon waren nur vier klinische Studien. Zurzeit existiert kein Medikament mit Potentilla erecta auf dem europäischen Markt. Für die Beratung in der Apotheke bleiben demnach nur Blutwurz-Präparate als Nahrungsergänzungsmittel.
Blutwurz wirkt stark zusammenziehend, antientzündlich und antibakteriell. Daher eignet sich die Pflanze innerlich bei Durchfall uns äusserlich als Gurgellösung oder zum Spülen bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut. Auch bei der Wundheilung kann Blutwurz hilfreich sein.
Ein Blutwurz-Tee lässt sich mit 2-3 g getrockneten und zerkleinerten Blutwurz-Wurzel-Stücken pro Tasse zubereiten. Mit heissem Wasser aufgiessen und bei Durchfall zwei- bis dreimal täglich 1 Tasse zwischen den Mahlzeiten trinken.